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Muss das nicht misslingen? Nach einem solch großen Erfolg, den die Tintenwelt Cornelia Funke bescherte, noch mal eine neue Welt zu erschaffen? Heute erscheint der erste Band der Spiegelwelt: „Reckless – Steinernes Fleisch“.

Funke, die zunächst Dorsten, dann Hamburg und nun Los Angeles ihre Heimat nennt, fabuliert frisch und sehr fantasievoll. Sie wird viele ihrer Leser nicht enttäuschen. Aber . . .

Die Geschichte beginnt wieder mit einem zwölfjährigen Kind, das das Geheimnis seines Vaters lüftet. Allerdings braucht Jacob dafür nicht wie Meggie in „Tintenherz“ rund 150 Seiten. Der Junge betritt die Welt sofort, nicht durch ein Buch, in das man Figuren hinaus- und wieder hineinlesen kann, sondern durch einen Spiegel. Im Gegensatz zu „Tintenherz“, in der Funke der Erzählung Raum lässt und die Charaktere bedächtig entwickelt, stolpert der Leser in die neue Geschichte. Das mag an Lionel Wigram liegen: Der Produzent von Filmen wie „Harry Potter“ und „Sherlock Holmes“ hat mit Funke die Figuren entwickelt.

Reckless von Cornelia Funke
Reckless von Cornelia Funke © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Und schon sind zwölf Jahre vergangen und Jacob Reckless steht zusammen mit seinem jüngeren Bruder Will in der neuen Welt. Das liest sich wie eine Fortsetzung, denn immer wieder erzählt Funke, was schon alles passiert ist. Einer der Goyl, steinerne zornige Wesen, hatte Will seine Klauen in die Haut gerammt. Dadurch verwandelt sich Will nun selbst in einen Goyl, der bald nicht mehr seine große Liebe Clara erkennt. Jacob versucht, den Steinwuchs aufzuhalten. Doch der Stein ist Jade: heilig für Goyl und für dessen König besonders wertvoll.

Das Abenteuer beginnt – in der Spiegelwelt, in der Funke die Märchen der Brüder Grimm – Jacob und Wilhelm – lebendig werden lässt. Das gelingt ihr elegant. Hier steht ein Hexenhäuschen mit Lebkuchen, dort ein Dornröschenschloss. Die Kaiserin begehrt einen Gläsernen Schuh ebenso wie ein Tischlein-deck-dich. Eine Füchsin ist auch dabei. Allerdings kann sich diese in eine Frau verwandeln und ist sehr treu. Kenner der Märchen werden sich amüsieren. So umgarnt ein Zwerg Clara: Schneewittchen sei ja auch nur bei den Zwergen glücklich gewesen.

Hätte Funke es nur dabei belassen! „In meinem Kopf stecken so viele Ideen, dass ein Leben wohl kaum ausreichen wird, um sie alle aufzuschreiben“, hat sie einmal gesagt. Und irgendwie schien sie bei Reckless möglichst viele davon unterbringen zu wollen. Sie greift tief in den großen Fundus der Märchen-, Sagen- und Fantasywelt: Hier noch ein Heinzel, dort ein geflügelter Hase, Drachen und Riesen, Trolle, Wassermänner . . . Und natürlich Feen. Auf Kobolde hat sie verzichtet. Und auf Vampire lässt sie sich zum Glück nicht ein. Immerhin krempelt sie Charaktere um, verwischt die Grenzen zwischen Gut und Böse. Denn ein Einhorn gilt zwar als sanft, aber wozu braucht es dann ein Horn? Leider begnügt sich Funke nicht nur mit einer gefährlich singenden Nixe: „Es wird schon dunkel“, warnt ein Zwerg, „und der Fluss wimmelt von Loreley“.

Denkt Sie direkt an eine Verfilmung?

Es ist zu viel. Schielt sie auf eine Verfilmung (siehe oben: Lionel Wigram)? So schnell ist der Szenenwechsel. Wenn Jacob vor einem Problem steht, braucht er nicht lange an einer Lösung zu arbeiten. Denn in der Spiegelwelt gibt es so viel Zauber: Er wäre gerne unsichtbar? Schon lässt ihn Schneckenschleim verschwinden. Er will an einer Wand hinauf? Da dreht sich Jacob aus Rapunzelhaar ein Seil.

Diese Spiegelwelt wird sich dennoch gut verkaufen. Weniger wegen einer durchaus spannenden Geschichte, sondern wegen des weltweit bekannten Namens, der mittlerweile auf rund 40 Büchern steht: Cornelia Funke. Das ist der Zauber in unserer Welt.

  • Cornelia Funke: Reckless – Steinernes Fleisch. Dressler, 347 Seiten, 19,95 Euro, ab 13