Essen. Die eigene Intuition entdecken: Logik und Bauchgefühl müssen einander nicht widersprechen - mit beidem zusammen kann man besser entscheiden.

Wenn man im Leben vor Entscheidungen steht oder etwas verändern will, worauf sollte man hören? Kopf oder Bauch? Klare Kiste, würden die meisten sagen, der Kopf geht vor. Und sie wären damit ein ganzes Stück rationaler als Albert Einstein. Denn als der damals 26 Jahre alte Physiker und Patentamts-Experte 1905 seine berühmte Relativitätstheorie formulierte, hatte er zwar schon ein gewaltiges Wissen angesammelt, aber seine bahnbrechende Theorie war zu diesem Zeitpunkt nichts weiter als eine recht ordentlich fundierte Ahnung. Und um sie zu beweisen, folgte Einstein nichts anderem als seiner Intuition. Zehn Jahre lang und mit sturem Vertrauen auf seine innere Stimme.


„Ich glaube an Intuition und Inspiration, und das ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt, während Phantasie die ganze Welt umfasst, den Fortschritt anregt und Bewertungen auslöst. Streng beobachtet ist es ein realer Faktor in der wissenschaftlichen Forschung“, so formulierte es der Physiker, der besagte zehn Jahre benötigte, seine Relativitätstheorie dann auch umfassend zu begründen.

Mehr als die trockene Logik

Gilt als Verfechter der Logik, doch traute seiner Intuition: Albert Einstein.
Gilt als Verfechter der Logik, doch traute seiner Intuition: Albert Einstein. © dpa | -


Vermutlich würde niemand behaupten, dass Einstein ein ausgewiesener Dummkopf war, weil er auf seine innere Stimme hörte. Im Gegenteil: Er folgte nicht nur der Rationalität, sondern bezog etwas mit ein, das darüber hinausging.

Nun stelle man sich die Frage: Will man selbst rationaler sein als Einstein? Jemand der dies sicherlich verneint ist Florian Ilgen. Er ist ein Typ, dem man als Autor eines Sachbuchs über Intuition im ersten Augenblick mit ein bisschen Misstrauen begegnen würde: Doktor ausgerechnet der Chemie, die ja erstmal nicht so viel mit der Intuition zu tun hat, sondern knallharte Naturwissenschaft ist; dann auch noch Mentalist, also eher ein Unterhaltungskünstler, der mit Bühnenzauberei und Gedächtnistricks sein Publikum fesselt; schließlich Keynote-Sprecher, hauptsächlich im Bereich der Motivation. Dennoch liefert sein erstes Buch „Die Macht der Intuition“ eine Menge guter Einsichten.

Intuition ist nicht das Gegenteil von Rationalität


Dabei darf man den Begriff „Bauchgefühl“ durchaus wörtlich nehmen: Unser Bewusstsein sitzt im Hirn, aber das Unterbewusstsein hat „einen großen Effekt auf unseren körperlichen Zustand“ – auch deshalb machen sich unsere Gefühle so oft im Bauch bemerkbar. Dabei sollte man nicht dem landläufigen Irrtum über die Intuition unterliegen: „Sie ist nicht das Gegenteil von Rationalität, sondern eine sehr nützliche Ergänzung. Sie erlaubt es, komplexe Sachverhalte und komplizierte Vorgänge schnell zu erfassen und zu reagieren, während unser bewusster Verstand gerade erst in die Gänge kommt“, meint Ilgen. Sie ermöglicht uns, in Gefahrensituationen schneller zu handeln. Der Mensch trifft am Tag 100.000 Entscheidungen, sehr viele von ihnen gehören zur Routine, viele treffen wir intuitiv – und nur wenige rational. „So gut wie jeder Manager und Arzt trifft ständig Bauchentscheidungen, aber man hat Angst, das öffentlich zu sagen“, kommt auch der Psychologe Gerd Gigerenzer zu Wort.


