Ruhrgebiet. Von den 25 Kammern, die Schiffe durch die Höhenunterschiede auf Ruhr und Kanälen lotsen, warten 14 auf ihre Modernisierung. Dabei wäre Geld da...

Ob Ruhr, Rhein-Herne-Kanal oder Wesel-Datteln-Kanal – die Wasserstraßen sind Hauptschlagadern für den Gütertransport in der Logistik-Metropole Ruhrgebiet. Die Schiffe, die auf den beiden Kanälen fahren, befördern jährlich mehr als 32 Millionen Tonnen Güter. Mehr Verkehr gibt es auf keinem anderen Binnen-Kanal in Deutschland. Doch die beiden Wasserstraßen schieben auch einen gewaltigen Sanierungsstau vor sich her. „Wir haben eine relativ schlechte Bausub­stanz. Mehr als die Hälfte unserer Schleusen sind marode“, sagt Volker Schlüter, kommissarischer Leiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Duisburg-Meiderich (WSA), das die Kanäle und ihre Bauwerke im Ruhrgebiet betreut.

Schlüter legt eine Liste auf den Tisch, die es in sich hat: Von den 25 Schleusen, die zu seinem „Hoheitsgebiet“ gehören, sind nur sechs „in Ordnung“, drei sind gerade „Baustelle“, für 14 ist eine „Grundinstandsetzung“ erforderlich, zwei – das Schiffshebewerk Henrichenburg und die Nordkammer der Schleuse Wanne-Eickel – sind gar „vorübergehend außer Betrieb“, weil sie baufällig sind. Warum das so ist, lässt sich locker an den Angaben über die Baujahre ablesen: die Nordkammer in Wanne stammt aus dem Jahr 1914, ein großer Teil der Revier-Schleusen stammt aus den 20er- und 30er-Jahren. „Wir werden noch lange für die Sanierung brauchen“, prophezeit Schlüter.

35 Brücken harren der Erneuerung

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NICHT PRINT - NUR ONLINE © Gerd Bertelmann | Karte NRW Schleusen

Zumal den Rhein-Herne-Kanal 110 Brücken queren, die zur einen Hälfte dem WSA, zur anderen Hälfte meist den Kommunen, der Deutschen Bahn und Straßen.NRW gehören. Die meisten von Ihnen wurden nach dem Krieg neu errichtet. Auch an den Brücken ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Schlüter: „35 unserer Brücken müssen in den nächsten 20 Jahren erneuert werden.“

Dabei mangelt es gar nicht am Geld, das der Bund für seine Wasserstraßen zur Verfügung stellt. „Wir haben nicht genug Personal, um die Baustellen zu planen und das Geld aus Berlin abzurufen“, sagt Schlüter. Für den geplanten Ausbau des Elbe-Lübeck-Kanals werden gerade 20 neue Ingenieure eingestellt. „Solch eine personelle Unterstützung würde auch uns sehr weiterhelfen“, hat der Amtsleiter überschlagen. Doch er weiß, dass Ingenieure angesichts des Baubooms derzeit schwer zu finden sind. „Man kann sich die Stelle aussuchen. Da nehmen viele natürlich den Job mit der besten Bezahlung“, so Schlüter. Der öffentliche Dienst gehört freilich nicht dazu.

450 Beschäftigte kümmern sich um 140 Kilometer

Die rund 450 Beschäftigten, die für das WSA Duisburg-Meiderich arbeiten, müssen sich um 140 Kilometer Wasserstraßen kümmern. Dazu gehören der Rhein-Herne-Kanal, der Wesel-Datteln-Kanal, der südliche Teil des Dortmund-Ems-Kanals und der untere Teil der Ruhr. Die WSA-Mitarbeiter bauen zwar nicht selbst die neuen Schleusenwände oder ersetzen die durchrosteten Tore. „Wir sind für die Planung, die Ausschreibung für Ingenieur-Büros und die Bauüberwachung zuständig“, erklärt Schlüter. Selbst dafür reiche das Personal nicht.

