Essen. Wer in keine Schublade passt, kann ein Großer sein. Nicholas Müller von „Jupiter Jones“ entzieht sich clever allen Zuordnungen. Im Interview erzählt er offen über seine Panikattacken und das Leben zwischen Erfolg und privatem Rückzug.

Jupiter Jones ist eine deutsche Band, die in keine Schublade passt. Ihr neues Album „Das Ge­genteil von allem“ liegt seit dem Start auf Platz fünf der Album-Charts. Wohl auch eine nachträgliche Belohnung für den Radio-Hit „Still“, für den die 2002 in der Eifel gegründete Band, die sich nach ei­nem der „Drei Fragezeichen“-Detektive im englischen Original benannte, auch einen „Echo“ erhielt. Mit dem Sänger Nicholas Müller, der dank seiner Tattoos recht martialisch wirkt, aber intelligente emotionale Songs schreibt, sprach Olaf Neumann über Panikstörungen, Rasenmähen und Facebook als Inspirationsquelle.

Herr Müller, als Schüler sind Sie vom Gymnasium geflogen. Was haben Sie damals angestellt?

Nicholas Müller: Ich hatte beschlossen, mir einfach eine Woche frei zu nehmen. Daraufhin wurde mir angeraten zu gehen. Nach der mittleren Reife wollte ich Erzieher werden. Mit den Kindern bin ich klargekommen, aber mit den Eltern nicht. Später, bei der Arbeit mit Schwerstmehrfachbehinderten, kam ich mir zum ersten Mal richtig nützlich vor. Nur kam ich nach Konzerten manchmal erst um sechs Uhr morgens ins Bett und meine Frühschicht begann um acht. Irgendwann ging es nicht mehr und ich setzte alles auf eine Karte. Kaum acht Jahre später habe ich zum ersten Mal Geld mit der Musik verdient.

„Ich war fünf Jahre nicht krankenversichert“

Was haben Sie sich gegönnt, als der Erfolg endlich einsetzte?

Müller: Viele kleine Dinge: Gitarren, Kopfhörer – eben ein Leben, in dem es an nichts mangelt. Ich muss aber nicht alles haben, was ich sehe. In der Vergangenheit gab es aber echte Schattenseiten. Ich war fünf Jahre lang nicht krankenversichert. Ich bin ein Jahr lang mit demselben Paar Schuhe rumgelaufen. Damals litt ich an einer Panikstörung, mit der ich auch auf die Bühne gegangen bin. Ich stand oft im Mittelpunkt, hatte aber gar nicht die Kraft dafür. Ich habe oft gedacht, ich muss jetzt sterben.

Ist die Panikstörung jetzt weg?

Müller: Das war unfassbar viel Arbeit. Medikamente helfen dagegen nur in gewissem Rahmen, man muss einfach lernen, damit umzugehen. Der Trick ist, die Todesangst zu umarmen, sie zuzulassen, bis man merkt, dass sie zwar kommt, dich aber nicht mitnimmt. Hat man das geschafft, kommt sie überraschenderweise nicht mehr.

„Ich wohne relativ piefig“

Wie alltagstauglich sind Sie?

Müller: Ich bin nicht lebensunfähig. Wenn zu Hause was kaputt geht, versuche ich, es selber zu reparieren. Ich wohne mit meiner Frau relativ piefig in einer Doppelhaushälfte mit Garten. Selbstverständlich mähe ich den Rasen. Das Privileg, von der Musik existieren zu dürfen, heißt noch lange nicht, aus seinem Leben eine Kirmes zu machen.

Mit Ihren zahlreichen Tattoos fallen Sie aber schon auf. Was bedeuten sie?

Müller: Viele meiner Tattoos sind Leitsprüche, sie stehen für mein Leben als Berufsmusiker. Am Tag unseres zehnjährigen Bandjubiläums habe ich mir aus Jux eine Karikatur unseres Schlagzeugers aufs Bein tätowieren lassen. Ich habe mir sogar eine Tätowier-Maschine gekauft und tätowiere damit Bandkollegen und Freunde. Das sieht alles herrlich verhunzt aus, aber ich habe niemanden dazu gezwungen.

Konzert„Ich habe Facebook zu schätzen gelernt“

Sie trinken keinen Alkohol. Was ist Ihre Kreativ-Droge?

Müller: Ich habe in letzter Zeit Facebook zu schätzen gelernt. Viele Menschen betreiben dort einen unfreiwilligen Seelenstriptease. Zum Beispiel schreibt jemand darüber, warum er gerade mit seiner Freundin Schluss gemacht hat oder dass sein Opa gestorben ist, nachdem er fünf Jahre im Leid gelegen hat. Sehr private Dinge werden da freimütig gepostet. Für mich als Texter ein Kreativbrunnen.

Und in welchen Situationen, an welchen Orten sind Sie besonders kreativ?

Müller: Beim Bahnfahren. Ein Bahnabteil ist hermetisch abgeriegelt, da sitzen 80 Menschen drin, die haben alle Geschichten, über die sie auch reden. Entweder viel zu laut am Telefon oder in persönlichen Gesprächen. Auch dort fange ich manchmal Ideen auf. Ich weiß Dinge über Menschen, die ich niemals wissen wollte. Ich schreibe unheimlich gern bei Umgebungsgeräuschen. In aller Stille funktioniert das Schreiben bei mir nicht.