Ruhrgebiet.. Ein Theaterprojekt soll Mitte November das Revier des Jahres 2044 erfahrbar machen. Es geht um kaputte Strukturen und die Vision vom großen Kreativquartier Ruhr. Der Zuschauer wird in einen „Kriegszustand“ versetzt. Ringlokschuppen, Künstlergruppen und Theater Oberhausen hecken das aus.
Am Anfang ist Verfall: Gesellschaftsstrukturen der Region sind zerstört, Zusammenhalt ist ein Fremdwort. Anarchie herrscht in der Ruhrstadt. Wir schreiben das Jahr 2044...
Am 12. September startet am Mülheimer Ringlokschuppen eine aufregende sechsstündige Theatertour in und durch diese „54. Stadt“ der Zukunft – an eben jenem Ringlokschuppen, der in 30 Jahren als soziokulturelle Einrichtung schon längst nicht mehr existiert.
Wie ist es um die soziale Gerechtigkeit 2044 bestellt, wie hat sich der Globalisierungsdruck auf den ökonomischen Wandel, auf die Menschen ausgewirkt? Wie ist die Gesellschaft zerfallen, was macht die Überbleibsel aus? Und was ist aus der Kreativwirtschaft geworden, aus den Träumen der Theatermacher, Literaten, Autoren, Modemacher, Musiker...?
Solchen Fragen nachspüren und Antworten für den Zuschauer erfahrbar machen will das Gemeinschaftsprojekt von Ringlokschuppen und Urbane Künste Ruhr, einer in der Nachfolge der Kulturhauptstadt 2010 entstandene Kultureinrichtung. Kooperationspartner ist das Theater Oberhausen.
Ausgangspunkt für das Projekt „54. Stadt“ ist der neue Roman „Anarchie in Ruhrstadt“ von Jörg Albrecht (Besprechung unten). Der Autor und Medienkünstler erlangte im Mai mediale Bekanntheit, als er im Emirat Abu Dhabi, zur dortigen Buchmesse eingeladen, als angeblicher Spion verhaftet und an der Ausreise gehindert wurde. Die „54. Stadt“ ist aber keine Roman-Dramatisierung. Vier Künstler-Kollektive mit unterschiedlichen Ansätzen haben Ideen und Aspekte der Vorlage aufgegriffen, um daraus im Labor der Urbanen Künste Ruhr ein eigenes Projekt zum Thema Leben im Stadtraum zu entwickeln. Herausgekommen ist ein Drei-Gänge-Menü, dessen Rezeptur indes nicht hundertprozentig festgeschrieben ist, sondern stark von den Reaktionen der Teilnehmer bestimmt wird.
Die Tour startet am Ringlokschuppen mit einer Installation von „Kainkollektiv“. Die international arbeitende Performance-Gruppe will die Reste von Gemeinschaft zelebrieren, aber auch die Kälte spürbar machen, die den Einzelnen umgibt. Drängende gesellschaftliche Fragen sollen nicht auf der Bühne verhandelt werden, sondern im prägenden Stadtraum, sagt Holger Bergmann.
Kampf in der Donnerkuppel
Danach teilt sich die Theatertour, deren Teilnehmerzahl auf 300 begrenzt ist (und die nach dem Auftakt am 12. September noch zweimal angeboten wird). Jeder kann bei der Kartenbestellung festlegen, ob er nach dem Auftakt dann der Gruppe „Ligna“ bei einem Rundgang durch Mülheim folgen will, auf dem es darum gehen soll, Dinge wie Eigentum oder Grenzziehungen zu problematisieren, in Form eines „Hörfunk-Balletts“ und unter Einbeziehung von Zuschauern. Die Alternative: mit der Gruppe „Invisible Playground“ ins Herz von Oberhausen zu ziehen. Für ein Stadtspiel wie auf dem Computer: Die Teilnehmer versuchen, in einer aus den Fugen geratenen Welt an bürgerlichen Werten zu retten, was zu retten ist. Da kämpfen Gruppen von Verarmten gegen eine Manager-Kaste außer Rand und Band, als Gewinn winkt ein Essen oder eine „Schutzzone“, wo weitere Aufgaben warten. Diese „Schutzzonen“ sind Privatwohnungen in Theaternähe, die von Bürgern zur Verfügung gestellt werden.
Zum Abschluss der Theatertour durch eine Fantasiewelt in realer Umgebung finden beide Gruppen wieder zusammen. Im Theater Oberhausen verspricht das 2007 von Jörg Albrecht (Autor) und Steffen Klewar (Regie) gegründete intermediale Kollektiv „Copy & Waste“ als großes Finale einen „Kampf in der Donnerkuppel“, an dem sich auch Mitglieder des Oberhausener Ensembles wie Hartmut Stanke beteiligen.