Dabei drängt die Zeit. „Die Sub­stanz der Schleusen wird von Jahr zu Jahr immer schlechter“, schlägt der kommissarische Amtsleiter Alarm. Mit notdürftigen Reparaturen könnten viele Schleusen im wahren Wortsinn gerade einmal über Wasser gehalten werden. Wie lange die rissigen Wände und der bröckelnde Beton etwa an den Ruhrschleusen Duisburg und Mülheim-Raffelberg noch im Griff zu halten sind, können selbst Experten nicht fundiert voraussagen.

Höhenunterschied von 36 Metern

Die marode Nordkammer in Wanne-Eickel hat schon vor zwölf Jahren ihren Betrieb eingestellt. Sie soll ersetzt werden.
Die marode Nordkammer in Wanne-Eickel hat schon vor zwölf Jahren ihren Betrieb eingestellt. Sie soll ersetzt werden. © Jakob Studnar | Unbekannt

Die Nordkammer in Wanne-Eickel wurde bereits vor zehn Jahren stillgelegt. Schon während des Baus der Südkammer in den Jahren 1991 bis 1994 hatte man auch über den Neubau der Nordkammer nachgedacht. „Die Planungen wurden dann jedoch zu Gunsten dringlicherer Infrastrukturprojekte zurückgestellt“, sagt Schlüter. Da jedoch die Mauern der Nordkammer durch Bergsenkungen stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, musste sie sicherheitshalber gesperrt werden.

Dabei sind die Schleusen auf den Kanälen lebensnotwendig. Allein zwischen Herne und Duisburg helfen sie den Schiffen, einen Höhenunterschied von 36 Metern zu überwinden. Fällt eine Schleuse auf dem Rhein-Herne-Kanal aus, müssen etwa die Tankschiffe, die Sprit von der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen abtransportieren, einen Umweg über den Wesel-Datteln-Kanal in Kauf nehmen, um nach Lingen zu kommen. Mehraufwand: 90 Kilometer.

Neu und Alt liegen in Wanne nebeneinander

In Wanne-Eickel liegen Moderne und Vergangenheit dicht beieinander. Die Südkammer – Baujahr 1994 – ist das Nesthäkchen unter den Schleusen im Ruhrgebiet. Bis Oktober 2016 war die Südkammer eine Schleuse wie jede andere. Seither ist ihr Leitstand verwaist. Dank ausgefeilter Kameratechnik wird sie von Herne Ost aus gesteuert.

Aus dem „Cockpit“ der Schleuse Herne-Ost steuer Schichtleiter Andreas Otto auch die Südkammer Wanne-Eickel.
Aus dem „Cockpit“ der Schleuse Herne-Ost steuer Schichtleiter Andreas Otto auch die Südkammer Wanne-Eickel. © Jakob Studnar | Unbekannt

Gleich daneben wachsen Birken in der Nordkammer der Schleuse Wanne-Eickel. Im Wasser schwimmt ein fetter Karpfen. 1914 gebaut, hat sie die meisten Dienstjahre auf dem Buckel. Und das sieht man ihr auch an. Durch Bergsenkungen ist die Nordkammer zwei Meter abgesackt und dabei „schief gekippt“ – wie es im Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) heißt. Zweimal wurden die Kaimauern aufgestockt. Doch die Wände bröckeln, das gewaltige Stahltor ist verrostet.

Seit nunmehr zwölf Jahren ist die Nordkammer geschlossen. Genauso lange reifen die Abriss- und Neubaupläne. Doch das Ziel rückt näher. 2021 sollen die Bagger rollen – wenn nichts dazwischen komme, heißt es beim WSA. Fest steht, dass der Neubau teuer wird. Die neue Schleuse in Minden kostete 80 Millionen Euro.

