Essen. Die langjährige „FAZ“-Fotografin Barbara Klemm ist in Essen mit dem Internationalen Folkwang-Preis ausgezeichnet worden.

Als Leonid Breschnew ins Kanzleramt kam und Barbara Klemm sah, die sich mit ihrer Kamera dazugemogelt hatte, rief er dröhnend aus: „Endlich mal eine Frau!“ Nahm Willy Brandt in den Arm und warf sich in Positur. Es entstand ein gestelltes Bild, das ausstellt, wie gestellt es ist. Das atemberaubende Bild entstand aber Minuten später. Da lehnt sich Willy Brandt im Vollbewusstsein seiner Wichtigkeit im Sessel zurück und hört dem Generalsekretär der KPdSU mit fragendem, leicht skeptischem Blick aufmerksam zu, während um ihn herum vier Übersetzer und amtliche Wasserträger einen Schirm bilden; links macht ein Fotografenkollege von Barbara Klemm gerade das schlechtere Bild und Außenminister Walter Scheel ganz rechts gerät zum menschlichen Dekor.

Einmal, vor Kohl, Weizsäcker und Brandt, bekam sie „richtig Angst“

Barbara Klemm:Leonid Breshnew, Erich Honecker, 30. Jahrestag der DDR, Ost-Berlin, 1979 Silbergelatineabzug, 27 x 38,8 cm Museum Folkwang, Essen © Barbara Klemm
Barbara Klemm:Leonid Breshnew, Erich Honecker, 30. Jahrestag der DDR, Ost-Berlin, 1979 Silbergelatineabzug, 27 x 38,8 cm Museum Folkwang, Essen © Barbara Klemm © Barbara Klemm | Barbara Klemm

Einer dieser Augenblicke, die Barbara Klemm als Fotografin der „Frankfurter Allgemeinen“ in ein wahres Bild verwandelt hat. Eines, das mehr wurde als Fotografie für den Alltagsgebrauch. Das gilt für ihre einfühlsamen Künstlerporträts von Herta Müller bis Thomas Bernhard, von Simone de Beauvoir und Janis Joplin bis Beuys und Michel Houellebecq. Das gilt aber auch für ihre Bilder von historischen Momenten. Vom 3. Oktober 1990 etwa, als man ihnen „viel zu weit hinten“ Presseplätze zugewiesen hatte und sie ganz nach vorn ging, um Lafontaine, Brandt, Genscher, das Ehepaar Kohl, Richard von Weizsäcker und Lothar de Maizière aufs Bild zu bekommen – „da wären wir von hinten fast zerquetscht worden. Ein Polizist schoss in die Luft, damit die Leute aufhörten zu drücken und eine Verletzte abtransportiert werden konnte...“

Barbara Klemm, die am Montagabend mit dem Internationalen Folkwang-Preis (Dotierung: 10.000 Euro) ausgezeichnet wurde, bilde die Welt nicht einfach ab, „Sie erzählen mit einem Bild eine Geschichte“, drückte Museums-Chef Peter Gorschlüter seine Bewunderung aus. Klemm, FAZ-Fotografin von 1970 bis 2004, stellt aber klar: „Zuerst ist das Bild da. Die Erzählung kommt hinterher.“ Wobei man das Bild auch sehen muss.

Zum Glück ein Kind zweier Künstler: Fritz und Antonia Klemm

Und da, glaubt Barbara Klemm, hat sie als 1939 geborene Tochter des Malers Fritz Klemm und seiner Frau Antonia, Gräfin von Westphalen, die auf der Kunsthochschule zusammenfanden, eine gute Kinderstube gehabt: „Maler haben ja das Glück, dass sie sich die Komposition zurechtlegen können. Wir müssen sie aus dem Moment heraus entwickeln.“ Hm, das klingt ihr jetzt vielleicht schon zu unbescheiden, also sagt sie schnell: „Man braucht bei dem Beruf immer auch ein bisschen Glück.“

Es habe sie anfangs auch „sehr gewundert“, das ihre Fotos seit etlichen Jahren in Museen ausgestellt werden: „Ich hab doch nur Journalismus gemacht.“ Und dabei immer auf Distanz geachtet, „dass man sich rausnimmt aus einer Szene“, aber auch im wörtlichen Sinne: „Ganz am Anfang bin ich mal in einer ‘68er-Demonstration gewesen, mitten im Tumult – da fehlten mir hinterher die Bilder.“

Menschen an der Trinkhalle – „könnte ich heute nicht mehr machen“

Die Menschen an der Trinkhalle in Frankfurt, die eine ewige Pause zu machen scheinen, die erschöpft auf ihren Sesseln eingeschlafenen Arbeitsmigranten im Park von Stuttgart, die Bilder vom Fall der Mauer – „viele davon könnte ich heute gar nicht mehr machen“, sagt Barbara Klemm, deren Bilder vor sieben Jahren zusammen mit denen von Stefan Moses in der Duisburger Küppersmühle ausgestellt wurden. Erzählende Bilder von ganz normalen Menschen, die heute auf ihr „Recht am eigenen Bild“ pochen würden.

Barbara Klemm, die in den 50er-Jahren eine Fotografielehre in einem Porträtstudio absolviert hat, bevor sie bei der FAZ zunächst in der Klischeeherstellung und im Fotolabor arbeitete, weiß nur zu gut: „Jeder, bei mir angefangen, lässt sich ungern fotografieren, weil es immer nur ein Moment ist.“ Sie aber versteht sich darauf, solche Augenblicke reif für die Ewigkeit zu machen.