Essen. Wenn es einen Beweis dafür gibt, dass gute Bücher ewig jung bleiben, führen ihn Kinder- und Jugendliteratur besonders gut. 2013 feiern gleich mehrere Klassiker Geburtstag. Wir stellen von Michel bis Momo junggebliebene Jubilare vor.
„Das fliegende Klassenzimmer“, 80 Jahre alt
„Mama, lies weiter!“ – „Noch ein Kapitel, bitte!“ Wie viele zeitgenössische Kinderbücher schaffen das, dass der Nachwuchs vor Ungeduld zappelnd fast vom Sofa fällt? Erich Kästners Internatsroman „Das fliegende Klassenzimmer“ singt das Hohe Lied von Freundschaft, Ehrgefühl und Vergebung – und, ja, ordentlich spannende Entführungen und Bandenstreits („Gymnastiker“ gegen „Realisten“) gibt es auch. Zwar ist manche Wortwahl übersetzungsbedürftig, muss der Rang eines „Quartianers“ wohl erläutert werden. Dass aber der Schlachtruf „Eisern!“ unbedingten, begeisterten Zusammenhalt demonstriert, ist auch den Coolsten sofort klar. Mut ist bei Kästner eher in der aufmüpfigen Variante zu finden; Regelverstöße sind in Kauf zu nehmen, wenn sie dem gesunden Menschenverstand geschuldet sind. Etwas, das Eltern nicht immer gerne hören werden – Kinder aber schon!
„Der kleine Prinz“, 70 Jahre
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ – mit diesen Sätzen hat sich Antoine de Saint-Exupéry, Pilot und Schriftsteller, in die Herzen seiner Leser gebrannt. Es spricht sie der Fuchs zu einer märchenhaften Gestalt: „Der kleine Prinz“ reist von Planet zu Planet und erzählt schließlich einem abgestürzten Piloten in der Wüste seine Geschichte.
1943 wurde das Büchlein erstmals verlegt, mit rund 80 Millionen verkauften Exemplaren gehört es heute weltweit zu den erfolgreichsten Büchern. Der mysteriöse Tod des Autors, der 1944 vor Marseille abstürzte (erst 2000 wurde sein Flugzeug gefunden) mag zum Mythos beigetragen haben. Auch ohne diesen Hintergrund aber rühren die einfachen Botschaften des kleinen, blonden Helden: Wenn er seine Rose vor Wind schützt und seinen Planeten vor den zerstörerischen Wurzeln der Affenbrotbäumen, erinnert er uns an jene, für die wir Sorge tragen. Und wenn er über die Herrschsucht eines Königs staunt oder die verquere Logik eines Alkoholikers – dann entlarvt er in simplen Sätzen die Lügengebilde unserer Zeit.
„Wo die wilden Kerle wohnen“, 50 Jahre
Ob es auch heute noch Kinder gibt, die zur Strafe ohne Abendessen ins Bett müssen, weil sie zu wild sind? Zu Maurice Sendaks Zeiten aber war das wohl noch so. Sein Held Max, als „wilder Kerl“ abgestraft, erträumt sich eine Insel voller gruseliger Gesellen – die ihm die liebsten Spielkameraden sind. Die farbigen Federzeichnungen spiegeln eine Idee von Kindheit, die auf das Niedliche, Rosarote pfeift. Die sich ergötzt an zotteligen Monstern, am Toben und Tanzen und Starksein, die vor den dunklen Farben des Lebens nicht zurückschreckt. Und doch: Wenn Max von seiner Traumreise zurückkehrt, steht sein Abendessen in seinem Zimmer – „und es war noch warm“. Ein Plädoyer fürs Wildseindürfen und Trotzdemgeliebtwerden.
„Michel aus Lönneberga“, 50 Jahre
Dass gut gemeint, nicht immer gut ist, wissen wir spätestens seit Michel aus Lönneberga. Der Blondschopf folgt meist nur seiner Neugier oder dem Wunsch zu helfen – und schon landet sein Kopf in der Suppenschüssel, der Vater im Fliegenfänger und am Ende Michel im Schuppen. Dort stehen über 300 Holzmännchen, die Michel geschnitzt hat – für jeden Unfug ein Männchen. Hausarrest klingt in den Ohren von Eltern heute wie Pädagogik von gestern. Zugleich blicken sie mit Wehmut auf den Jungen, der unendlich frei ist, die Welt zu entdecken und den Kindern immer noch aus der Seele spricht. Neben Pippi Langstrumpf zählt er zu den bekanntesten Figuren von Astrid Lindgren: Über 30 Millionen Mal wurden ihre Michel-Geschichten weltweit verkauft. Dabei kennt man ihn nur hierzulande unter diesem Namen. Im schwedischen Original heißt der Junge vom Hof Katthult in Småland: „Emil“. Der Name war in Deutschland damals schon vergeben: An „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner.
„Momo“,, 40 Jahre
Kinder, wie die Zeit vergeht. Das kann selbst Momo nicht leugnen. Das Mädchen mit dem Lockenkopf, das sich den „grauen Herren“ stellt und den Menschen ihre gestohlene Zeit zurückbringt, ist in diesem Jahr 40 geworden. Dabei ist die Botschaft ihres Vaters – Michael Ende – heute noch aktuell: Wer meint, Zeit zu sparen, spart eigentlich etwas anderes – „Keiner wollte wahrhaben, dass sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde.“ Ende schrieb sechs Jahre lang an dem Märchenroman, der in 46 Sprachen übersetzt und über zehn Millionen Mal weltweit verkauft wurde. Seine Geschichte über die begnadete Zuhörerin, bei der selbst Dumme gescheite Gedanken bekommen, ist zeitlos schön und zum Immer-wieder-lesen. Denn der weise Blick dieses Mädchens auf die Welt lässt besonders Augen von Erwachsenen wieder klarer sehen, die blind geworden sind für die besonderen Augenblicke. Oder wie Meister Hora sie nennt: die Sternstunden des Lebens.