Essen. Bochum 1946: Zwei Frauen, ein Mädchen, ein Toter und ein unglaublicher Schatz – so beginnt Sabine Hofmanns Krimi „Trümmerland“. Ein Interview.
Vielleicht braucht es zeitliche, räumliche Distanz, um so klar zu sehen: Mit „Trümmerland“ hat Sabine Hofmann einen historischen Bochum-Krimi geschrieben, der die Nachkriegszeit höchst anschaulich schilder. Dabei hat die 1964 in Bochum geborene Autorin einen weiten Bogen gemacht: Nach dem Studium in Frankfurt lehrt sie heute Deutsch und Spanisch an einem Gymnasium im Odenwald, wo sie mit ihrer Familie lebt – und siedelte erste literarische Werke gar in Spanien an. Britta Heidemann sprach mit der 57-Jährigen.
Frau Hofmann, Ihre ersten Krimis schrieben Sie gemeinsam mit Autorin Rosa Ribas, sie spielten vor dem Hintergrund der Franco-Diktatur. Wie sind Sie von hier nach Bochum gekommen?
Sabine Hofmann: Als ich für die Barcelona-Krimis recherchiert habe, habe ich meine Co-Autorin Rosa Ribas immer ein wenig beneidet: Sie konnte bei den Recherchen mit ihren Verwandten über die Zeit, in der der Roman spielt, sprechen. Das Interessante dabei ist, dass diese Nachkriegszeit – für Rosa die spanische, für mich die deutsche – ein Teil unserer Kindheit ist, auch wenn wir selbst die Epoche nicht miterlebt haben. Aber die Geschichten von Tanten, Großtanten, Großeltern über die Kriegs- und Nachkriegszeit im Ruhrgebiet – die gehören zu meiner Kindheit in Bochum. So entstand die Idee, dieses Material zu nutzen. Mein Vater etwa ist 1943 als Achtjähriger in der Bochumer Rottstraße ausgebombt worden. Das Haus sah aus wie ein Puppenhaus, in das er hineinschauen konnte. Er konnte noch erkennen, wie die Küchenlampe über den Flammen hin und her pendelte…
„Ich habe viel gelesen, etwa eine Promotion über die Polizei in der Nachkriegszeit“
Und nun konnten Sie mit ihm diese Zeit erinnern?
Mein Vater ist inzwischen 86 Jahre alt, und wir haben noch mal eine Menge glückliche Momente erlebt – im Alltag vergisst er manchmal Dinge, aber an die Vergangenheit kann er sich oft noch gut erinnern. Und ich habe viel gelesen, Romane, Sachbücher, eine Promotion über die Polizei in der Nachkriegszeit, die Tageszeitungen ab 1946, da zitiere ich etwa aus den Kleinanzeigen. Aber ich habe auch in Bochum recherchiert, war im Polizeipräsidium, im Rathaus, dort gibt es unter dem Dach ein Bildarchiv mit Fotos aus der Zeit. Dann habe ich mit alten Stadtplänen und Karten gearbeitet, darunter eine, die die Briten mit ihren Aufklärungsflugzeugen erstellt haben.
Das klingt nach viel Arbeit – und nach Stoff für weitere Romane.
Ja, der nächste ist schon in Arbeit, wieder ein Nachkriegszeit-Krimi, da geht es um die Stahlindustrie, die ja Bochum über viele Jahrzehnte geprägt hat.
Gibt es reale Vorbilder auch für Ihre Figuren? Martha zum Beispiel ist ein richtiges Ruhrgebiets-Original, Polizist Dietrichs beinahe eine moralische Instanz.
Martha hat in der Tat einiges von meinen verschiedenen Großmüttern. Von der einen dieses sehr Resolute, den unbedingten Einsatz für die Kinder. Von der anderen den Bildungs- und Aufstiegswillen: Lernste watt, dann wirste watt – wenn du in der Schule tüchtig lernst, wirst du mal was Besseres. Marthas Wohnung gleicht der Wohnung einer meiner Tanten, die wir in den 70er Jahren häufiger in Bochum-Hamme besucht hatten.
