Essen. Wincent Weiss legte mit seiner Karriere einen Raketenstart hin. Im Interview verrät er, dass der Erfolg auch Schattenseiten hat.

Kaum zu glauben, aber bei „Deutschland sucht den Superstar“ kam Wincent Weiss 2013 zwar unter die letzten 29 Kandidaten, schied dann aber aus. Nun, acht Jahre später, ist er eben doch jener deutsche Superstar. Hits wie „Musik sein“ und „Feuerwerk“ brachten dem 28-Jährigen aus Bad Oldesloe u.a. einen MTV Europe Music Award und die Goldene Henne ein. Nun veröffentlichte er das dritte Album „Vielleicht Irgendwann“. Mit Kirsten Gnoth sprach Wincent Weiss über die neue Platte, den „Winter“ in ihm und die Liebe zum Metal.

Das neue Album heißt „Vielleicht Irgendwann”. Gibt es Dinge, die Sie mit diesem Satz auch ständig vor sich herschieben?

Ja, leider viel zu viele. Ich habe mir dieses „Falls-Muster” angewöhnt, mit dem ich alles vor mir herschiebe. Machste später, machste morgen und aus diesem morgen wird dann eine ganze Woche oder ein Monat. Dann hat man sich wieder eine Woche oder einen Monat nicht mehr bei der Familie oder den Freunden gemeldet. Das ist ein Ding, das ich noch versuche abzulegen. Aber das geht nicht von heute auf morgen, sondern passiert vielleicht irgendwann (lacht).

Das Album ist deutlich melancholischer als das davor. Woher kommt die frostige Stimmung wie etwa im Song „Winter”?

Ich musste selbst eine frostige Zeit durchmachen und hinter mich bringen. Nach dem zweiten Album ging es bei mir persönlich auch so ein bisschen bergab. Die ganzen Eindrücke wurden zu viel und ich konnte es nicht verarbeiten. Ich hatte ja kein gesundes Wachstum in meiner Karriere. Der erste Song war gleich erfolgreich -- es war ein echter Raketenstart. Ich habe in fünf Jahren mehr erlebt, als ich mir für fünfzehn Jahren vorgenommen habe. Das war ein bisschen viel auf einmal. Da ich über alles schreibe, was ich erlebe, schreibe ich natürlich auch über die negativen Dinge. Ich möchte nicht nur der Typ von „Musik sein”, „Wunder” oder „Feuerwerk” sein, nur weil ich Deutsch-Pop mache. In der Lockdownphase hatte ich viel Zeit, Dinge Revue passieren zu lassen. Aber ich hatte auch das erste Mal Zeit für mich selbst und zur Reflexion. Da ist viel zusammengebrochen. Ich habe einfach alles aufgeschrieben und dann auf ein Album gepackt.

Das klingt nach einer düsteren Zeit. Wie haben Sie es aus dem Loch geschafft?

Ich bin wirklich zur Therapie gegangen und habe mir professionelle Hilfe geholt. So bin ich aus der leicht depressiven Phase gekommen – zuerst mit Therapie und dann mit der Hilfe von Freunden und Familie. Mit meiner Therapeutin habe ich ganz viel gesprochen und sie hat einfach nur die richtigen Fragen gestellt. Durch das ganze Quatschen habe ich eine große Selbsterkenntnis erlangt und konnte viele Probleme selbst lösen. Man kann das Leben besser sortieren. Ich habe gelernt, dass Reden der Schlüssel zum Erfolg ist – ob nun mit Freunden, Familie oder meinem Produzenten. Sonst war ich einfach gut darin, wie wir am Anfang schon gesagt haben, Dinge und Probleme vor mir her zu schieben. In der Therapie wird aus dem „machste morgen” ein „jetzt”.

Sie haben es gerade schon angesprochen: Ihre Karriere begann mit einem Raketenstart. Gibt es etwas, dass Sie ihrem jüngeren Ich heute mit auf den Weg geben würden?

