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Schon seit einigen Jahren hat sich Popikone David Bowie aus dem Showgeschäft zurückgezogen. Doch die jungen Stars der Rock- und Indie-Szene huldigem ihrem Idol noch immer: mit dem bemerkenswerten Tribute-Album „We Were So Turned On“.
Sogar einem Superstar kann es nicht schaden, sich von Zeit zu Zeit ins Gespräch zu bringen. Nur einer hält sich seit Jahren zurück: David Bowie. Dafür ist der Rest der Welt zurzeit seinetwegen aus dem Häuschen. Eine ganze Garde von Pop- und Indiemusikern verbeugt sich mit einem drei Scheiben umfassenden Album vor dem Mann, der vom Himmel fiel, darunter Devendra Banhart, Duran Duran, Carla Bruni und Keren Ann, die eine atemberaubend fragile Streicherversion von „Life On Mars?“ aufgenommen hat. Ein Übriges zur Begeisterung tut eine neue Biografie und eine Deluxe-Box des „Station To Station“-Albums.
Wähle Deinen Bowie! Es ist ja nicht so, als hätte der androgyne Sänger im Wachsfigurenkabinett der Popkultur nicht genügend Inkarnationen hinterlassen, um ganze Heerscharen Musikschaffender noch für Dekaden mit Stilvorlagen zu versorgen. Ziggy Stardust, Aladdin Sane, der Thin White Duke bis hin zum Earthling. Aus all diesen Figuren lässt sich ganz im Warholschen Sinne das Rezept ableiten, wie man als Popstar sein Ego perfekt hinter einer Kunstfigur verschwinden lässt – Lady Gaga wird es ihm danken, ebenso Eminem oder Neuentdeckung Janelle Monáe.
Verschiedene Coverversionen
Es ist eigentlich also gar nicht so erstaunlich, dass ausgerechnet in einer Zeit, in der Bowie selbst so lange wie nie zuvor keinen neuen Ton von sich gegeben hat, so viele Musiker zur Lobpreisung ansetzen. 38 verschiedene Coverversionen schöpfen auf dem Album „We Were So Turned On“ aus dem Vollen – ohne größere kommerzielle Ambitionen, sonst wäre schwerlich eine so durchmischte Sammlung von Bands und Songs zustande gekommen. Jeder wählte seinen Bowie!
So liefert die Afghanin Ariana Delawari eine Interpretation von „Ziggy Stardust“, die klingt wie eine auf den kleinsten Nenner reduzierte Kate Bush. Manches wurde an die Grenze der Unkenntlichkeit verzerrt („Suffragette City“ von A Place To Bury Strangers oder „Fame“ von All Leather). Anderes eröffnet interessante neue Blickwinkel, etwa Megapuss feat. Devendra Banhart, die „Sound And Vision“ ins Spanische übertragen und mit minimalistischem Elektrobeat aufgepumpt haben.
Beeindruckender Querschnitt durch die Indie-Szene
Lediglich Präsidentengattin Carla Bruni liefert eine nette, aber harmlose Pianoversion des braven „Absolute Beginners“. Und die beinahe einzige Enttäuschung bringt Duran Durans „Boys Keep Swinging“, das an der Grenze zur Belanglosigkeit dümpelt.
Immerhin liefert dieses Tribute-Album einen beeindruckenden Querschnitt durch die derzeitige Indie-Szene, auch zum Zeitpunkt der Aufnahme noch recht unbekannte Bands wie Warpaint oder die schon bekannteren Chairlift sind dabei. Andere, etwa Radiohead, Nine Inch Nails und MGMT konnten wegen schlechten Timings nicht dabei sein.
Die Bowie-Begeisterung all dieser Musiker ist schwer begreiflich für einen Nicht-Fan. Vielleicht hilft diesen Menschen der Blick in „David Bowie – eine Biografie“ von Marc Spitz. Der Musikjournalist, der schon seinen ersten Roman seinem Idol Morrissey und dessen Smiths gewidmet hat, macht keinen Hehl aus seiner lebenslangen Bowie-Verehrung und opferte dem Buch drei Arbeitsjahre, in denen er unter anderem mit Bowies Ex-Frau Angie und mit Popstars wie Siouxsie Sioux sprach.
Er selbst streut autobiografische Schnipsel ein, so dass man zwar ein wenig den Eindruck der journalistischen Distanz verliert („Man kann Bowie nicht wirklich richtig verstehen. Es ist, als wollte man Religion richtig verstehen“), was aber den Lesereiz ungeheuer erhöht. Wenn man Spitz für sein kenntnisreiches Buch einen Vorwurf machen möchte, dann höchstens den, dass er es seinem Star ein bisschen zu recht machen wollte. Er wählte eben alle Bowies. Und das ist vielleicht ein bisschen viel.
Zerrüttet von Schlaflosigkeit und beängstigend mager
Einen guten Vorwand, sich den Bowie-Virus frisch einzufangen, liefert auch die kürzlich herausgekommene „Station To Station“-Box. Selbst in der einfachen Version enthält sie das analog gemasterte Album und das etwas rücksichtslos nachbearbeitete Nassau-Konzert von der 1976er-Tour und ein paar historische Fotodrucke. Hier erlebt man Bowie schon auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Kokain-Abhängigkeit in der Rolle des Thin White Duke, zerrüttet von Schlaflosigkeit und beängstigend mager – wenn auch musikalisch genial. Der Beginn jener Phase, die in „Heroes“ gipfelte. Und die damit endete, dass Bowie die Notbremse zog, bevor er in den 80ern cleaner und größer als je zuvor ungeheuerliche Erfolge feierte.
Wenn man heute, 2010, einen Bowie wählen könnte, dann wäre es gewiss einer wieder zurückkehrt ins Rampenlicht – den leichten Herzinfarkt vor fünf Jahren hat Bowie ja wohl gut verkraftet. Aber täte er es nicht – ein Platz unter den einflussreichsten Künstlern des neuen Jahrhunderts wäre ihm auch so gewiss.
- David Bowie „Station To Station” (3CD Box-Set bzw. 5CD+AudioDVD+3LP)
- „We Were So Turned On – A Tribute To David Bowie“ (naïve, 3 CDs)
- Marc Spitz „David Bowie – Die Biografie” (Edel Books, 560 S., 29,95 Euro)