Bibliotheken sind Orte der Begegnung. Doch die mediale Nahversorgung wird sehr unterschiedlich angenommen. Warum?
Barrieren in Kray. Der Krayer Ratskeller wartet auf mit Parkett unter hohem Gewölbe. Einst gab es hier Bier und geistige Getränke aller Art, heute bietet der noch immer gastliche Raum Hochgeistiges und leichte Unterhaltung, Kinderbücher, CDs, DVDs. Die Krayer Stadtbibliothek im Keller des schmucken Rathauses bietet für jeden etwas, und was am besten, das weiß die Bibliotheks-Fachangestellte Ute Albers: Seit 20 Jahren empfiehlt sie Herrn Meier den Psychothriller und Frau Müller den neuesten Liebesroman und legt „die passenden Neuerscheinungen auch schon mal direkt zurück“. Man kennt sich doch. Auch, wenn manchmal nur ein Nicken möglich ist: Weil die türkische Mutter, die ihre Kinder mit der Buchausleihe gezielt sprachfördert, selbst fast kein Deutsch spricht – „aber trotzdem jede Woche kommt mit ihren Kindern, das ist doch toll!“
So also könnte eine Erfolgsgeschichte beginnen. Tatsächlich aber liegt Kray, gemessen an den Ausleihzahlen, weit abgeschlagen hinter den anderen 14 Stadtteilbibliotheken Essens: 49 Ausleihen pro Stunde sind es, Tendenz sinkend (Huttrop etwa kommt auf satte 150). Tatsächlich aber hat Kray nur noch zwei Tage die Woche überhaupt geöffnet. Tatsächlich weisen die dunklen Holzregale empfindliche Lücken auf; etwas mehr als 8100 Medien zählt der Bestand. Der Etat für Neuanschaffungen richtet sich ja nach der Zahl der Ausleihen, und die...
Was läuft schief in Kray? „Die Räume sind nicht barrierefrei – und die Bibliothek liegt nicht direkt im Stadtteilzentrum“, zeigt Klaus-Peter Böttger, Leiter der Essener Stadtbibliothek, zwei mögliche Faktoren auf. Gerade für ältere Leute des Stadtteils mit rund 19 000 Einwohnern könnten die drei, vier Minuten Entfernung zur kleinen Einkaufsstraße und die drei, vier Stufen ein echtes Hindernis sein. Für Mütter mit Kinderwagen ebenfalls. Und die dazwischen, die Jugendlichen – fahren vielleicht eher zur Zentrale, oder lesen Ebooks, oder gar nicht. Das Regal mit Jugendliteratur ist jedenfalls übersichtlich: Harry Potter, dazwischen ein paar Vampire. Und Harry Potter.
Förderverein und Kinderprogramm
Einsatz in Kettwig. 90 Kinder allein in den ersten vier Stunden! Der Sommer-Leseclub hat der Kettwiger Bücherei erneut einen Besucheransturm beschert. Petra Bandura, die seit 12 Jahren die Bibliothek neben dem Rathaus leitet, hat viel dafür getan: nämlich Werbung in jeder Klasse jeder Schule in Kettwig. Ein Geschenk, sagt sie: „dass die Schulen mir sofort die Türen öffnen, wenn ich anrufe.“
Was hat Kettwig, das Kray nicht hat? 115 Ausleihen pro Stunde weist Kettwig auf, bei einer Öffnungszeit an vier Tagen die Woche macht das über 10 000 Ausleihen im Monat. Kray kommt auf knapp über 2000. Dabei ist die Kettwiger Bibliothek gar nicht so schmuck wie ihre Schwester in Kray, liegt ebenfalls in einer Seitenstraße – aber näher an der Hauptstraße. Laufkundschaft, das weiß auch Petra Bandura, ist eben oft auch Lesekundschaft: „Das klingt vielleicht komisch, aber als Aldi hier an der Ecke zugemacht hat, da haben wir das direkt gemerkt.“
17 000 Bürger hat der Stadtteil Kettwig, der sich selbst eher als Stadt denn als Teil empfindet: „Es gibt hier ein sehr großes Wir-Gefühl.“ Seit beinahe 30 Jahren finanziert der Förderverein der Bücherei Lesungen und Kindertheater, öffnet zweimal im Monat den Büchertrödel im Keller. Ja, das alles hat mit Finanzkraft zu tun, mit Bildungsstand – aber auch mit Engagement.
Kettwig ist keine moderne Bibliothek, es gibt hier keine Computer für die Nutzer, kein offenes Wlan. Aber Comics! Letztens hat Petra Bandura auf dem Trödelmarkt einen großen Stapel „Donald Duck“ ergattert. „Die sind neu richtig teuer. Und mehr als einmal lesen Kinder die doch sowieso nicht. Das kenne ich von meinen Enkeln.“