Düsseldorf. Knapp vor dem Lockdown feierte die Rheinoper mit Mieczysłav Weinbergs Oper „Masel Tov!“ Premiere: mit passend ironisch-melancholischer Stimmung.
„Masel Tov!“ Zu Deutsch: „Wir gratulieren!“ Der Titel der gleichnamigen Oper von Mieczysłav Weinberg, deren Premiere an der Deutschen Oper am Rhein noch knapp dem kulturellen Lockdown entschlüpfen konnte, dürfte Intendant Christoph Meyer wie Hohn in den Ohren klingen. Drei für den November vorgesehene Premieren müssen auf den Dezember verschoben werden und auch für die nächsten Aufführungen der Weinberg-Oper müssen sich die Besucher bis zum Advents-Monat begnügen.
Die ironisch-melancholische Stimmung von Weinbergs 1985 in Moskau uraufgeführter Oper passt gar nicht so schlecht zur Situation der Kulturlandschaft, die massiv am Wiederaufschwung behindert, aber dennoch, mit gebotener Zuversicht, überleben wird. Dabei spricht Weinberg, der mit seiner Oper „Die Passagierin“ eine späte Anerkennung im Westen gefunden hat, pointiert den Ur-Traum der Menschen, und zwar aller Menschen, an: den Traum von einem glücklichen Leben. In dem der Oper zugrundeliegenden Theaterstück von Scholem Alejchem, dem wir auch den Stoff zum Musical „Anatevka“ verdanken, sind es drei Dienstboten und ein vom Pech verfolgter Buchhändler, die im Untergeschoss der sozialen Hierarchie träumen, lieben, klagen, lachen und über die hochgestellte „Madame“ lästern.
Eine feinsinnige Replik auf den Klassenkampf und soziale Umwälzungen
Die Madame lässt die Verlobungsfeier ihrer Tochter vom pausenlos schuftenden Personal vorbereiten. Sie thront unsichtbar über der Küche, dem zentralen Spielort, und lässt nur ab und zu Schimpftiraden über die Faulheit des Gesindes ertönen. In der Wortwahl proletenhafter als der einfachste Proletarier. Am Ende erscheint die Hausherrin doch noch, fällt allerdings dem Festmahl zum Opfer, das Personal tanzt auf den Tischen und feiert eine Doppelverlobung. „Wir gratulieren!“
Es ist eine feinsinnige Replik auf den Klassenkampf und soziale Umwälzungen im Umfeld der russischen Revolution und deren Folgen. Versteckt in das Milieu einer herrschaftlichen Küche, ohne propagandistisches Pathos auf das fokussiert, was die Menschen bewegt: die Suche nach dem persönlichen Glück.
Regisseur Philipp Westerbarkei strebt in der realistischen Küchenlandschaft von Heike Scheel auch keine Parallelen zur sozialistischen Revolution an, sondern konzentriert sich auf die menschlichen Züge des Stücks. Und das gelingt ihm mit einer genauen Charakterisierung der Figuren und einer präzisen Personenführung. Sie alle erhalten ein scharf gezeichnetes Profil: Die frustrierte, verwitwete Köchin Bejlja, das naiv-anmutige Dienstmädchen Fradl, der Dauer-Loser Reb Alter mit seinem fliegenden Buchladen und der etwas großspurige Diener Chaim. In der Regie Westerbarkeis schaukelt sich das Quartett in seiner Sehnsucht nach Glückseligkeit und in seinem Hass auf die Obrigkeit soweit hoch, dass am Ende die Revolution am Küchenherd ausbricht. Wobei die im Minutentakt schroff wechselnden Stimmungslagen den Sängern große Flexibilität abverlangen.
Weinberg bleibt seiner eigenen, der jüdischen Musik eng verbundenen Tonsprache treu
Natürlich auch den Musikern der Düsseldorfer Symphoniker in der von Henry Koch 2012 erstellten Orchesterversion. Angesichts der engen Freundschaft Weinbergs mit Dmitri Schostakowitsch verwundert es nicht, dass das Werk in seiner stilistisch zersplitterten, inhaltlich skurrilen Textur Ähnlichkeiten mit Schostakowitschs Gogol-Oper „Die Nase“ aufweist. Allerdings bleibt Weinberg seiner eigenen, der jüdischen Musik eng verbundenen Tonsprache treu, die auch in den vitalen Teilen stets einen melancholischen Hauch spüren lässt. Eine gewisse Abschiedsstimmung stellt sich ein, die Tschechow nähersteht als Gogol.
Kapellmeister Ralf Lange unterstreicht den zarten Trauerflor der Musik und entfaltet einen voluminösen, weichen Klang, auch wenn an vielen Stellen ein trockeneres Klangbild und eine forschere Gangart angebracht wären. Damit bietet er jedoch dem exzellenten Gesangsensemble eine solide Basis. Vokal sind Spitzenleistungen zu hören: Von Lavinia Dames als Fradl mit ihrem glockenhellen lupenreinen Sopran, von Kimberley Boettger-Soller als Köchin mit einer reich schattierten Charakterisierung der anspruchsvollen Rolle, von Jorge Espino als Chaim mit seinem kultivierten Bariton und natürlich von Norbert Ernst, der dem armen Buchhändler ein scharf gezeichnetes Profil verleiht. Die hysterischen Schimpftiraden der Madame sind bei Sylvia Hamvasi bestens aufgehoben. Viel Beifall, bevor sich der Vorhang für einen Monat schließen wird.
Die nächsten Aufführungen nach der November-„Pause“ finden im Theater Duisburg statt, und zwar am 11. und 16. Dezember Infos und Tickets: www.rheinoper.de.