Essen.. Hellmuth Karasek verband, wie sein verstorbener Kollege Marcel Reich-Ranicki, profunde Literaturkenntnis mit ausgeprägter Lust zur Selbstdarstellung. Das verhalf ihm beim „Literarischen Quartett“ zu enormer Popularität. Karasek, der an diesem Samstag 80 wird, zehrt heute noch davon.
Gar nicht so selten in seinem Leben hat Hellmuth Karasek davon profitiert, dass andere ihn unterschätzen. Nur einem wird das nie passieren: Hellmuth Karasek. Er ist ja nicht nur der wandelnde Altherrenwitz, als der er vor wenigen Monaten noch die deutschen Lesebühnen beglückt hat. Er ist auch mehr als jener Fleisch gewordene Kompromiss, der von 1988 bis 2006 das „Literarische Quartett“ mit seinem etwas öligen Charme auch dann noch am Laufen hielt, wenn es zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler schon bedenklich knirschte.
Hellmuth Karasek ist, das wissen wir kurz vor seinem 80. Geburtstag an diesem Samstag, ein begnadeter Tratschkünstler. Ein Klatschschriftsteller, der sich in seinen aktuellen Kolumnen für die „Berliner Morgenpost“ voller Hingabe mit Jan und Allemann und auch Jörg Kachelmann beschäftigt. Und der immer dann zur größten Form aufläuft, wenn er Menschen beschreibt – seine Biografie über Billy Wilder gehört zu den besten Porträts dieses genialen Hollywood-Regisseurs, seine Zusammentreffen mit Woody Allen („Karambolagen“) geronnen ihm zu einem kristallscharfen Charakterbild.
Und wenn Karasek seinen jahrzehntelangen Cheffreund, den „Spiegel“-Kommandanten Rudolf Augstein, in dem Schlüsselloch-Roman „Das Magazin“ mit all seinen Lieblingsfeinden und Frauengeschichten, Talenten und Selbstüberschätzungen beschreibt, ist diese kritische Heldenmalerei von Bewunderungshunger und Rachedurst gleichermaßen getrieben.
Karaseks glückliche Kindheit und Flucht
„Auf der Flucht“ hat Helmut Karasek seine Jugenderinnerungen überschrieben – die glückliche Kindheit als Tischlersohn mit drei Geschwistern im mährischen Brünn, zu der auch der Besuch einer NS-Eliteschule gehörte, endet vor 70 Jahren, mit dem soeben noch glanzvoll inszenierten 10. Geburtstag.
Nach diesem 4. Januar 1944 fördern Krieg und Vertreibung mehr und mehr die Wahrheit über die braune Diktatur zutage. Karasek gerät in die nächste, als er in Bernburg an der Saale bis zum Abitur in der DDR aufwächst. Zum Studium flieht er nach Tübingen, wird dank seiner breiten Bildung, mit der er bis heute kurzweilige Plauderstündchen betreiben kann, Kulturjournalist bei der „Stuttgarter Zeitung“ und kurz auch Dramaturg am dortigen Staatstheater. Für die „Zeit“ wird er später kundige Theater- und Filmkritiken schreiben und bald auch zum Redakteur, bis er 1974 dann zur Konkurrenz beim „Spiegel“ flieht.
Und genau wie Marcel Reich-Ranicki, der als langjähriger Literaturchef der „Frankfurter Allgemeinen“ schon abgedankt hatte, als er im Fernsehen zu später Bekanntheit kam, war auch Karasek in seiner „Spiegel“-Zeit nur unter Insidern berühmt. Seitdem aber flieht der Vater von vier Kindern aus zwei Ehen am liebsten ins Scheinwerferlicht. Nach dem Abschied beim „Spiegel“, der sich nicht zuletzt den vielen Nebentätigkeiten Karaseks verdankte, wechselte er unter anderem ins Herausgeber-Amt beim renommierten Berliner „Tagesspiegel“ und schrieb vorwiegend Kolumnen.
Noch lieber als über Menschen lacht er nach wie vor mit ihnen
Das alles brachte ihm weit mehr Aufmerksamkeit ein als seine drei satirischen, längst wieder verblassten Boulevard-Stücke, die er unter dem Kampfnamen Daniel Doppler verfasst hat. Immerhin schont der Mann, dessen Händedruck nur selten trocken ist, für eine Pointe auch sich selbst nicht und nannte sich einmal einen „Schwitzbold“.
Und nicht von ungefähr bewunderte er an Rudolf Augstein dessen Gabe, sich zum Zwecke der Verführung wie ein echter Clown in Szene zu setzen. Die grausame Gabe der Selbsteinsicht aber lässt ihn noch kurz vor seinem 80. Geburtstag an diesem Samstag wissen: „Je mehr mit zunehmendem Alter die Einsicht wächst, dass man wenig Grund zum Stolz hat, umso eitler wird man.“
Zum Glück für das Publikum tobt Karasek seine Eitelkeit doch mit beträchtlichem Unterhaltungswert aus. Noch lieber als über Menschen lacht er nach wie vor mit ihnen, das wird auch im neunten Lebensjahrzehnt so bleiben. So jedenfalls muss man seine doppeldeutige Antwort auf die Frage verstehen, warum er sich den ganzen Stress mit Lesungen und Tourneen im fortgeschrittenen Alter eigentlich noch antut: „Ich möchte mich nicht langweilen mit mir selber.“