London..

Keith Richards erzählt vom wilden Leben mit den Stones. Vom Feuer in Hugh Hefners Toilette über die Tatsache, dass er Johnny Depp jahrelang für einen Dealer hielt, bis hin zur Behauptung, Mick Jagger habe einen kleinen Penis.

Wer in den Sechzigern dabei war, kann sich an nichts erinnern, und das gilt natürlich auch für die Stones. Biographien der handelnden Personen sind folgerichtig sinnlos, aber nett zu lesen. Von Ron Woods Werk „Ronnie“ blieb beispielsweise in Erinnerung, dass er gerne malt und lange glaubte, dass er im Stones-Theater den „Brian Jones mit blonder Perücke“ gab. Bill Wyman ist ein Erbsenzähler, der einst sogar notierte, wer mit wieviel Groupies während einer Tournee schlief (Bill Wyman: 442; Charlie Watts: 1, die Ehefrau), was aber in seinem Buch „Stone Alone“ dann doch nicht erschien. Mick Jagger begeistert sich seit längerem nur noch für Cricket und Festgeld-Konten, was uns wiederum nicht so interessiert, und deshalb haben wir voller Spannung auf Keith Richards gewartet. Nun liegen sie endlich vor, die Memoiren, heißen schlicht „Life“, was aber in diesem speziellen Fall natürlich vielversprechend ist.

„Keith“ und „Leben“ führen nicht unbedingt eine harmonische Beziehung

Denn „Keith“ und „Leben“ führen ja nicht unbedingt eine harmonische Beziehung. Es galt als sicher, dass das wilde Herz der größten Rock-’n’-Roll-Band der Welt nach all den frühen Ausschweifungen spätestens mit 25 aufhört zu schlagen. Nun wird er demnächst 67, der „Keef“, wie wir Fans ihn zärtlich nennen, und erzählt, was ihm so passiert ist.

Etwa die Gerichtsverhandlung in Arkansas, mit der das Buch beginnt, wegen Drogenbesitzes. Freispruch, übrigens. Der Richter konfiszierte sein Messer (es hängt angeblich noch immer an der Wand des Gerichtssaals) und ließ sich anschließend mit ihm fotografieren. Natürlich sind das Anekdoten, viele zum Schenkelklopfen, aber, und das ist das Interessante an diesem Buch: Die Aufzählung enthüllt viel über einen Musiker, der sich lange mit ungebärdigen Exzessen gegen den Popstar-Ruhm stemmte und erst spät eine Balance fand.

Die Vorabmeldungen, mit denen die Markteinführung seit Wochen eingetrommelt wurde, konzentrierten sich natürlich auf die saftigen Stüc­ke. Etwa das Feuer, das Keith gemeinsam mit dem Stones-Saxofonisten Bobby Keys in der Toilette von Hugh Hefners Playboy Mansion legte. Oder die Tatsache, dass er wirklich zwei Jahre lang glaubte, Johnny Depp, der viel in seinem Haus herumlungerte, sei der Dealer seines Sohns Marlon. Und vor allem die Behauptung, Mick Jagger habe einen kleinen Penis, was von dessen Ex-Frau Jerry Hall aber umgehend dementiert wurde („Stimmt ja gar nicht!“).

Alle Interviews, die Keith Richards in diesen Tagen gibt, gipfeln denn auch schnell in der Frage: Und was ist mit Mick? Was soll schon sein, nuschelt Keith. Man kennt sich seit einem halben Jahrhundert, streitet sich nach Herzenslust, und wer in der farbigen Historie der „Glimmer Twins“ nach Schulhof-Attacken fahndet, wird natürlich fündig.

Von all den Schimpfworten, mit denen Mister Richards Mister Jagger belegt, eignet sich nur „Disco Boy“ für eine Familienzeitung. „Unerträglich“ sei der Herr, befindet Richards, der die Fehde mit dem Kollegen vor allem in den Achtzigern öffentlich ausfocht.

„Life“ wurde Jagger dennoch vor dem Erscheinen vorgelegt. Was er davon hält, wissen wir nicht, aber gestrichen wurde laut Richards nichts. Wozu auch, am Ende „zählt das alles nichts, wenn man sieht, wie lange wir schon zusammen sind“. Und andere Weggefährten bekommen natürlich auch was ab, außer Charlie Watts, an dessen coolem Gleichgewicht sich der schwankende Keef immer wieder festhalten durfte. Brian Jones? Kaltblütig, bösartig. Alan Ginsberg? Ein aufgeblasener Sack. Mick Taylor, der zunächst Brian Jones ersetzte? Hat seitdem nichts mehr zu­stande gebracht.

Von der Leiter gefallen

Was wir noch von Keith Richards wissen: Er interessiert sich für Literatur, insbesondere Geschichtsromane, und hat sich mal den Arm gebrochen, als er in seiner Bibliothek (!) von der Leiter fiel. Den Fitness-Raum im Keller nutzt er regelmäßig. Bei Interviews steht eine Flasche vom guten Rebel-Yell-Bourbon auf dem Tisch, ein frecher Journalist, der heimlich nippte, behauptet aber, im Glas sei nur Tee gewesen. Und dass Keith immer noch Kette raucht, wird von den Reportern inzwischen auch bestritten.Auf dem Buchumschlag wird dennoch gequalmt, den Finger ziert der traditionelle Totenkopf-Ring, und die ganze Wahrheit werden wir sowieso erst erfahren, wenn Keef stirbt. Falls er stirbt.