Investitionen stehen auch ein paar Kilometer weiter in Herne-Ost an: Dort plant das WSA den Bau einer hochmodernen Leitzentrale, die alle Schleusen im Umfeld fernsteuern soll. In Herne-Ost sind bereits Wanne-Eickel und Henrichenburg aufgeschaltet. „Die neue Leitzentrale soll zwölf Kammern steuern können“, sagt der kommissarische Amtsleiter Volker Schlüter. Das Problem: Die Kameras müssen tatsächlich in Echtzeit und ohne jede Verzögerung die Bilder von den Schleusen nach Herne übertragen.

„Der schönste Arbeitsplatz von Gelsenkirchen“

Norbert Hüls ist sichtlich zufrieden. Vor ihm Wasser, hinter ihm Wasser, an der Seite sprießendes Grün. „Ich habe den schönsten Arbeitsplatz in Gelsenkirchen“, sagt der Schichtleiter der Schleuse am Rhein-Herne-Kanal. Von seinem Steuerstand hoch über den beiden Schleusenkammern aus sorgt der 59-Jährige dafür, dass die Binnenschiffe sicher die 6,20 Meter Wasserhöhen-Unterschied in Gelsenkirchen überwinden können.

Schleusenwärter Norbert Huels in der Schleuse Gelsenkirchen.
Schleusenwärter Norbert Huels in der Schleuse Gelsenkirchen. © Jakob Studnar | Funke Foto Servises, Jakob Studn

Hüls ist bemüht, die Wartezeit der Schiffe so kurz wie möglich zu halten. Denn Zeit ist Geld für die Reeder, die Benzin von der BP-Raffinerie Gelsenkirchen geladen haben oder Kohle zu den Kraftwerken längs des Kanals bringen wollen. Zwei Kilometer vor der Schleuse melden sich die Schiffsführer an. Dann beginnt der Schichtleiter mit den Vorbereitungen. Wenn Norbert Hüls auf den Knopf drückt, hebt sich das 35 Tonnen schwere Stahltor und die Schleusenkammer füllt sich mit Wasser. „15 500 Kubikmeter in sieben Minuten. Das entspricht rund 75 000 Badewannen-Füllungen“, sagt Hüls. Wenn der Wasserspiegel auf der Höhe des Schiffes angelangt ist, kann es langsam in die 190 Meter lange Kammer einfahren. Nach dem Schleusen wird es wieder volle Fahrt aufnehmen – im Schnitt zehn bis zwölf Stundenkilometer. 40 Minuten müssen die Schiffsführer einplanen, wenn sie vor der Schleuse nicht im Stau stehen.

Bis zu 60 Schiffe werden täglich durchgeschleust

40 bis 60 Schiffe passieren täglich die Schleuse. 20 Millionen sind es jährlich, die zwischen Rhein und Kanal pendeln. Am stärksten befahren ist die Strecke „zu Berg“ zwischen Duisburg und Henrichenburg und „zu Tal“ in die andere Richtung. Weil sie den Verkehr auf den öffentlichen Wasserstraßen des Bundes sicherstellen, haben die Schleusen im Revier kaum Pausen. „Geschlossen haben wir nur in den Nächten von Samstag auf Sonntag und Sonntag auf Montag“, sagt Hüls. Ansonsten teilen sich fünf Mitarbeiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Duisburg-Meiderich (WSA), das für weite Teile des Ruhrgebiets zuständig ist, die 19 Schichten im Monat.

Auch als Aussichtspunkt ist die Schleuse Gelsenkirchen beliebt.
Auch als Aussichtspunkt ist die Schleuse Gelsenkirchen beliebt. © Jakob Studnar | Funke Foto Servises, Jakob Studn

Hüls kennt das Geschäft aus dem Eff Eff. Nach der Hauptschule in Herten machte er eine Ausbildung zum Bootsmann. Er heuerte bei der Mannesmann-Reederei an, versorgte die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann in Duisburg mit Erz. 1992 wechselte er zum WSA und arbeitete zunächst als Schiffsführer in Dorsten. Seit 2011 leitet er die Schleuse Gelsenkirchen. „Es kann nicht schaden, beide Perspektiven zu kennen – die des Binnenschiffers und die des Schleusenwärters.“ Seine „Kunden“ und er sprechen dieselbe Sprache.

