Bochum. Mitten in der Corona-Pandemie eröffnet das Schauspielhaus Bochum eine neue Spielstätte: mit Stücken von Sibylle Berg und Sivan Ben Yishai.

So verwegen es klingt: Mitten in der Corona-Pandemie, die sämtliche Theater seit Monaten zur Schließung zwingt, eröffnet das Schauspielhaus Bochum eine neue Spielstätte. Die „Welthütte“ im Mittleren Foyer ist ein karger Verschlag aus rostigem Wellblech. Entworfen wurde sie bereits 2018 von der Bühnenbildnerin Anna Viebrock für „Universe, Incomplete“ bei der Ruhrtriennale. In der Hütte, die als kleines Haus im großen Stadttheater auch von außen gut zu sehen ist, sollen künftig kleinere Bühnenexperimente stattfinden, die eine unmittelbare Nähe zu den Schauspielern zulassen – eines schönen Tages hoffentlich auch vor Publikum.

Bis dahin wird die Welthütte zum wichtigen Baustein im Online-Spielplan, den die Bochumer Theatermacher in der Corona-Zeit bislang etwas vernachlässigt haben. Doch beim Premieren-Doppelschlag im Abstand von wenigen Tagen treten gleich zwei junge Regie-Talente den Beweis an, dass von ihnen künftig noch zu hören sein dürfte. Abrufbar sind die Aufführungen innerhalb der nächsten Wochen als Video-on-Demand.

Ausgiebig wird die Trickkiste der Filmemacher geplündert

Erstaunlich bei beiden Aufführungen ist es, wie schnell sich die Regisseurinnen von der Lehre des reinen Theaterspiels verabschieden und ausgiebig die Trickkiste der Filmemacher plündern. Vor allem Anna Stiepani setzt in „Viel gut essen“ von Sibylle Berg genüsslich auf lange Kamerafahrten quer durchs Theater, wählt harte Schnitte und lässt den Schauspieler Bernd Rademacher gleich doppelt auftreten. Bergs knallhart formulierter Text wird mehrheitlich aus dem Off eingesprochen, gerät trotz Stiepanis filmischer Ambitionen aber niemals ins Hintertreffen.

Das Stück ist todtraurig, aber brillant geschrieben. Berg erzählt darin von einem namenlosen Mann mittleren Alters, der in seiner Küche steht, um sich mit einem Festmahl bei seiner Frau und dem Sohn zu entschuldigen. Je länger er im dampfenden Kochtopf rührt, desto schmerzlicher wird klar: Die Familie wird nicht kommen – und der deprimierte Kerl, den Rademacher souverän bis an den mentalen Abgrund führt, stochert immer verzweifelter auf seine Möhren ein, bis er seinen Hass auf die ganze schäbige Welt aus dem Küchenfenster bläst. Anna Stiepani spart nicht mit Pegida-Bezügen und stellt ihren Helden am Ende mit Speer und Pelzmütze wie jenen bizarren Schamanen dar, der im Januar das US-Kapitol stürmte. Ein bissiger, sehenswerter Kommentar auf einen im Selbstmitleid versinkenden Wutbürger.

Die neue „Welthütte“ bleibt in diesem Stream nur triste Kulisse

Auch Regisseurin Zita Gustav Wende bedient sich für „Liebe / Eine argumentative Übung“ so gern beim Voice-over, dass ihre Einrichtung fast schon die Anmutung eines Hörspiels bekommt. Szenisch bleibt die Aufführung indes karg. Der herausfordernde Text der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai erzählt von der Beziehung des legendären Comics-Muskelmanns Popeye zu seiner weniger bekannten Freundin, die Jele Brückner in ihrem Solo mit Hingabe spielt. Etwas bemüht wirken Wendes Versuche, für den gewaltigen Texte szenisch schlüssige Lösungen innerhalb und außerhalb der Welthütte zu finden, die in diesem Stream nur triste Kulisse bleibt.

„Liebe / Eine argumentative Übung“ ist bis 31. Mai online verfügbar, „Viel gut essen“ bis 5. Juni. Karten (5 Euro): schauspielhausbochum.de