Essen. Vorbei die Zeit des geschlossenen Vorhangs von Dortmund bis Moers. Die Theater der Region stehen in den Endproben, legen bald mit den ersten Spielzeit-Premieren ihre Visitenkarten für die neue Saison vor. Manche setzen sehr auf Klassiker, anderen wagen mehr Experimente. Eine Übersicht.
Dortmund
Der Prüfung auf Videotauglichkeit entgeht in Kay Voges’ Dortmunder Intendanz kein Klassiker. Bei „Hamlet“ hat der Wahn Methode: In welchem Drama wird schon derart viel spioniert? Voges’ Variationen zu „Manipulation und Wahrheit“ mit einer Dame in der Titelrolle eröffnen die Spielzeit (12.9.). Seinen Ruf als theatralische Hexenküche will das Haus auch mit „Komm in meinen Wigwam“ (ab 17.10), festigen: durch Wenzel Storchs „Pilgerreise in die wunderbare Welt der katholischen Aufklärungsliteratur“!!! Eine geplante „Punk-Operette“ nach Nestroy verspricht nicht weniger Krawall.
Düsseldorf
Ob man um die Existenz des Düsseldorfer Schauspielhauses fürchten muss – oder sich vor ihr – das wird die neue Spielzeit zeigen. Rettungsintendant Beelitz setzt auf Klassiker. Mit Shakespeares zeitlosem Verwirrspiel „Sommernachtstraum“ (ab 20.9.) unter der Regie des experimentierfröhlichen Spaniers Alex Rigola und Goethes „Iphigenie“ (27.9., Inszenierung: Mona Kraushaar) startet das Traditionshaus. Neben Uraufführungen und Klassikern der Moderne (Tabori/Kipphardt) baut man auf die Sogkraft des Kanons: Shakespeares „Sturm“, Schillers „Wallenstein“ und Hauptmanns „Ratten“ werden neu gedeutet.
Essen
Sein erklärtes Ziel, ein Theater am Puls der Stadt zu sein, zeigt Essen bei der Eröffnungspremiere. Homers Odyssee führt eine Uraufführung mit dem heutigen Leben von Roma zusammen. Volker Löschs Inszenierung (ab 19.9.) stellt so oder so unsere Zivilisation auf den Prüfstand.
Clever mischt die Grillo-Riege um Christian Tombeil 2014/15 quotenträchtiges Entertainment („Cabaret“ ab 13.12.) mit problemgesättigter Zeitgenossenschaft. Shakespeares „Sturm“ ist der einzige Klassiker. Variationen zum gläsernen Menschen („Big Data“), und die Bearbeitung von Tollers „Jugend in Deutschland“, konfrontiert mit Kriegen 2014, nehmen das Theater als moralische Anstalt in die Pflicht.
Bochum
Nur nicht die Schlagzahl verringern! Bochums Schauspielhaus bringt zur Eröffnung vier Premieren in acht Tagen. Welche Qualitäten hinter dem Quantum namens „Onkel Wanja“ (Regie: Stephan Kimmig, 20.9.), Handkes „Die Unvernünftigen sterben aus“ (21.9.), „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (26.9.) und den „Delikatessen“ (27.9.) stehen, bleibt abzuwarten. Mit „Viel Lärm um nichts“ (31. Januar) und „Hexenjagd“ (28.2.) wird die Tragfähigkeit von Repertoirestützen geprüft. Hausherr Anselm Weber holt ein zeitweilig verpöntes Stück über grenzenlose Käuflichkeit auf die Bühne: Dürrenmatts „Alte Dame“ kommt im April zu Besuch.
Oberhausen
In Oberhausen überlässt Revier-Liebling Frank Goosen („Liegen lernen“) seinen Roman „So viel Zeit“ der theatralischen Neudeutung. Was wohl auf der Bühne wird aus der Doppelkopf-Clique als Tafelrunde gealterter Lebensentwürfe? Ab 27.9. - mit Live-Band! Für einen bekannten Namen mit wahrscheinlich nicht ganz bekanntem Antlitz sorgt die szenische Adaption von Emily Brontës „Sturmhöhe“ (16. Januar). Ansonsten lockt eine Melange aus Jux („Der nackte Wahnsinn“, ab 8.5.), Grauen (Kafkas „Verwandlung“) und Melancholie („Hamlet“, ab 27.2).
Moers
Moers’ Intendant hört nicht auf, mutig und tapfer zu pauken und trompeten. Ulrich Greb geht in die Saison mit einer Rock-Revue über Waffen- und Sicherheitswahn. Wann sonst sollte die Premiere haben, wenn nicht „9/11“? Das Schlosstheater kreist auch sonst um Ängste und gefährdete Errungenschaften: Orwells „1984“ (ab 7.2.) gehört wie Falk Richters „Im Ausnahmezustand“ (6.11.) zu den Neuinszenierungen. Ach, da hätten wir fast Kleists „Amphitryon“ vergessen. Ab April im Repertoire..
Mülheim
Drei Neuinszenierungen des Theaters an der Ruhr tragen die Handschrift von Altmeister Roberto Ciulli (80). „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist die erste Premiere (23. 10). Es folgt die türkische Koproduktion „Economania“ (ab 14.11). Wie Ciulli altersweise zwischen Herz und hadernder Skepsis balanciert, wird er ab Dezember erzählen: in Shakespeares „Wintermärchen“.