Dortmund. Die Ausstellung „Horror im Comic“ läuft noch bis August. Kurator Dr. Alexander Braun erklärt, warum die Illustrationen realer sind als gedacht.

Eigentlich fühlt sich Kurator Dr. Alexander Braun gar nicht so wohl dabei, in Zeiten, in denen Putin die Ukraine bombardiert, so etwas Profanes wie eine Comic-Ausstellung zu begleiten. Andererseits passen die Exponate im Dortmunder schauraum: comic + cartoon ganz gut zur aktuellen Situation.

„Eigentlich ist das das Thema von Horror. Es ist von jeher immer ein Bereich der Kultur gewesen, der diesen dunklen bösen Bereich erkundet, indem etwas stattfindet, das wir uns nicht vorstellen können oder wollen.“ Nur dass der dargestellte Horror im Schauraum lediglich bunt auf weiß existiert und der Imagination kreativer Zeichner entsprungen ist.

Der Schauraum zeigt „Comic im Horror“

Und die springt dem Besucher direkt zu Beginn ins Auge: Die gegenüberliegende Wand vom Eingang ist mit einer bemerkenswerten Zeichnung Bernie Wrightsons’ tapeziert: Sie hält die berühmte Frankenstein-Laborszene fest.

Die eindrucksvoll arrangierten, unterschiedlichen Feder- und Tuschestriche lenken beinah schon vom dargestellten Horror ab – ein abartiges Monster, das Dr. Frankenstein am Kragen packt, auf dem Labortisch liegt schon seine Braut bereit. Der Raum ist über und über vollgestellt mit Instrumenten und Glasphiolen.

Frankenstein in Illustrationen gebannt

„Acht Jahre lang hat er an der Illustration zu Mary Shelleys Frankenstein gearbeitet, ohne einen Verlag zu haben“, erklärt Dr. Alexander Braun. Für Wrightsons sei es eine Herzensangelegenheit gewesen, den Roman adäquat zu illustrieren.

Noch bis August sind die Horror-Comics zu begutachten.
Noch bis August sind die Horror-Comics zu begutachten. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Publiziert wurde sein Werk schließlich 1983. Und auch wenn es sich dabei nicht um ein klassisches Comic handelt, so wurden die Frankenstein-Illustrationen „zu einem Leuchtturm der Comic-Geschichte des 20. Jahrhunderts“, heißt es im Ausstellungskatalog.

Geister, Zombies und andere Monster

Neben der überdimensionalen Darstellung des wohl berühmtesten Monsters der Literaturgeschichte zeigt die Dortmunder Ausstellung Originalzeichnungen aus 70 Jahren Comic-Horror: von Dracula und Frankenstein über Geister und Dämonen bis zur Zombie-Invasion der Walking Dead und japanischem Manga-Gore.

Einen „leichten“ Einstieg bieten Geistergeschichten, u.a. von Mickey Mouse. Zeichner Floyd Gottfredson hat die damalige Abenteuermaus mit Donald Duck und Goofy in einem Spukhaus verortet. „Das sind sehr seltene Streifen“, so Braun. „Das ist eines unserer Highlights, aus dieser Geschichte haben nur zwei Streifen überlebt.“

Manga-Gore aus Japan und italienische „Fumetti Neri“

So vergleichsweise seicht bleibt es allerdings im weiteren Verlauf der Exposition nicht – Vampire, Werwölfe, Monster, Dämonen aus der Hölle, dem Weltraum, der Tiefsee …

Manga-Gore aus Japan wird thematisiert – das Genre verarbeitet die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 – ebenso wie die italienischen „Fumetti Neri“ (Schwarze Comics), kleine schwarz-weiße Taschenbücher aus den 60ern. Aber auch die mittlerweile als Streaming-Serie aufbereitete „The Walking Dead“-Reihe spielt eine Rolle.

