Essen. Nicht mehr vor Weihnachten lieferbar: Papiermangel bringt die Buchbranche aktuell in Not. In Folge könnten Bücher im kommenden Jahr teurer werden.
Bücher gehören zu den beliebtesten Weihnachtsgeschenken und die Tage vor dem Fest zu den umsatzstärksten des Jahres – was aber, wenn die Bücher ausgehen? Mit „ein paar wichtigen Titeln“ sei man gerade nicht lieferbar, sagt etwa Jonathan Beck, Chef des traditionsreichen Verlags C.H.Beck: „Dazu zählt etwa Paul McCartneys Lyrics-Band“ – eine Prachtausgabe im Schuber, die trotz des stolzen Preises von 78 Euro derzeit weit oben auf den Bestsellerlisten steht. „Im Handel gibt es noch Exemplare“, gibt sich Beck verhalten optimistisch: „Es wird sich zeigen, wie lange der Vorrat reicht.“
Grund der Lieferschwierigkeiten: Papiermangel. Schon im Oktober hatten Verlage und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Alarm geschlagen, auf Engpässe und stark gestiegene Preise hingewiesen. Die Corona-Pandemie hat einen Trend befeuert, der sich seit einigen Jahren abzeichnet: Weil der Online-Handel viel Verpackungsmaterial benötigt, produziert die Papierindustrie mehr Kartons und Kartonagen – ein lukrativeres Geschäft als die Papierproduktion. So sank der Anteil der Produktion grafischer Papiere, die für den Buchdruck benötigt werden, von 50 Prozent im Jahr 2000 auf nur 28 Prozent im Jahr 2020.
Von der Corona- zur Papier-Krise: Die Pandemie hat die Lage verschärft
In der Pandemie kamen dann verschärfende Faktoren hinzu: Altpapier wurde knapper, denn im Lockdown schrumpften Zeitungsumfänge aufgrund geringerer Anzeigenaufkommen (die Geschäfte waren ja geschlossen). Der Preis für Altpapier – wichtiger Rohstoff für die Papierproduktion – stieg so allein im Verlauf des Jahres 2021 um 78 Prozent. Und auch der Rohstoff Zellstoff wurde teurer, teils verdoppelten sich die Preise; aus Zellstoff werden die in der Pandemie weltweit benötigten OP- und FFP2-Masken hergestellt.
„Im Schnitt ist der Papierpreis für die Verlage seit Jahresbeginn um 20 Prozent gestiegen“, so Thomas Koch, Sprecher im Börsenverein des deutschen Buchhandels. Hinzu kommt: „Es ist schwieriger geworden, eine Druckerei zu finden, die kurzfristig druckt. Papierbestellungen dauern das Vier- bis Sechsfache der bisher kalkulierten Zeit.“
Die Auswirkungen für die Branche: Lange Lieferzeiten und höhere Kosten
Die größeren deutschen Verlagshäuser denken bereits über eine eigene Bevorratung mit Papier nach. Bislang war es so: „Die Druckereien haben die Papierkontingente für ein ganzes Jahr ausgehandelt und die Papiere in den unterschiedlichen Papierklassen in deren Lagern bevorratet“, sagt Katrin Jacobsen, Herstellungsleiterin des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch. „KiWi“ gehört wie die Verlage Rowohlt, Fischer und Droemer zur Holtzbrinck-Gruppe und ist bislang noch nicht konkret betroffen von Lieferengpässen: „Unsere Verlagsauslieferung ist gut gefüllt.“
Für einige besondere Buchprojekte, etwa die Reihe mit Lieblingsbüchern von Illustratorin Kat Menschik, die ein besonderes Papier benötigt, hat der Verlag sich bevorratet: „Da haben wir bereits im Herbst ausreichend und in größeren Mengen Papier bei der Druckerei reserviert. Ansonsten hätten wir es mit Lieferzeiten von acht bis zwölf Wochen für das Papier zu tun. Das geht natürlich gar nicht.“ Und in anderen Fällen hieße es: flexibel sein. „Papier ist da, aber vielleicht nicht immer in der Papierklasse, die wir in der ersten Auflage hatten. Im Schwarz-weiß-Bereich gibt es immer mehrere Möglichkeiten.“
Wie ein Dortmunder Verlag kämpft: Manches Buch wird nicht mehr produziert
Schwieriger wird es beim Kunst- und Fotobuch. Der Dortmunder Verlag Kettler produziert rund 80 Titel jährlich im Bereich Zeitgenössische Kunst, Fotografie und Architektur, ist fester Publikationspartner etwa für das Baukunstarchiv und den Hartware Medienkunstverein in Dortmund, aber auch für das Emil-Schumacher-Museum in Hagen. Seit zehn Jahren hat sich ein kleines Team den Kundenstamm erarbeitet, jetzt aber sagt Herstellungsleiterin Anette Jeschke: „Wir haben eine dramatische Situation.“ Die Preise für die qualitativ hochwertigen Papiere seien „ins Unendliche geschossen“, so Jeschke, „und selbst mit den Standardpapieren kommen wir an Grenzen. Wir müssen enorme Kompromisse machen“.
