Washington. Jennifer Hudson spielt Aretha Franklin: Regisseurin Liesl Tommy setzt der Soul-Königin Franklin mit „Respect“ filmisch-musikalisches Denkmal.

Jennifer Hudson kann nicht wie Aretha Franklin singen. Niemand auf der ganzen Welt kann das.

Aber wenn es jemand versteht, der 2018 mit 76 Jahren gestorbenen „Queen of Soul” posthum auf der Leinwand Leben und Grandezza einzuhauchen, wenn jemand nacherlebbar machen kann, wie es ein kleines Mädchen aus Memphis/Tennessee zur konsensstiftenden, Ehrfurcht gebietenden Künstlerin bringen konnte und selbst coole Jungs wie Barack Obama aus der Fassung, dann ist es die über die TV-Talenteschmiede „American Idol” selbst zu erklecklichem Ruhm gekommene Hudson.

In „Respect”, benannt nach dem gleichnamigen Otis Redding-Lied, das Franklin Mitte der 60er Jahre im Sinne früher Emanzipation vom Kopf auf die Füße stellte und zu ihrem musikgenetischen Fingerabdruck machte, zeigt die 40-Jährige nun auch in deutschen Kinos, warum die Unerreichte auch noch heute Millionen Menschen Wasser-Hochstände in die Augen treibt.

Jennifer Hudson hatte 13 Jahre Zeit, sich auf die Anverwandlung vorzubereiten

Jennifer Hudson hatte 13 Jahre Zeit, sich auf die Anverwandlung vorzubereiten. 2007 gewann sie den Nebendarsteller-Oscar für ihre Rolle in „Dreamgirls”; die wilde Geschichte von Diana Ross und den Supremes. Für Franklin, die zeitlebens mit Lob für Branchen-Kolleginnen dezidiert sparsam umging und einst an Taylor Swift vor allem die „großartigen Abendkleider” gut fand, muss das so eine Art bestandener Elchtest gewesen sein.

Sie sprach die Wesensverwandte, beide Frauen kommen aus dem Kirchenchor-Milieu, beide mussten den Tod von Familien-Mitgliedern durch Krankheit bzw. Verbrechen verkraften, umgehend an. Schon war Hudson bereits zu Lebzeiten nominiert, dereinst ihren Nachlass zu verkörpern.

Womit Jennifer Hudson im echten Leben bereits bei der Beerdigung von Franklin begann. Damals sang sie eine herzerweichende Version von „Amazing Grace”. Das Lied begründete 1972 durch ein gleichnamiges Live-Album, das in einer Baptisten-Kirche in Los Angeles aufgenommen wurde, nach Alkohol-Eskapaden und privatem Herzeleid Franklins endgültigen Aufstieg in den Soul-Olymp.

Im Film von Regisseurin Liesl Tommy, die eigentlich vom Theater kommt, bildet das Meisterwerk den Schlusspunkt nach 140 die Seele massierenden Kino-Minuten.

Regisseurin Liesl Tommy wickelt den Lebensfaden von Aretha Franklin geordnet auf

Bis dahin wickelt die Südafrikanerin den Lebensfaden von Aretha Franklin geordnet, ja fast chronologisch auf. Da sind die Vorsing-Spielchen als kleines Mädchen, Spitzname „Ree”, vor staunenden Erwachsenen. Da ist der frühe Herzinfarkt-Tod der Mutter. Und die erste Schwangerschaft mit zwölf Jahren. Da sind die intensiven Gospelgottesdienste ihres heilig-hurigen Vaters Reverend Clarence LaVaughn Franklin (gediegen-streng: Forest Whitaker) in Detroit, bei dem sich Duke Ellington und andere Größen die Klinke in die Hand gaben. Da ist der vermaledeite erste Plattenvertrag mit 18 bei Columbia Records, wo man - anders als später bei Jerry Wexlers Platten-Label „Atlantic” - nicht begreifen wollte, dass man dieser Virtuosin keine Fesseln anlegen darf. Nur befreit von kompositorischen Zwangskorsetten und Zuckerguss-Arrangements konnte sich die Einzigartigkeit von Aretha Franklin entfalten.

Hudson lernte für den Film eigens Klavier. Auch deshalb gelingt ihre die Interpretation dieser Naturgewalt, die Wände wackeln lassen konnte, absolut überzeugend. Etwa bei einem triumphalen Auftritt im New Yorker Madison Square Garden. Oder bei der legendären Aufnahme von „I Never Loved a Man The Way I Loved You“ 1967 in den hinterwäldlerisch gelegenen Fame-Studios von Muscle Shoals/Alabama; eingespielt mit einer rein weißen Begleitband.

Jennifer Hudson singt live, ohne Lippen-Synchronisierung und Klimbim beim Abmischen

Anders als die schauspielerisch begnadete Britin Cynthia Erivo, die in dem TV-Doku-Dreiteiler „Genius” Aretha Franklin spielt, singt Hudson live, ohne Lippen-Synchronisierung und Klimbim beim Abmischen. Das macht bei Klassikern wie „Ain`t No Way,” „Chain of Fools”, „Natural Woman” oder „Think” die halbe Welt aus. Man fühlt sich im Kino wie im Konzert. Man möchte tanzen. Und jauchzen. Hudsons Stimme tönt höher, runder und klarer als das bluesigere, grobkörnigere Organ ihres Idols. Aber das tut der Wirkung überhaupt keinen Abbruch.

Zu den Film-Momenten, die länger unter die Haut gehen, gehört neben einem Kurzauftritt von Mary J. Blige (als Dinah Washington) Aretha Franklins Auftritt bei der Trauerfeier ihres verehrten Wegbegleiters Dr. Martin Luther King, der in ihrer Heimatstadt Memphis ermordet wurde.

In einem Augenblick tiefster Schwärze für ganz Amerika öffnete sich 1968 allein durch ihre Stimme ein Fenster zum Licht. Jennifer Hudson hat dieses Leuchten in die heutige Zeit hinübergerettet.