Moskau. Es ist das Ende einer Ära: Die Russin Irina Antonowa, berühmte Chefin des Puschkin-Museums in Moskau und “Hüterin der Beutekunst“, verlässt ihren Posten. Mehr als ein halbes Jahrhundert leitete sie das international angesehene Museum. Mit 91 Jahren zieht sie sich nun in den Ruhestand zurück.

Im Alter von 91 Jahren und nach 52 Jahren an der Spitze des international bekannten Moskauer Puschkin-Kunstmuseums nimmt Irina Antonowa Abschied. Sie überlässt ihr Lebenswerk der 57 Jahre alten Kunstwissenschaftlerin und Galeristin Marina Loschak, die künftig auch über das wachen wird, wofür Antonowa vor allem in Deutschland bekannt war - als "Hüterin der Beutekunst".

Es geht um jene Schätze, die Sowjetsoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg nach Moskau verfrachteten - als Entschädigung für Kriegsverluste, die auf das Konto plündernder und brandschatzender Nazis gegangen waren. Es gehört zum Vermächtnis Antonowas, dass heute ein russisches Gesetz gegen den Widerstand Deutschlands die "verlagerten Kulturgüter" als Wiedergutmachung festschreibt.

Museen voll mit eroberten Kunstschätzen

Zu den Kostbarkeiten gehören auch die Troja-Funde von Heinrich Schliemann und der Eberswalder Goldschatz. "Eine Rückgabe wäre der Beginn einer Revolution in den Kunstsammlungen der ganzen Welt", sagte Antonowa einmal. Sie verwies darauf, dass Museen weltweit voll seien mit Kunstschätzen von Eroberungszügen und Kriegen.

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Die am 20. März 1922 in Moskau geborene Antonowa, die in ihrer Kindheit einige Jahre in Deutschland lebte und Deutsch spricht, wehrte sich stets gegen Berichte, sie habe dort nach dem Krieg selbst Beutekunst ausgesucht. Solche "verlogenen und schmutzigen Artikel" hielten sich bis heute in deutschen Zeitungen, sagte sie einst.

"Expertin von Weltrang"

Dass die Grande Dame der russischen Museumswelt nun geht, mag mit Blick auf ihr Alter keine große Sache sein. Aber der Schritt kam jetzt doch überraschend. Noch zu ihrem 90. Geburtstag im vorigen Jahr meinte die rüstige Frau, die oft wie ein Feldwebel in ihren strengen Kostümen auftritt, dass sie kein Ende ihrer Arbeit absehe.

Russische Feuilletonisten lobten die Kunstwissenschaftlerin damals als Expertin von Weltrang, die mit großer Klugheit und unerschöpflicher Energie selbstbewusst und kompromisslos eines der wichtigsten russischen Museen führe. Legendär sind auch die Warteschlangen bei großen Ausstellungen vor dem Kunsttempel.

Zu Sowjetzeiten organisierte Antonowa die erste Schau mit Arbeiten des Surrealisten Salvador Dalí. Nach Ende des Kalten Krieges öffnete sie die Geheimdepots mit Beutekunst, nach dem Moskau bereits zu DDR-Zeiten große Mengen etwa an die Gemäldegalerie in Dresden zurückgegeben hatte.

Leitung des Museums seit 1961

Gleichwohl haftete Antonowa unter Museumskollegen auch der Ruf einer unverbesserlichen Alten vom Schlag eines Sowjetfunktionärs an. Noch zu Zeiten von Kremlherrscher Nikita Chruschtschow am 13. Februar 1961 wurde sie zur Leiterin des Museums ernannt und überstand alle Machtwechsel.

Kulturminister Wladimir Medinski sagte am Montag nach einem Treffen mit ihr, Antonowa selbst habe ihren Abschied bestimmt. Sie werde dem Haus aber als Ehrenpräsidentin verbunden bleiben.

Beutekunst - eine offene Wunde

Antonowas letzter großer Auftritt liegt erst gut eine Woche zurück. Es war der 21. Juni, als der deutsch-russische Streit um die Beutekunst wieder hochkochte. Kanzlerin Angela Merkel und Kremlchef Wladimir Putin eröffneten eine "Bronzezeit"-Schau in der Eremitage in St. Petersburg mit viel Beutekunst aus dem Puschkin-Museum.

Merkel und Antonowa umarmten sich dabei wie gute alte Bekannte. Die deutschen Forderungen nach Rückgabe der Schätze überhörte die hochbetagte Russin aber höflich. Worauf es Antonowa besonders angekommen sein dürfte, war die Rede von Putin: Und der machte deutlich, dass die Russen gegen die Rückverlagerung seien. (dpa)