Ich finde, ich habe alles learning-by-doing-mäßig ganz gut gemacht und würde es auch genauso wieder machen. Aber vielleicht würde ich ihm sagen, dass er nicht alles auf einmal machen soll. Step-by-step ist auch cool. Außerdem würde ich ihm raten, sich Leute zu suchen, denen er vertraut und dann Arbeit an sie abgeben. Ich bin nämlich ein totaler Kontrollfreak und möchte, dass alles über meinen Schreibtisch geht. Ich bin ein absoluter Workaholic geworden und tue mich ganz schwer damit, Aufgaben abzugeben. Ich kontrolliere sie dann eh noch mal und dann kann ich sie auch gleich selbst erledigen. Ich muss wirklich noch lernen, nicht alles allein zu machen. Aber ich bereue nichts im Leben. Die Schule des Lebens, ist die beste, die man machen kann.

Kommen wir noch mal zurück zur Single „Winter”. Das Video haben Sie aber nicht wirklich in der Arktis gedreht, oder?

Das wollte ich, durfte es aber nicht. Reiseverbote, Quarantänetage – das ist alles gerade nicht möglich gewesen. Von daher waren wir in einem kleinen Studio mit einer LED-Leinwand.

Vor der präsentieren Sie sich auch in Unterwäsche. War der Schritt schwierig?

Ich wollte eigentlich sogar ganz nackt sein. War ich in den ersten Aufnahmen auch. Es ist ja nur ein Silhouettenschuss, bei dem man mich schwarz vor weiß sieht. Ich hätte es ästhetischer und künstlerisch schöner gefunden, wenn man nicht diese Wölbung von der Boxershorts gesehen hätte. Es ging mir nicht darum, mich unbedingt irgendwo nackt zu präsentieren. Es war für mich ein ästhetischer Schuss. Ich dachte mir dann aber: „Komm, du bist bei The Voice Kids und hast viele junge Follower – zieh dir ne Hose an.”

Sie machen sich in dem Song ja nicht nur körperlich nackt, sondern auch seelisch. War das schwierig?

Ich fand es nicht schwierig, das zu schreiben. Für mich sind Songs auch immer Momentaufnahmen. So ein Lied wie „Winter” entsteht an einem Tag, an dem es mir mal schlecht geht. Aber das ist natürlich kein Dauerzustand. Das versuche ich auch immer den Fans zu erklären. „Winter” habe ich Anfang 2020 geschrieben. Heute geht es mir natürlich nicht mehr so, wie es mir vor einem Jahr ging. Für die Menschen ist es, wenn der Song rauskommt, aktuell. Sie denken, dass es der Jetzt-Zustand ist.

Viele der Songs auf dem neuen Album sind knackig kurz. Wie kam es dazu?

Ich finde es eigentlich schade, dass sie nur so kurz sind. Ich würde gerne wieder längere Songs machen. Aber der Trend geht gerade zu kürzeren Liedern. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass alles immer schneller und kompakter wird. Auf Social Media guckst du 80 Videos in drei Minuten. Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen, die die Musik hören, wird aber immer kürzer. Ich sehe das bei meiner eigenen Schwester – sie ist 17. Wenn ich mit ihr im Auto sitze, hört sie eine Strophe und den Refrain und skippt dann den Song. Das macht mich wahnsinnig. Ich habe die Geschichte doch noch gar nicht zu Ende gehört. Sie sagt dann: „Wieso? Die Melodie wiederholt sich danach doch nur noch.” Aber bei den Songs meines Albums hatte ich die Geschichten tatsächlich auch schon zu Ende erzählt. Und dann möchte ich mir auch nichts mehr ausdenken, um den Song zu längen.

Sie selbst nehmen sich in einem Punkt besonders viel Zeit – wenn es um Ihre Fans geht. Wie würden Sie die Beziehung zu ihnen beschreiben?

