Essen. Ken Follett rückt in „Never“ die Weltpolitik in den Fokus. Agenten sind unterwegs, der Frieden ist in Gefahr – und doch ist Platz für Gefühle.
Eine gestohlene US-Drohne wird benutzt, um eine Stadt in Afrika zu bombardieren. Der Anschlag zerstört auch chinesische Anlagen und verschärft die angespannten Beziehungen zwischen den Atommächten. In seinem neuen Thriller „Never“ fragt Ken Follett, ob der Automatismus von Reaktion und Gegenreaktion, der 1913 in den Ersten Weltkrieg führte, auch heute in einer Katastrophe enden könnte. Wolfgang Platzeck hat mit dem Autor gesprochen.
Ist „Never“ Ihr bisher politischster Roman?
Ken Follett: Ja, obwohl die meisten Charaktere nicht Politiker sind, sondern Agenten und Spione. Es geht um eine globale Krise, die nicht allein eine Krise der Politik ist. Der Roman zeigt, was passieren könnte. Und hoffentlich auch, wie wir eine Wiederholung der Abläufe von 1913 verhindern können, die zu einem Krieg führten, den niemand wollte.
US-Präsidentin Green rät ihrer Tochter: „Trau keinem Politiker, der eine einfache Lösung verspricht.“ Doch wenn selbst komplizierte Pläne zu scheitern drohen, was bleibt dann?
Bei kluger, erfolgreicher Diplomatie geht es immer um Kompromisse. Aber ich glaube, dass viele das nicht verstehen. Es heißt immer: Unser Land muss stark sein. Es wäre viel sinnvoller zu sagen: Wir müssen vernünftig sein.
Gilt das auch für Allianzen? Die engen die Entscheidungsfreiheit eines Staates ja erheblich ein.
Allianzen waren 1913 entscheidend, und sie sind wichtig in „Never“. Aber man kann solche Verträge auch brechen, wenn Nachteile überwiegen. Für China ist das ungeliebte Nordkorea das Bollwerk gegen Südkorea und die USA. Wenn diese teure Allianz nicht mehr nützlich wäre, würde China sie aufkündigen. Allianzen sollten enden, wo die Folgen unangemessen oder gar unverantwortlich sind und eigenen Grundsätzen widersprechen.
Präsidentin Green oder Pekings Meisterspion Chang Kai stehen in ständigem Kampf mit verblendeten Hardlinern. Und die sind kaum zu überzeugen.
Ich glaube, mein Buch überzeugt zumindest einige. Ich versuche, Menschen in meine Vorstellungswelt hereinzuziehen. Wenn die Leser die Story glaubhaft finden, dann denken sie bei der nächsten Krise vielleicht zweimal nach, bevor sie sagen: Mein Land muss stark und aggressiv sein.
Waffenhandel und Islamischer Staat sind Themen des Romans.
Die USA, denen ja selbst eine Drohne gestohlen wurde, werfen China vor, nicht zu überprüfen, wohin ihre Waffen letztlich gehen. Nordkorea hat ohnehin nur einen erfolgreichen Geschäftszweig: Bau und illegaler Verkauf von Waffen. Viele landen in Afrika, auch beim IS. Wir wissen, dass der sich über Drogenhandel und Schleusertum finanziert. Bekannt ist auch, dass Migranten oft als Sklaven verkauft werden. Es gibt zudem geheime Goldminen in Libyen. Ich habe diese Fakten zusammengeführt in einer denkbaren Goldmine, die von IS und Nordkorea als Sklavenlager und Drogendepot betrieben wird.
Wo liegt die größere Gefahr, beim IS oder Nordkorea?
Es gibt keine Hauptbedrohung, nur eine komplexe Reihe von Aktionen. Die schlüssig zu verbinden, war eine Herausforderung. Bei einer zentralen Bedrohung ist es leicht, alles dreht sich darum. Viel schwieriger ist es, wenn eine Krise nicht von einer Person, einem Land ausgeht, sondern die Folge unvorhersehbarer Interaktionen unterschiedlichster Menschen und Gruppen ist.
Wir begegnen wieder vielen starken Charakteren. Besondere Aufmerksamkeit widmen Sie Pauline Green. Sie ist einerseits die mächtigste Frau der Welt, stößt aber als Ehefrau und Mutter an ihre Grenzen.
Leser müssen die Gefühle dieser Charaktere teilen. Das ist leichter, wenn sie sich normal verhalten. Wenn Green oder Chang ihr Büro verlassen, dann sind auch sie einfach nur noch Menschen mit Sorgen, die uns vertraut sind.
Wie sehen Sie sich, als skeptischen Optimisten oder nüchternen Realisten?!
Im Grunde bin ich Optimist. Doch mit Blick auf Weltgeschehen und internationale Diplomatie denke ich, wir leben in einer Zeit, in der man nicht pessimistisch sein sollte. Wohl aber ernsthaft besorgt.