Das bedeutet konkret: „Bei manchen Projekten, die wir noch in diesem Sommer mit unseren Partnern besprochen hatten, müssen wir uns nun eingestehen, dass wir sie so nicht mehr umsetzen können. Da kommt es schon zu dem Moment, wo Projekte auf der Kippe stehen, weil Künstlerinnen und Künstler – sehr berechtigt – an ihren Ansprüchen festhalten.“ Eine Lösung, die keine gute ist: Die Auflage „etwas herunterzuschrauben“, dies bei ohnehin kleinen Auflagen von einigen hundert Stück. „Wir hoffen und schieben Projekte aufs Frühjahr“, sagt Anette Jeschke.
Die Sorgen des Literaturbetriebs: Erstauflagen müssen jetzt festgelegt werden
Das Frühjahr planen – das aber ist angesichts einer Lage, die keine Entspannung in Aussicht stellt, ebenfalls schwierig. Die Druckereien geben aktuell den Druck, den die Papierindustrie macht, an die Verlage weiter, so Verleger Jonathan Beck: „Wir haben schon jetzt festlegen müssen, wie hoch die Erstauflagen für die Frühjahrstitel sind. Das entscheiden wir sonst vier Wochen vor Erscheinen, wenn wir mehr über die Nachfrage und die Bestellungen der Buchhändler wissen. Wie wahrscheinlich alle Verlage planen wir dann eher einen Tick zu viel als einen Tick zu wenig; denn es ist schlimm für Autoren, wenn ihr Buch nicht lieferbar ist.“
Was Kunden spüren werden: Manches Buch wird teurer werden
Was bedeutet der Kampf am Papiermarkt für die Kunden? Echte, andauernde Knappheit des Lesestoffs ist kaum zu erwarten. Eventuell aber eine Preissteigerung. Die Verlage halten sich traditionell bedeckt, was ihre Kostenkalkulation angeht. Bekannt ist: Etwa die Hälfte vom Kuchen namens Buch erhalten Vertrieb und Handel, die andere Hälfte verteilt sich auf Autorenhonorare, Personalkosten im Verlag, Werbemittel und, eben, den Druck. Jonathan Beck lässt sich in die Bücher schauen, „etwa fünf bis zehn Prozent“ betrage der Anteil der Papierkosten am Ladenpreis.
Also: Ein Buch, das 20 Euro kostet, müsste bei einer Preissteigerung des Papiers um 20 Prozent – 20 bis 40 Cent mehr kosten. Angesichts dieser aus Kundensicht noch überschaubaren Summe ist kaum zu erwarten, dass die Papierkrise das Medium Buch dauerhaft schwächt. Oder gar das lange Zeit von der Branche so beargwöhnte Ebook befeuert. Der Marktanteil elektronischer Bücher bewegt sich seit Jahren im mittleren einstelligen Bereich – und ist auch im ersten Halbjahr 2021 nur leicht auf 7,8 Prozent gestiegen.
„Ja, die Bücher werden ein bisschen teurer werden“, sagt Jonathan Beck: „Aus Kundensicht ist es aber doch so: Ein Taschenbuch kostet heute so viel wie drei Cappuccino im Café. Das größere Investment ist womöglich die Zeit, die man einem Buch widmet.“