Essen. Die Kölner Musiklegende Wolfgang Niedecken ist jetzt 70 Jahre alt. Ein Gespräch über Corona, das Opa sein, seinen Schlaganfall und Dieter Bohlen.
Wolfgang Niedecken hat Musikgeschichte geschrieben. Jetzt ist der Kölner Künstler 70 Jahre alt geworden. Im Interview mit Reinhard Franke spricht er über sein persönliches Erleben der Corona-Pandemie, das Gefühl Opa zu sein, seinen Schlaganfall – und sein Verhältnis zu Dieter Bohlen.
Herr Niedecken, wie geht es Ihnen kurz vor Ihrem 70. Geburtstag mitten in der Corona-Pandemie? Wolfgang Niedecken: Ich kann nicht klagen. Es gibt weltweit deutlich mehr Menschen, die größere Probleme haben als ich. Ich bin ziemlich flexibel und es bleibt einem auch gar nichts anderes übrig. Als Corona genau vor eine Jahr losging, dachten alle, dass das im Laufe des Sommers gegessen sein wird. Doch inzwischen wissen wir: Nichts ist gegessen! Die Pandemie zieht sich furchtbar, aber ich hüte mich davor, mich großartig zu beklagen. Weil das wäre ungerecht den Leuten gegenüber, denen es richtig schlecht geht.
Vor einem Jahr wurden Sie Doppel-Opa. Wie hat Sie das verändert?
Das hat so ziemlich alles verändert. Im Abstand von neun Tagen wurde ich zwei Mal Großvater. Das ist eine Erfahrung, die kann man gar nicht so richtig beschreiben. Ich habe vier Kinder, aber Großvater werden ist was Anderes. Als ich den kleinen Noah sah, lief in meinem Kopf ein Daumenkino ab. Die Geburt meiner Tochter Isis, die mich zum Opa gemacht hat, habe ich noch komplett auf dem Schirm. Die 27 Jahre dazwischen sind wie im Flug vergangen. Aber ich kann mich an sehr viele schöne Begebenheiten und Details erinnern, und jetzt ging das wieder los. Nur jetzt bin ich in einer anderen und bequemeren Rolle, denn ich muss ja nachts nicht aufstehen. Das ist dennoch eine sehr emotionale Geschichte.
Und wie lebt Opa Niedecken diese emotionale Geschichte?
Ich bin kein großer Technik-Fan, bin mehr so der Analog-Man. Aber ich freue mich wirklich, dass es sowas gibt wie Whatsapp-Gruppen oder Facetime. Wenn meine Frau und ich in Köln wach werden, ist das erste, was wir sagen ‘Gibt es schon etwas Neues auf Noah-TV?’. Wir sind auf dem Laufenden und bekommen seine Entwicklung mit.
Wie feiern Sie dieses Jahr Ihren Geburtstag?
Ich freue mich auf meinen Geburtstag, weil dann alle da sind. Dieses Mal im engsten Kreis im Wohnzimmer und mal nicht die Lanxess Arena. (lacht) Das liebe ich. Entweder ganz groß als Konzert oder kuschlig daheim. Ich habe im Laufe der letzten vier Jahrzehnte oft am Geburtstag auf der Bühne gestanden.
Auf was stehen Sie so gar nicht am Geburtstag?
Was ich nicht gut finde, sind zwanghafte Kompromiss-Veranstaltungen. Der und die müssen noch eingeladen werden, weil sie sonst beleidigt sind. Das mag ich nicht so gerne. Innerhalb der Familie fühle ich mich natürlich pudelwohl.
Wie ist Wolfgang Niedecken als Vater mit 70?
Liebevoll. Aber ich sitze noch nicht mit der Pfeife im Sessel. (lacht) Das wird bestimmt, wenn auch ohne Pfeife, kommen. Ich genieße das Familienleben, habe es am liebsten, wenn sie alle da sind und mich in Ruhe lassen. (lacht) Ich habe ja immer etwas zu tun und liebe das, was ich mache. Eigentlich ist mein Beruf was das Touren betrifft, ja völlig familienuntauglich. Das geht nur mit Tina.
Wenn Sie zurückblicken auf die 70 Jahre, haben Sie da alles richtig gemacht?
Nein. Es gab natürlich auch Sachen, wo man ins Klo gegriffen hat. Mein Leben war kein Selbstläufer. Ab und zu ist auch mal einer von hinten reingegrätscht. Aber dann habe ich mich geschüttelt, und es ging weiter.
Ihren Schlaganfall 2011 bezeichnen Sie gerne als dunkelgelbe Karte. Wieso?
Das stimmt. Aber die habe ich wahr und ernst genommen. Es gibt ja Fußballer, die machen drei Minuten später das gleiche Foul wieder und fliegen vom Platz. Aber ich passe seit meinem Schlaganfall darauf auf, dass ich nicht vom Platz fliege.
Wie kam es zum Schlaganfall?
Als ich mit einem Freund und seinem Sohn in Amerika war, habe ich mir einen furchtbaren Husten geholt. Im Wohnmobil konnten wir die Klima-Anlage nicht richtig regulieren. Nachts in der Wüste war es total kalt und tagsüber tierisch heiß. Also machst du nachts die Heizung volle Kanne an und tagsüber die Air-Con und kommst dir vor wie im Kühlschrank. In der Halsschlagader hatte sich durch das ständige Husten eine Wunde gebildet, und daraus ist dann ein Gerinnsel hoch ins Gehirn gestiegen. Gott sei Dank erst zu Hause. Wenn mir das während der Reise passiert wäre, würde ich heute nicht mehr leben.
Ihre Frau Tina war Ihre Lebensretterin, oder?
Ganz genau. Sie hat geistesgegenwärtig den Notarzt angerufen und das war mein großes Glück. Ich wusste bis dahin gar nicht, woran man einen Schlaganfall erkennen kann. Seitdem weiß ich jedenfalls genau, dass ich den Sport nicht vernachlässigen darf. Seit zehn Jahren trainiere ich jeden Morgen auf dem Heimtrainer eine Stunde, das ziehe ich konsequent durch. Heute geht es mir total gut.
Seit 1987 sind Sie mit Tina liiert. Was ist das Besondere an ihr?
Wir funktionieren wie Yin und Yang. Tina ist ein sehr positiver Mensch, während ich ein ziemlicher Melancholiker bin. Bei ihr ist das Glas immer halbvoll, während es bei mir auch schon mal halbleer sein kann. Und sie hat eine unglaubliche Energie. Sie ist sehr pragmatisch, das heißt, wenn es ein Problem gibt, dann beschwert sie sich nicht darüber, sondern gibt sich Mühe es zu lösen. Hängen lassen gilt bei ihr nicht. Und sie lacht auch im Alltag fast immer, nicht nur in Talkshows oder für Fotos.
Dieter Bohlen wurde bei „DSDS“ gefeuert. Würden Sie sich auf den Stuhl in der Jury setzen?
Nein. Bohlen ist eine ganz andere Persönlichkeit als ich. Das hat ganz wenig mit Musik zu tun, was er da gemacht hat. Es lief immer über seinen rüden Witz und seine skrupellosen Schmäh-Kommentare. Eine Art Stand-up-Comedian, dem man naive Leute zum Fraß vorwirft. Da ging es nicht wirklich um Musik. Ich konnte das nie ertragen, das war mir auch viel zu zynisch. So geht man nicht mit Menschen um.