Bayreuth. Nur vier Tage vor seiner geplanten Premiere bei den Bayreuther Festspielen hat der russische Opernsänger Jewgeni Nikitin wegen Tattoos mit Nazi-Symbolen seinen Auftritt abgesagt. Nikitin, der in Bayreuth die Titelrolle des “Fliegenden Holländers“ singen sollte, nannte die Tattoos aus seiner Jugendzeit am Samstag in einer Erklärung einen “großen Fehler“. Nikitin hat unter anderem ein teils verdecktes Hakenkreuz-Tattoo auf seiner Brust.
Umbesetzung kurz vor der Generalprobe: Wegen Tätowierungen mit nationalsozialistischen Symbolen hat der Bassbariton Evgeny Nikitin seinen Auftritt bei den Bayreuther Festspielen abgesagt. Der Russe war für die Titelrolle in Richard Wagners "Fliegendem Holländer" vorgesehen. Mit der Oper sollen die Festspiele am kommenden Mittwoch (25. Juli) eröffnet werden. Ersatzmann Samuel Youn stand bereits bei der Generalprobe am Samstag auf der Bühne. Der Südkoreaner sei auch im Falle einer Erkrankung als Ersatz für Nikitin vorgesehen gewesen, sagte ein Sprecher der Festspielleitung am Sonntag. Bis zur Premiere seien weitere Einzelproben mit Youn geplant.
"Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen", erklärte der 38-jährige Russe am Samstag in einer schriftlichen Stellungnahme. Nach einem Gespräch mit der Festspielleitung habe er sich dazu entschieden, auf seinen Auftritt auf dem Grünen Hügel zu verzichten.
Die "künstlerische Beschädigung der Inszenierung" sei selbst nach Einarbeitung eines Ersatzes immens, sagte Regisseur Jan Philipp Gloger nach dem Gespräch mit Nikitin. Es sei fraglich, ob sein Ausfall bis zur Premiere restlos aufgefangen werden könne.
Nikitin bereut Tätowierungen
Die Festspielleitung war nach eigener Aussage durch Recherchen der "Bild am Sonntag" auf die kritischen Tattoos aufmerksam geworden. In der ZDF-Kultursendung "Aspekte" am Freitagabend waren ältere Aufnahmen Nikitins zu sehen, die ihn als Schlagzeuger einer Heavy-Metal-Band zeigen. Auf seiner Brust ist ein Hakenkreuz-Tattoo zu erkennen, das teilweise von einem anderen Motiv überdeckt ist. "Ich habe mir die Tattoos in meiner Jugend stechen lassen. Es war ein großer Fehler in meinem Leben und ich wünsche mir, dass ich es niemals getan hätte", schrieb Nikitin. Das Hakenkreuz auf seiner Brust ist inzwischen mit einem farbigen Tattoo überstochen.
Nach eigener Aussage kannte Nikitin die Bedeutung einiger Tätowierungen nicht. "Es war mir nicht klar, dass die Symbole, die ich als Tattoos trage, in Zusammenhang gebracht oder sogar von Nazis oder Neonazis benutzt werden können", sagte er der "Bild am Sonntag". Unter anderem trägt er zwei auch von den Nationalsozialisten verwendete Runen als Tattoo auf dem Oberkörper.
Er sei sich bewusst, "dass die Verbrechen, die in Nazi-Deutschland verübt wurden, zu den schrecklichsten Verbrechen gehören, die je verübt wurden", betonte Nikitin. Er habe sich die Tattoos in den Jahren 1989, 1990 und 1991 in Russland stechen lassen und sie "in Büchern über nordische Mythen und aus Tattoo-Shop-Katalogen ausgesucht". Nikitin versicherte: "Die Zeichen haben für mich überhaupt keine politische, sondern nur eine spirituelle Bedeutung. Ich war nie Teil einer politischen Partei und bin es auch heute nicht."
Erinnerungen an dunkelstes Kapitel in Festspiel-Geschichte
Die Zeit des Nationalsozialismus und die Nähe von Siegfried Wagners Witwe Winifred zu Adolf Hitler markieren das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Festspiele. Hitler hatte Bayreuth zuletzt 1940 besucht. Ab diesem Zeitpunkt wurden auf seine Anordnung sogenannte Kriegsfestspiele durchgeführt. Die letzte Aufführung gab es am 9. August 1944. Seit einigen Tagen erinnern mannshohe grauen Info-Tafeln vor dem Festspielhaus an die Judenfeindlichkeit auf dem Grünen Hügel.
Der russische Bassbariton hatte erst vor wenigen Tagen im dapd-Interview gesagt, mit seinem Auftritt in Bayreuth gehe für ihn ein Traum in Erfüllung. Nikitin ist inzwischen ein gefragter Sänger an den großen Opernhäusern, vor allem für die schweren deutschen Rollen, für den "Holländer", überhaupt für Wagner, aber auch für Richard Strauss. Noch während seines Studiums in St. Petersburg wurde er vom Mariinsky-Theater engagiert. 2002 gab er sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York. 2008 trat er im "Fliegenden Holländer" am Festspielhaus Baden-Baden auf. Im gleichen Jahr debütierte er an der Bayerischen Staatsoper München. (dapd)