Mehr Verkehr als auf der A42

Sprachlos ist der erfahrene Schifffahrts-Spezialist, wenn er von seinem Leitstand aus mit ansehen muss, wie im Sommer übermütige junge Leute von der Kanalbrücke auf Schiffe oder ins Wasser springen. „Das ist lebensgefährlich“, warnt Hüls. Wobei er sich durchaus darüber freut, dass die Kanäle im Ruhrgebiet zum Magneten für Touristen geworden sind. Der Schleusenwärter: „Hier geht es richtig ab. Zu Pfingsten ist auf dem Emscher-Radweg mehr Verkehr als auf der A 42.“

Kultur und Freizeit am Kanalufer

Wasser zieht Spaziergänger, Radler und Sportler magisch an. Da machen auch die Kanäle im Ruhrgebiet keine Ausnahme. Der Regionalverband Ruhr (RVR) nennt die zentrale Wasserachse durch die Region „Kultur-Kanal“, der quer durch den Emscher Landschaftspark verläuft. Herzstück ist der Rhein-Herne-Kanal, der auf 70 Kilometern vom Duisburger Innenhafen bis zum Dattelner Meer verläuft. Entlang der „Erlebnispassage“, rührt der RVR die Werbetrommel, sei alles möglich, was Freizeit ausmacht: Schifffahrten, Fahrradtouren, internationale Kunst, Ausstellungshäuser, Industriekultur und nicht zuletzt Entspannung am Ufer.

Mehr als 30 Kunstwerke treffen Touristen zwischen Duisburg und Datteln an. Ein raumgreifendes Stück steht sogar mitten im Kanal: die Großskulptur Reemrenreh von Bogomir Ecker in Herne. Ein anderes überspannt das Wasser: Die Brücke von Tobias Rehberger „Slinky Springs to Fame“ am Schloss Oberhausen. Auf Zeche Nordstern in Gelsenkirchen ist Markus Lüppertz’ „Herkules“ nicht zu übersehen.

Schiffsparade auf dem Kultur-Kanal

Kultur am Kanal: Schiffshebewerk Henrichenburg.
Kultur am Kanal: Schiffshebewerk Henrichenburg. © Jakob Studnar | Funke Foto Servises, Jakob Studn

An der Kanalroute liegen das Museum Küppersmühle für Moderne Kunst im Duisburger Innenhafen, das Museum der Deutschen Binnenschiffahrt in Ruhrort, die Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen, das Museum Strom und Leben in Recklinghausen, das Emschertal-Museum in Herne und natürlich das LWL-Industriemuseum Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop.

Am kommenden Sonntag, 30. April, steht der Rhein-Herne-Kanal wieder ganz im Zeichen der Schiffsparade Kultur-Kanal, die unter dem Motto „WasserWanderLust“ steht. Die Parade, die an die Kieler Woche erinnert, startet um 14 Uhr ab Nordsternpark Gelsenkirchen und endet gegen 16 Uhr am Kaisergarten Oberhausen. Zuschauer können das Spektakel vom Wasser und vom Ufer aus verfolgen. Die Veranstalter rechnen mit über 10 000 Besuchern. Neben der Mitfahrt auf Fahrgastschiffen ab Mülheim, Duisburg, Oberhausen und Essen findet erstmalig eine Fahrt auf der Barkasse Sgt. Pepper ab Recklinghausen statt.

Mehr Informationen über Freizeitmöglichkeiten auf der Kanalroute unter www.kulturkanal.ruhr