Duisburg. Medienscouts beraten Jugendliche, die von Cybermobbing betroffen sind – mit Erfolg. Ein Besuch an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Duisburg.
Ein Mädchen aus der siebten Klasse läuft völlig aufgelöst zum Direktor. Sie habe bei YouTube einen Film hochgeladen, gesteht sie kleinlaut. Die Schülerin befürchtet, dass sie zu Hause dafür Ärger bekommt. Und vor noch etwas fürchtet sie sich. Die anderen Kinder in der Klasse hänseln sie: „Wie kann man sich nur so kindisch darstellen?“ Wie ein Baby würde sie sich verhalten.
Günter Derksen, Leiter der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Duisburg, fragt einen Medienscout aus der elften Jahrgangsstufe: „Kannst du mit der Klasse reden?“ Andrea Althoff kann. Sie spricht mit den Jungen und Mädchen, ohne Lehrer, nur die Schüler unter sich. Danach habe das Mädchen keine Angst mehr gehabt, sagt Günter Derksen sichtlich beeindruckt: „Innerhalb eines Tages wurde das Problem durch Schüler gelöst.“
Schüler helfen Schülern, nicht bei Hausaufgaben in Mathe oder Englisch, sondern bei Themen wie Cybermobbing, exzessive Nutzung von digitalen Medien, Datenmissbrauch. Das Projekt ist eine Initiative der Landesanstalt für Medien NRW. Dort werden junge Leute, die Medienscouts, geschult. Wobei die Mentoren der Gesamtschule im Duisburger Stadtbezirk Rheinhausen nicht immer die Weiterbildungen wahrgenommen haben. Die Älteren geben dort das Wissen an die Jüngeren weiter.
Präsentationen, wie man sich vor Cybermobbing schützen kann
So haben auch Dustin Hartmann und Philipp Müller gelernt. Und sind heute zwei der insgesamt sieben Medienscouts an der Schule, die sich dreimal in der Woche treffen. „Wir besprechen Fälle, beraten Leute, die zu uns kommen, arbeiten an Präventionen“, zählt der 16-jährige Dustin Hartmann auf. Sie gehen auch in die Klasse, zeigen anhand von Präsentationen, wie man sich vor Cybermobbing schützen kann. Das beginnt mit ganz praktischen Dingen, wie man etwa seine Daten sichert. Eben nicht mit Passwörtern wie 1234ABCD.
Daniel Weidner betreut das Projekt. Wenn der Lehrer für Chemie, Sport und Informatik in einer Klasse mitbekommt, dass ein Schüler von den anderen ausgegrenzt wird, gibt er das an die Medienscouts weiter, die sich dann mit dem Schüler unterhalten. Die Betroffenen müssen selbst oft eine Hemmschwelle überwinden, um Hilfe zu holen. „Und Lehrer anzusprechen, da ist die Hemmschwelle noch höher“, so der 32-Jährige.
Das größte Problem ist Whatsapp
„Whatsapp ist das größte Problem“, sagt Daniel Weidner. Aber es ist natürlich nicht der einzige Kanal, über den private Dinge weitergeleitet werden, für die sich dann auch schon mal Schüler schämen. Instagram, Tiktok, Tellonym, Twitter, Snapchat, zählen die Medienscouts auf. „Vielleicht noch Facebook“, sagt Philipp Müller, aber Dustin Hartmann meint: „Das machen wir eher weniger.“
Oft seien es Fotos, mit denen Betroffene schikaniert und die über das Smartphone an eine große Gruppe verschickt werden. Sie dürfen ein Handy in der Schule offiziell zwar nicht benutzen, denn es gibt ein Handyverbot. Aber: „Sie haben alle die Kameras in den Taschen, das verleitet dazu, Fotos und Videos zu machen.“
Da genügt schon ein Schnappschuss: Mund auf, Augen zu. „Wenn man jemanden bloßstellen will, dann reicht so ein Foto schon aus“, so Daniel Weidner. Und kaum einer der Schüler würde sich Gedanken über die Wirkung machen. Und erst recht nicht, dass sie das gar nicht dürfen, dass es ein Recht gibt am eigenen Bild.
Wo fängt Cybermobbing an?
Wo fängt Mobbing an? Wo fängt Cybermobbing an? „Es kann sein, dass jemand aus einer Whatsapp-Gruppe rausgeworfen wird“, sagt Hahima Imaankaf (29), Lehrerin für Englisch und Spanisch. Oder im Chat einer Klasse wird einem Schüler immer wieder der Mund verboten: „Sei still!“
Kettenbriefe seien auch ein Problem, so der Medienscout Philipp Müller und nennt einen Beispieltext: „Wenn du das nicht an so und so vielen Leuten weiterschickst innerhalb von fünf Minuten, dann komme ich zu dir nach Hause und tue dir etwas an.“ So etwas gebe es auch als Sprachnachricht mit einer Computerstimme. „Das ist schon bedrohlich“, so der 16-Jährige. Und dann wird sie aus Angst weitergeschickt und noch mehr Schüler ängstigen sich.
„Wir versuchen aufzuklären: Es kann nichts passieren!“ Natürlich würden einige Schüler auch sofort erkennen, dass das einfach ein schlechter Scherz ist, so Weidner. „Aber es gibt auch welche, die sich das sehr zu Herzen nehmen.“
Die Schüler trauen sich oft nicht, sich anzuvertrauen
Wenn Schüler sich den Medienscouts anvertrauen, sind sie oft zunächst sehr verschlossen, so Philipp Müller. „Meistens sind sie sehr still, manche sind sehr emotional, sehen aus, als ob sie gleich weinen würden“, ergänzt Dustin Hartmann. Dann würden sie versuchen, die Situation zu lockern, Vertrauen aufzubauen – damit sich die Schüler zu reden trauen.
Weidner betont noch einmal, wie gut das sei, das Schüler den Kontakt zu Schülern suchen. „Wenn ich als Lehrer sage: ,Die Petra ist vom John fotografiert worden, die möchte das nicht mehr.’ Dann sagt der John: ,Sie hat gepetzt!’ Und dann kann es noch schlimmer werden.“ Daniel Weidners Kollegin Hahima Imaankaf erklärt: „Wir wollen die Schüler motivieren, Konflikte selber miteinander zu lösen.“
Das Projekt: Medienscouts
Seit dem Start 2011 wurden an rund 900 Schulen in NRW über 4.300 Schülerinnen und Schüler zu Medienscouts qualifiziert, so die Landesanstalt für Medien. Das Ministerium für Schule und Bildung NRW hat das Projekt in diesem Jahr mit 300.000 Euro gefördert, für einen sicheren und fairen Umgang in Sozialen Netzwerken.
Neben Cybermobbing werden weitere Themen rund um digitale Medien beleuchtet, auch Digitale Spiele: exzessive Nutzung, Gewaltdarstellungen oder Kostenfallen (medienscouts-nrw.de). Jugendliche, Eltern und Lehrer, die sich über solche Themen informieren möchten, finden gutes Material bei „Klicksafe“: klicksafe.de