Essen.. Keiner hat mehr Grimme-Preise eingeheimst als er. Zugleich wird Dominik Graf nicht müde, ein großes Publikum mit Anspruch zu erobern. Vielfach ist er fürs Fernsehen tätig. Jetzt kommt sein neuer Film ins Kino. Martina Schürmann sprach mit ihm über den Filmhelden Friedrich Schiller, das Bloggen und die Liebe auf Papier.
Vom „Angesicht des Verbrechens“ zum puderzarten Jungmädchenantlitz: Regisseur Dominik Graf erzählt in seinem Film „Die geliebten Schwestern“ (Kinostart: 31. Juli), wie der junge Friedrich Schiller den adeligen Schwestern Caroline von Beulwitz und Charlotte von Lengefeld verfällt. Graf macht daraus eine Liebeserklärung an die Glut der großen Gefühle und die Verführungskraft des Wortes. Martina Schürmann sprach mit dem vielfachen Grimme-Preisträger in der Essener Lichtburg über Postkutschen und Twitterkürzel.
Herr Graf, vom Krimi zum Kostümfilm – bleibt das ein einmaliger Ausflug oder haben Sie ein neues Spielfeld entdeckt?
Dominik Graf: Ich habe ja schon in meinem Film über den Dichter Clemens Brentano mit Kutschen und Pferden operiert. Als mir Produzentin Uschi Reich das Schiller-Thema vorschlug, hatte ich sofort das Gefühl, dass das meine Welt ist. Es gibt im weitesten Sinne ja auch Parallelen. Es geht in beiden Fällen ums Recherchieren. In diesem Film konkret um die verbale Untersuchung einer Liebesutopie. Die Drei überprüfen sehr genau ihr Ideal von der Liebe zu Dritt mit allen Fragen, Versprechen, Sehnsüchten.
"Dreiecksbeziehungen hat es immer gegeben"
Und plötzlich mutet uns der schwäbische Kopfmensch Schiller wie ein rebellischer ‘68er an. Ist das denn die Möglichkeit?
Graf: Es ist zumindest eine Wahrscheinlichkeit. Dreiecksbeziehungen hat es immer gegeben. Ich selber habe noch keine erlebt, aber doch die ein oder andere beobachtet. So ein Experiment entsteht in Zeiten des Umbruchs, wenn es heißt: Warum nicht, alles ist erlaubt! Wie auch in den 1960ern. Bis sich die Freiheit dann dreht. Deutschland hat seit den 80ern vor allem im Kulturellen einen Niedergang hinter sich bis zur kompletten Verschlafenheit.
Der Film wurde von 170 Minuten auf 140 gekürzt. War die lange Laufzeit ein Statement gegen den Terror der schnellen Schnitte?
Graf: Ich wollte die verschiedenen Tempi der Zeit einfach deutlich gegeneinander setzen. Die Kutschen haben ihre eigene Geschwindigkeit, die Wege sind weit, auch die zum anderen Herzen. Briefe werden durch Boten transportiert, da gerät auch mal eine Nachricht an den falschen Adressaten. Andererseits erlebt man, wie blitzschnell die Gedanken zur Tat werden. Gerade bei Schiller: Wie da pausenlos ein Feuerwerk im Kopf abläuft!
Auszeichnung Unterhaltung - flacher und flacher
Ist das Kino für Theatergänger?
Graf: Ich mache keine Filme für ein Zielpublikum. Am Anfang war ich als Regisseur noch mehr auf der Seite des Unterhaltungspublikums, habe Thriller gemacht oder Komödien. Bis ich gemerkt habe, dass das alles zu banal wird. Im Grunde setzen sich ja heute alle auf den Begriff der Unterhaltung drauf und machen sie immer flacher und flacher. Auch ein Populärfilm darf dabei ein provokatives Kunstwerk sein.
Wie viel Quellenstudium und historische Genauigkeit benötigt denn so ein Schiller-Film?
Graf: Man muss schon verinnerlicht haben, was da an geistesgeschichtlichen Personen vorhanden ist. Aber während man das wie durch einen Strohhalm in sich reinzieht, muss man den eigenen Weg finden. Alles andere wäre eine falsche Rücksichtnahme, man darf sich nicht zu klein machen vor der Historie.
"Liebesbriefe? Oh ja, logisch"
Es geht um die Liebe in Zeiten der fliegenden Feder. Schreiben Sie noch Liebesbriefe?
Graf: Oh ja, logisch. Aber ich bin ja schon über 60 und meine Frau ist auch nicht mehr ganz jung. Aber das tun wir nach wie vor, nicht nur in kleinen Billetts, wie der Film sagen würde. Wir haben schon Berge von Briefen geschrieben, die in Kartons aufbewahrt sind. Für mich ist das Haptische beim Schreiben, beim Papier unverzichtbar.
In ihrem Mitteilungsdrang erinnern der Schiller und seine Damen an all die Blogger und Twitterer. Glauben Sie, dass die Lust am komplexen Formulieren zurückkehren wird?
Graf: Ich würde sie per Dekret erhalten wollen. Ich finde die modernen Mitteilungsformen zum Teil extrem amüsant und sehr kreativ in ihren Verkürzungen, aber gerade optisch bin ich von Online-Seiten oft enttäuscht. Ich finde, das ist ein großer Verlust an Ästhetik und halte das für einen gezielten Hype von Leuten, die immer vorne dran sein wollen. Aber da ich nicht vorne dran sein will, behalte ich die Ruhe und denke, dass niemand die Schönheit eines gedruckten Buches ernsthaft in Rede stellen wird.