Kontroverse Diskussionen um „Horror im Comic“

Dabei bildet die aktuelle Zombie-Hysterie nur den vorläufigen Abschluss einer Historie, die in den 50er-Jahren beginnt. Den Startschuss lieferte der EC-Verlag, heute vor allem bekannt als Herausgeber des „MAD“-Magazins.

So nischig das Thema „Horror“ seinerzeit war, so kontrovers wurde es diskutiert. Als der EC-Verlag 1950 die ersten Streifen herausbrachte, waren die kleinen Bildchen aus dem Stand so erfolgreich, dass ein regelrechter Boom ausgelöst wurde.

Horror-Comics gleichgesetzt mit Rock’n’Roll

„Am Ende war die Horror-Comic-Produktion so groß, dass der EC-Verlag nur noch drei Prozent der Gesamtproduktion ausgemacht hat“, erklärt der Kurator. Für den Rest zeichnete die Konkurrenz verantwortlich.

So oder so: Der Erfolg fand nur vier Jahre später ein jähes Ende, als ein Zensurcode verabschiedet wurde. Was der Rock’n’Roll für die Musik bedeutete, repräsentierte der Horror für die Comicindustrie – verpönt von der konservativen Seite der Gesellschaft: Eltern, Lehrer, die Kirche, Politiker gingen auf die Barrikaden angesichts der dargestellten Szenarien.

„Wenn Kinder das lesen, werden sie kriminell“

Die aufkeimende, ganz eigene Jugendkultur war unerwünscht – und gipfelte in Comicverbrennungen. Die Diskrepanz lag darin, dass Comics oder Comicstrips seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Erwachsenensache waren. Das Medium Comic schuf sich erst mit der Einführung der Superhelden eine neue Zielgruppe.

„Nämlich Kinder und Jugendliche, die diese Hefte von ihrem Taschengeld kauften“, so Dr. Alexander Braun. „Dieser Krieg gegen das Comic-Heft, der dann nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, war letztlich auch ein Kulturkampf der Generationen.“ Der deutschsprachige Psychiater Dr. Fredric Wertham brach es auf den Satz herunter: „Wenn Kinder das lesen, werden sie kriminell.“

Comics gegen Rassismus und Antisemitismus

Die Problematik: Die neue Nische stellte auf drastische Weise „dysfunktionale Situationen, sei es in der Familie oder in der Gesellschaft“ dar. Die illustrierte Metaphorik prangert Rassismus, Antisemitismus, Bigotterie und Militarismus an.

Superhelden sucht man im Horror-Genre beinah vergebens.
Superhelden sucht man im Horror-Genre beinah vergebens. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

„Die Essenz dieser Geschichten waren ein Plädoyer für die amerikanische Verfassung, für die Freiheit, für Liberalismus, für das Miteinander … Und dieser gute Kern ist mit der Zensur 1954 vernichtet worden.“

Zensur-Code bannt alle „Erwachsenen-Themen“

Der von der Comic-Industrie selbstauferlegte Zensur-Code bannte schließlich quasi alle „erwachsenen“ Themen: nicht nur Horror und Crime, sondern auch jegliche politischen, religiösen oder gesellschaftskritischen Themen.

Superhelden und niedliche Tiere herrschten wieder vor. „Und beim Thema Zensur sind wir dann ja auch quasi schon wieder in der Gegenwart angekommen“, resümiert Braun. Nur, dass sich der reale Horror nicht so leicht weglegen lässt wie ein Comic-Heft.

>>> Info:

Horror im Comic. 70 Jahre Grusel und Schrecken, bis 14.8., Di+Mi+Sa+So 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, schauraum: comic + cartoon, Max-von-der-Grün-Platz 7, Dortmund. Eintritt frei.

Rahmenprogramm: Öffentl. Führungen sonntags 13-14 Uhr; Am 31.3. ist Dr. Mark Benecke zu Besuch; 7.4. „Comic-Streit“ im Zeichen des Horrors. Mehr Infos unter www.dortmunder-museen.de