Ich lehne mich jetzt mal ein bisschen weit aus dem Fenster. Ich glaube, es gibt in Deutschland keinen Künstler, der so interaktiv mit seinen Fans agiert. Das soll nicht egoistisch klingen, aber wir arbeiten wirklich viel mit den Fans zusammen. Wir erarbeiten gemeinsam Sachen, haben Zoom-Meetings zusammen, ich fahre privat zu denen nach Hause und bastele Weihnachtsgeschenke für sie. Ich versuch die Verbindung, so gut es in Corona-Zeiten eben geht, aufrecht zu erhalten. Ich poste jeden Tag bei Instagram, mache jeden Tag Stories und antworte auf Kommentare. Ich möchte damit etwas die Nähe kompensieren, die ich sonst bei Konzerten mit meinen Fans habe. Ich bin sonst durch die Menge gegangen, habe Leute umarmt und mit ihnen gequatscht. Das ist jetzt natürlich nur über Social Media möglich. Aber es klappt gut. Meine Fans sind unfassbar.

Das klingt so, als würden Sie eine Menge von Ihren Fans zurückbekommen?

Zu Weihnachten habe ich drei Fans besucht. Als ich Ihnen die Geschenke überreicht habe, haben sie angefangen zu weinen. Das war ein so schönes Gefühl: Geben ist eben viel besser als nehmen. Aber klar, ich bekomme auch viel zurück. Die Leute lieben meine Musik und kaufen natürlich auch das Album. Aber sie machen noch so viel mehr. Wenn ich abends bei The Voice bin, gehen die Fans in Facebook-Gruppen oder auf Instagram live und schauen es gemeinsam. Es ist eine große Gemeinschaft geworden und das ist geil. Musik verbindet Menschen und das haben wir in einer riesengroßen Anzahl geschafft.

Die Fans dürfen Sie momentan auch noch in einer anderen Rolle sehen. Sie sind Teil einer Modelkampagne. Können Sie sich das als zweites Standbein vorstellen?

Es war vor der Musik mal mein erstes Standbein. Ich habe ein bisschen gemodelt und mir damit meinen Lebensunterhalt verdient. Von daher fand ich es geil, beides nun zu kombinieren. Ich bin ja als Musiker gebucht, der auch modeln darf. Es war mir wichtig, die Musik damit zu verbinden. Es ist eine Ehre, als Werbegesicht für so eine riesige Marke wie Tommy Hilfiger zu arbeiten. Ich sehe mich plötzlich in Parfümerien als Plakat hängen. Das war schon geil. Für das Vorabgespräch wurde ich nach London eingeflogen. Das Gespräch war in einem poshen Restaurant. Da fühl ich mich immer unwohl, weil ich überall mit Jogginghose und Pulli rumlaufe (lacht). Mir persönlich reicht die Bierbank am Späti (Abkürzung für Spätkauf in Berlin, Anm. der Red.). Aber ich bin natürlich dankbar, dass ich solche Dinge erleben darf.

Eine nette Anekdote zum Schluss. Privat hören sie kein Deutsch-Pop, sondern härtere Sachen. Dürfen wir uns vielleicht irgendwann auch auf ein Metal-Album freuen?

Ich hoffe. Ich versuche peu à peu auch rockigere Elemente in meine Musik einzubauen. Bei ein, zwei Nummern haben wir auch einen Metal-Gitarristen dabeigehabt und ich konnte etwas kratziger singen. Also es wird schon noch mal kommen. Ich weiß nur noch nicht, wann. Ich habe richtig Bock auf so eine Band, die so was macht wie Linkin Park. Und dann bin ich einfach einer von vielen Bandmitgliedern.

Das Album live:

Das Album „Vielleicht Irgendwann“ ist unter anderem über wincentweiss.de

Tour 2022: 27.5. Dortmund (Westfalenhalle 1), 31.5. Köln (Lanxess Arena), 18.6. Olpe (Biggesee), 25.8. Gelsenkirchen (Amphitheater). Tickets ab ca. 40 €.