Ich war als Kind immer ganz verblüfft darüber, dass sie kein Badezimmer hatte und in der Küche die Volksbadewanne an der Wand lehnte. Den Kommissar habe ich erfunden: Da wollte ich eine Figur, die, obwohl von Amts wegen involviert, versucht hat, sich weitgehend rauszuhalten, die Füße still zu halten, aber ihren moralischen Kompass halbwegs behalten hat.
Ist denn das realistisch?
Ja, solche Menschen gab es, auch bei der Polizei. Die Beamten sind oft in die SS eingetreten, weil sie sich Karrierechancen erhofft hatten – aber man musste das nicht!
Im Roman schildern Sie eine Exekution der Gestapo im Stadtpark.
Die gab es tatsächlich. Im Bochumer Stadtpark gibt es sogar eine Hinweistafel. Die Gestapo hatte ihr Hauptquartier ganz in der Nähe, in der Bergstraße. In den letzten Tagen des Krieges haben die Beamten ihre Gefangenen aus dem Keller in den Park geführt, dort erschossen und begraben. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden diese dann umgebettet und am Freigrafendamm bestattet. Anfang der 50er Jahre gab es einen Prozess gegen die beteiligten Gestapo-Beamten. Sie sind glimpflich mit Freiheitsstrafen von zwei bis drei Jahren davongekommen.
„Die Pandemie ist nicht mit dem Leben in den zerstörten Städten zu vergleichen“
Wie viele andere habe ich mich im März 2020 erschreckt, vor leeren Supermarktregalen zu stehen – relativiert sich dieses Erschrecken, wenn man über die Nachkriegszeit recherchiert?
Ja! Das relativiert vieles. Ich habe den Roman vor der Corona-Phase geschrieben, und während Corona dann den zweiten Roman. Dort erzähle ich dann zum Beispiel, wie die Schule bis zu den Osterferien ausfällt – 1946, weil kein Heizmaterial vorhanden ist. Oder erzähle von Hinweisen zur Typhus-Bekämpfung und hatte sofort das Wort „Hygienemaßnahmen“ im Kopf. Aber natürlich ist die Pandemie nicht mit dem Leben in den zerstörten Städten zu vergleichen.
Wie schauen Sie aufs heutige Ruhrgebiet?
Ich bin sehr gerne dort. Wir fahren dann viel Rad, gehen in Museen, sind auf Zollverein – machen im Grunde Ruhrpott-Tourismus. Andererseits sehe ich auch, dass meine Heimatstadt Wattenscheid weitaus heruntergekommener ist als noch in der Zeit meiner Kindheit. Was ich aber nun noch einmal sehr genossen habe: Mich an die Sprache meiner Kindheit zu erinnern, um im Roman einige Tupfer zu setzen. „Stickum“ oder „aufkröppen“, das sind wunderbare Wörter!
So liest sich Sabine Hofmanns Krimi „Trümmerland“: spannend und authentisch
„Immerhin“, sagt Martha, wenn ihre zwölfjährige Tochter Hella von ihren Streifzügen auf dem nahen Zechengelände heimkehrt: Brennholz, ein Stück Teerpappe – immerhin, kann man brauchen! Dann aber bringt Hella einen Mantel, in dessen Futter Bezugsscheine für Butter eingenäht sind. Und Edith, Marthas schillernde „Einquartierung“ aus Ostpreußen, spioniert den Schwarzmarkt aus. Doch bei dem Versuch, die Scheine gewinnbringend zu tauschen, geraten die Frauen an echte Kriminelle – und an Oberinspektor Dietrichs. Denn der Besitzer des Mantels, der liegt tot im Bombentrichter – ermordet, von wem?
„Trümmerland“ (Aufbau, 448 S., 12 €), Sabine Hofmanns erster historischer Bochum-Krimi, besticht durch genau recherchiertes Lokalkolorit und eine überraschende Krimihandlung, die auch die Rolle der neu formierten Polizei kritisch beleuchtet Der Roman erzählt von Verführungen und innerer Stärke, aber auch von Schuld und ihrer ganz persönlichen Aufarbeitung – unter Nachbarn, Kollegen.
Und wenn Martha sich über Ediths dramatische Auftritte aufregt, „unnütz, leicht und ein hauchdünner Luxus, wie eine Seidenschleife“ – dann sind diese doch auch ein Gruß aus leichteren Tagen. Und ein Versprechen: auf Zeiten, in denen man sich Launen wieder leisten kann.