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Bob Dylan ist 70 geworden. Das bedeutet: Seit 50 Jahren steht er als Musiker in der Öffentlichkeit. Und das wiederum bedeutet bei einem Künstler, der sich permanent verändert hat, bei dem das einzig Verlässliche ist, dass man sich auf nichts verlassen kann: Seine Karriere besteht aus sehr unterschiedlichen Phasen.

Da ist der ehrgeizige Folk-Rebell der frühen 60er Jahre, der dem Protestsong („Blowin‘ In The Wind“, „Masters Of War“, „The Times They Are A-Changin“) neues Leben einhaucht. Am Ende des Jahrzehnts ist die näselnde „Stimme seiner Generation“ zum Einsiedler geworden, der nicht Prophet sein will und durch Country-Aufnahmen mit Johnny Cash und halbgaren Coverversionen irritiert.

Mitte der 70er erfolgt die Wiederauferstehung mit „Blood On The Tracks“ und „Desire“. Es folgen Alkohol und offensives Christentum und künstlerisch karge Jahre, bis die Mitgliedschaft in der Zufallsband Traveling Wilburys Dylan Ende der 80er wieder in die Spur bringt.

Die großen Hallen füllt er da allerdings nicht mehr. Im Juli 1995 reicht es nur noch für die Westfalenhalle 2. Ein uninspirierter Auftritt. Aufs Publikum hat Dylan sowieso keine Lust, aber auch die eigene Musik scheint ihn an diesem Abend nicht zu interessieren. Bis „All Along The Watchtower“ kommt. Seine Interpretation folgt seit langem der seines Interpreten Jimi Hendrix. Und beim langen Gitarrensolo geht etwas in Dylan vor. Er hört sich zu, überrascht sich offenbar selbst, verändert seine missmutige Körpersprache und liefert von da an ein mitreißendes, bejubeltes Konzert.

So zieht sich Dylan immer wieder am eigenen Schopf aus dem Sumpf, erfindet sich neu, optisch als Südstaaten-Grandseigneur und beginnt 1997 sein herausragendes Alterswerk („Time Out Of Mind“, „Love And Theft“, „Modern Times“), in dem er sich musikalisch als Hüter der Tradition präsentiert und textlich mit bisweilen heiterer Entspannung zurückschaut auf das Treiben der Welt.

Das ist Stoff für viele Lebenswerke. Und doch gibt es ein Zentrum, einen Moment, der Dylan seine entscheidende Bedeutung verleiht, ihn zu dem großen Einfluss für die Rockmusik des späten 20. Jahrhunderts werden lässt.

Bissige Sprache

Diese Revolution fand 1965 statt. Danach war nichts mehr wie vorher. Für Springsteen, Zappa und andere Musikerkollegen war es der Moment, als sie zum ersten Mal „Like A Rolling Stone“ im Radio hörten. Am 20. Juli 1965 erschien die sechsminütige Single mit diesem völlig neue Sound aus Al Koopers Orgel und Mike Bloomfields Gitarre und der ironisch-rotzigen, herablassenden Stimme und der bissigen, mehrdeutigen Sprache.

Dylan hatte die Beatles gehört, und der Folk war ihm nicht mehr genug. Und nach Dylan konnte John Lennon keine putzigen, kleinen Liebesliedchen mehr schreiben. Das haben Dylans Verächter ihm immer besonders übel genommen: Dass er der Rockmusik die kindliche Naivität ausgetrieben und sie zu einer Kunstform für Erwachsene gemacht hat. Und dass man seit Dylan keine „schöne“ Stimme mehr braucht, um als Sänger zu glänzen.

Aber Dylans Umstieg zur „elektrischen“ Musik, der ihm neue Möglichkeiten eröffnete, wurde von alten Fans und Weggefährten als Verrat an den Folk-Idealen empfunden. Beim Newport Folk Festival im Juli versucht der aufgebrachte Pete Seeger, das Elektrokabel mit einer Axt zu zerschlagen. Auf der England-Tournee im selben Sommer empfing ihn der Schmähruf „Judas!“. Dylan dreht sich darauf zur Band um und sagt: „Spielt es verdammt laut.“

Verrat wird ihm immer wieder vorgeworfen. Zuletzt im Frühjahr, als er bei seinen Auftritten in China die alten Protestsongs nicht spielte. Aber wie soll einer, der Mitte 20 ist, als sein Haus von Menschen belagert wird, damit er ihnen den Weg weist, anders überleben als in Rollen und Brüchen, durch die Verweigerung von Kontinuität und Eindeutigkeit, durch das ständige Unterlaufen von Erwartungen? Das ist seine Art, Ballast abzuwerfen. Und außerdem macht es ihm wahrscheinlich Spaß.

1965. Im März erscheint „Bringing It All Back Home“ mit „Maggie’s Farm“ und „Mr. Tambourine Man“ und „Gates Of Eden“, im August „Highway 61 Revisited“ mit „Ballad Of A Thin Man“, „Queen Jane Approximately“ und „Desolation Row“. 1966 kam dann „Blonde On Blonde“. Wahrlich, es waren große Zeiten.

Und dass die surrealistischen Verse und die Straßensprüche teils von Drogen befeuert und teils geklaut waren, dass ein deutscher Gymnasiast Stunden damit verbringen musste, diese anspielungsreichen, bildtrunkenen Texte zu enträtseln und doch immer scheiterte – das macht nichts. Dylan verstehen wollen, heißt Scheitern lernen. Aber, wie Samuel Beckett sagt: „Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Es lohnt sich – immer noch.

Rückblick - das Jahr 1965: Rock Film TV Radio

Samstag, 25. September 1965. Es ist 16.45 Uhr, als Ansager Wilhelm Wieben im ersten Programm eine Art Warnung formuliert: „Sie aber, meine Damen und Herren, die Sie Beat-Musik nicht mögen, bitten wir um Verständnis…“

Was folgte, war für jugendliche Zuschauer eine Sensation: der „Beat-Club“ – die erste Musiksendung im deutschen Fernsehen, die für junge Leute gemacht wurde. Die erste Fernsehsendung außerdem, in der englischsprachige Musiker Englisch sangen. Erwachsene empfanden den „Beat-Club“ als Provokation und schimpften über das „ungewaschene und langhaarige Gesindel“ (so ein Zuschauer). Dennoch: Der „Beat-Club“ wurde Kult.

Produziert wurde die Sendung von Radio Bremen. Es spielten Live-Bands, und das Publikum bestand ausschließlich aus jungen Leuten, die vor der Kamera mittanzten. Moderiert wurde die Show von Uschi Nerke (damals 21), Studentin mit Vorliebe für Mini-Röcke. Anfangs war es schwer, bekannte Bands aus GB/USA zu bekommen, später traten Chuck Berry, Jimi Hendrix, The Who, Deep Purple und viele andere im „Beat-Club“ auf. Nach der 83. Ausgabe war am 9. Dezember 1972 Schluss.