Warum eigentlich? Unter anderem, weil etwa Psychoanalytiker Sigmund Freud von einer Trennung von Bewusstsein und Unterbewusstsein ausgegangen ist – und damit auch eine Idee des Philosophen René Descartes aufgegriffen hatte, der Körper und Geist als unabhängige Systeme angesehen hat. Was nicht nur durch eigene Anschauung, sondern auch durch den portugiesischen Neurowissenschaftler António Demásio widerlegt ist, der mit seinen Arbeiten über die Wechselwirkungen von Körper und Bewusstsein die Hypothese von Descartes entkräftete. „Gefühle sind für gute Entscheidungen unerlässlich“, konstatiert Ilgen, weil sie helfen, unsere gemachten Erfahrungen zu bewerten. Und erst, indem wir eben diesen Erfahrungsschatz mit bewussten, rationalen Überlegungen und Fakten zusammenführen, können wir gute Entscheidungen fällen.

Erfahrungen regelmäßig neu bewerten

Vertraute in großem Maße seiner Intuition: Apple-Mitgründer Steve Jobs...
Vertraute in großem Maße seiner Intuition: Apple-Mitgründer Steve Jobs... © ullstein bild | CARO / Thomas Ruffer


Dabei kann es sehr nützlich sein, eine Art innere Wiedervorlage zu haben. „Hin und wieder macht es Sinn, diese abgespeicherten Inhalte noch einmal anzuschauen und auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Das geht aber nur, indem der betreffende Inhalt ins Bewusstsein geholt wird, quasi zur Bearbeitung. Ähnlich, wie wenn Sie ein Word-Dokument öffnen, weil Sie darin noch einmal etwas umschreiben wollen. Gerade wenn wir uns auf unbekanntes Terrain wagen, sollten wir unseren Gefühlen nicht blind vertrauen“, warnt Ilgen. Bewusstsein und Unterbewusstsein können hier gut zusammenarbeiten.

Überraschenderweise hat ausgerechnet Computerentwickler Steve Jobs, Mitgründer von Apple, dies beherzigt. Er hat auf seinen Reisen durch Indien entdeckt, dass die Menschen dort viel stärker ihrer Intuition vertrauen – und nutzte diese Erkenntnis, um seinen Horizont über die kalten Fakten und rein rationalen Entscheidungen hinaus zu erweitern. Vielen der von ihm entwickelten Produkte merkt man an, dass er nicht nur gefragt hat, ob sie funktionieren, sondern auch, ob sich ihre Benutzung auch noch gut anfühlt. Der Erfolg gab ihm recht. „Intuition ist meiner Meinung nach etwas sehr Mächtiges, mächtiger als der Intellekt. Das hatte einen großen Einfluss auf meine Arbeit“, sagte Apple-Chef Jobs.

Seine persönlichen Leidenschaften finden und ihnen folgen

Florian Ilgen.
Florian Ilgen. © Unbekannt | UDO MITTELBERGER


Wer bei seinen Entscheidungen die Intuition mit einbezieht, ist automatisch glücklicher mit ihnen. Ilgen empfiehlt gleich eine ganze Reihe von Techniken, so gebräuchliche wie Meditation, die Visualisierung von Zielen oder die Erweiterung des Horizonts durch die Beschäftigung mit neuen Themenfeldern. Er rät auch dazu, sich über seine eigenen Leidenschaften klarer zu werden, über die Dinge eben, die man liebt – und über jene, die man gut kann. Wenn es gelinge, die Schnittmenge von beiden zu finden, habe man seine Leidenschaft gefunden. Wenn man dieser folgt, wird man auch mit den Entscheidungen im Leben glücklicher sein – ganz der inneren Stimme folgend.


Florian Ilgen: Die Macht der Intuition – Warum Sie im richtigen Moment den Mut zur Veränderung haben müssen, Komplett Media, 224 Seiten, 22 Euro.