Köln.. Inmitten einer Show voller Las-Vegas-Bombast gelang Pop-Superstar Madonna in Köln bei ihrer „MDNA“-Tour am Dienstagabend ein kurzer Moment der Wahrhaftigkeit. Der allerdings drohte unterzugehen in dem verwirrenden Mix aus Gottesdienst, Terrorkampf und S/M-Party. 15.000 Fans waren begeistert.
Es sind schon mehr als eineinhalb Stunden schierer Verzweiflung vergangen, da kommt er doch noch, dieser eine, dieser magische Moment, der Madonna als Künstlerin, als Sängerin, als Mensch und als Ikone erscheinen lässt. Als jemand, der die Scharen durchkonfektionierter Gaga-Perry-Aguileras in eine niedere Liga verbannt. Dieser eine Moment, der es schafft, nicht jämmerlich in dem Meer aus Bombast und Größenwahn zu ersaufen, mit dem Madonna derzeit auf ihrer „MDNA“-Tour die Massen überschwemmt. Und es ist ausgerechnet ihr schon damals abgeschmackter Durchbruch-Hit „Like A Virgin“, der auf schlüpfrige Weise vom Wiedergewinn der Unschuld erzählt und diesmal wider Erwarten sein Versprechen hält.
Da liegt sie nämlich nun am Boden, ganz vorn am Rande des Stegs, inmitten des Publikums der Kölnarena und windet sich mit dem Mikro in der Hand. Hinter ihr schleppt sich ein Pianospieler durch die Moll-Akkorde, so dass man sich schon fragt, ob nun der ausgelebte Burnout folgt. Doch dann diese Zeilen, die jeden Zweifel zerstreuen: „I made it through the wilderness, somehow I made it through“. Ja, es ist Madonna. Ja, sie ist 53. Und ja, sie ist so verletzlich wie sie es war, als ihr einst ein Junge die Unschuld nahm.
Der Tänzer mit Sixpack zerrt am Korsett - und Madonna stöhnt
Und, alle Sehnsucht nach einem ehrlichen Moment beiseite geschoben, natürlich ist auch dies nur Teil einer Weltklasse-Show, genau wie das Ende des Songs, wenn ein durchtrainierter Sixpack-Tänzer sie mit ihren Armen von hinten umschlingt und ihr langsam, Zug um Zug, ein Korsett immer enger schnürt und sie unter seinen Kraftanstrengungen stöhnt – womöglich die beste Vortäuschung dieser Art sei „Harry & Sally“. Denn auch das ist Madonna: Eine Frau, die sich geißeln lässt und selbst geißelt, um so lange so weit an der Spitze zu bleiben.
Wobei: Tatsächlich hat Madonna schon größere Arenen als die Kölner gefüllt, die heute mit 15.000 Begeisterten dennoch bald aus ihren Nähten platzt. 15.000, die alle derselben Illusion erliegen wie die Frau hinter mir, die irgendwann einem Störenfried entgegenkeift: „Hey, wir sind hier bei ’nem Konzert, unterhalt dich woanders.“
MDNA-TourMadonnas verwirrender Mix aus Gottesdienst, Terrorkampf und S/M-Party
Nein, wir sind hier mitnichten in einem Konzert, wir sind hier inmitten einer Show. Denn bevor Madonna dieser eine, konzertwürdige Moment gelingt, wurde das Publikum mit einem Las-Vegas-reifen, verwirrenden Gemisch aus Gottesdienst, Terrorkampf und S/M-Party konfrontiert, der ernstzunehmende Psychologen gewiss in den Harakiri getrieben hätte. Da wurden zu Beginn von Mönchen Glocken und Weihrauchfässer geschwungen („Girl Gone Wild“). Da ballerte eine musikalische Lara-Croft-Inkarnation die bösen Meuchler nieder („Revolver“). Und da scheut sie sich nicht, mit „Vogue“ und „Erotic“ noch einmal das madonnische S/M-Studio zu eröffnen... Nun, wer im Jahr 2012 Männer in Strapsen noch provokant findet, war offensichtlich zum Christopher Street Day am vergangenen Wochenende nicht zu Hause – und hat sich durchaus auch das heterogene, mitunter homophile Publikum, unter dem sich auch Hella von Sinnen befand, nicht näher angeschaut.
Der schönste Kölner Bezug in dieser hochgradig verwirrenden Show jedoch gelingt Madonna vollkommen unfreiwillig, wenn sie erst zu „Express Yourself“ und später zu „Give Me All Your Luvin“ in die Uniform eines rot-weißen Funkenmariechens schlüpft. Offensichtlich sind der Kölsche Fasteleer und die eigentlich anvisierte amerikanische Tradition der Marching Band doch soweit miteinander vereint, dass man als echter Kölscher nur die Stippeföttsche vermisst in dieser Show, bei der zumindest die Mädchen auf der Bühne provokant die Röcke hoben.
MadonnaLang lebe Madonna, die Unverwüstliche
Aber dies entlarvt die Madonna des Jahres 2012 wie kaum etwas anderes: Hier zählt die Unterhaltung, etwa wenn zehn uniformierte Trommler an Drahtseilen unter der Arena-Decke baumelnd so tun, als würden sie in der Luft marschieren und gleichzeitig trommeln. Würde einer von ihnen abstürzen, wäre das nicht schlimm. Hauptsache, er fiele nicht auf Madonna... Und selbst dann: Die Show würde weitergehen, solange vielleicht, bis der Mann am Piano, der einzige, der mit seinen schleppenden Akkorden für ein Stückchen Wahrheit sorgte, umkippte.
Doch wahrscheinlich wäre das Publikum selbst dann weiter begeistert. Lang lebe Madonna, die Unverwüstliche. Dank eines Vertrages mit dem Konzertriesen Live Nation wird sie uns noch lange erhalten bleiben. Mögen ihre kommenden Alben weniger kalkuliert sein als das letzte.