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Autorin Helene Hegemann reklamiert für sich eine neue Art, mit geistigem Eigentum umzugehen. Sie hat unrecht. Die drei Gründe, warum die so souverän inszenierte Dreigroschenseifenoper dennoch zur Rutschpartie für das „Wunderkind“ wird.

„Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht, auch ich hab mir was herausgenommen.“ So schrieb einst Bert Brecht, des Abschreibens bei Francois Villon überführt. Heute nimmt sich die 17-jährige Helene Hegemann heraus, sich hineinzustellen in eine Tradition – in eine diffuse, linksdrehende Idee vom geistigen Gemeinschaftseigentum: „Das, was wir machen, ist eine Summierung aus den Dingen, die wir erleben, lesen, mitkriegen und träumen“, schreibt sie, „ich bin nur Untermieter in meinem eigenen Kopf.“ Clever! Warum die so souverän inszenierte Dreigroschenseifenoper dennoch zur Rutschpartie wird fürs „Wunderkind“, hat drei Gründe.

Rutschpartie für das Wunderkind

Erstens: Ja, der Bestohlene hat sich gar nicht beschwert und sein Verlag reagiert entspannt (im Wissen um den Werbe­gehalt des Wirbels): „Helene Hegemann hat ein gutes Buch geschrieben“, sagt Frank Maleu, Geschäftsführer des SuKuLTuR-Verlags: „Wir werden uns an der Hetze nicht beteiligen.“ Und doch laufen, natürlich, Gespräche mit Hegemanns Ullstein-Verlag: SuKuLTuR-Autor „Airen“ schrieb im Blog und im Buch „Strobo“ von Drogenexzessen rund um den Berliner Techno-Tempel „Berghain“ – in einer einfacheren, direkteren Sprache als später Hegemann. Dennoch ähneln viele der Schauplätze, Szenen und Sätze einander wie ein Rausch dem nächsten. Entdeckt wurde dies von Deef Pirmasens, beschrieben im Popkulturblog „Gefühlskonserve“. Offenbar also gibt es auch in diesem Jahrzehnt – das Hegemann gekennzeichnet sieht durch die „Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation“ – noch Blogger, die das anders sehen.

Zweitens: Ja, das Abschreiben hat Tradition. Bestsellerautoren wie Frank Schätzing und Dan Brown werden heutzutage (erfolglos) verklagt von Sachbuch-Schreibern, und selbst dieser Fall kam vor Gericht: J.K. Rowling soll die Idee „geklaut“ haben, dass Zauberer auf Besen reiten. Was zweierlei deutlich macht: In den Fokus geraten vor allem die Gutverkauften. Und: Neu ist fast nichts, siehe die alten Besen. Die Frage ist nur, ob man die Quelle einer Idee noch findet.

Egal wird die Frage natürlich, wenn die Quelle: Gott ist. So dachte man es sich im Hochmittelalter, erläutert der Zürcher Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn, der eine Kulturgeschichte des literarischen Plagiats schrieb: Wenn der Urheber jeden Wortes Gott ist, gibt es keine Originalität – und keine Autorennamen. „Auch in der Romantik waren Plagiate programmatisch. Bis ins 18. Jahrhundert hinein gab es die Vorstellung, dass der Autor die gesamten Rechte am Text an seinen Verleger verkauft, das änderte sich erst mit der Idee des Urheberrechts.“ Damit wäre Helene Hegemann gar nicht so modern – sondern ziemlich mittelalterlich.

Drittens: Aber natürlich, ja, geistiges Eigentum steht im digitalen Zeitalter erneut auf dem Prüfstand. „Das Plagiat ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen“, formuliert Theisohn: „Das Internet macht gemeinschaftliche Textproduktion transparent.“ Schon Schulaufgaben werden bei Wikipedia kopiert! „Hegemann ist ein Kind der Re-Mix-Kultur“, sagt Debora Weber-Wulff, Berliner Professorin und Plagiats-Expertin: „Sie nehmen, was sie wollen, und meinen, durch die Mischung entsteht etwas eigenes. Darüber müssen wir sprechen!“

Wo ein Kläger ist, da pocht ein heißes Herz auf sein Recht

Die US-Amerikanerin Kathy Acker, eine radikale Untergrund-Literatin, verteidigte „Plagiarismus“ als Kunstform (und wurde dennoch verklagt von Harold Robbins, der sich von ihr bestohlen sah). Im Gegensatz zu Acker aber erhebt Hegemann ihr plagiatorisches Vorgehen erst im Nachhinein zum Stilmittel. Sie hat aber kein intertextuelles Experiment, sondern einen klassischen Roman des Heranwachsens geschrieben – der sich von anderen nur dadurch unterscheidet, dass man mit ihrer Heldin nicht recht mitleiden mag. Am Ende wird sie diese fehlende Empathie noch absichtlich herbeigeschrieben haben wollen.

Können wir das Wunderkind damit – abschreiben? Vielleicht. Kein Happy End, nirgends? Doch. „Plagiats-Fälle zeigen, dass Literatur Leben ist, dass sie eine Seele hat“, sagt Philipp Theisohn. Wo ein Kläger ist, da pocht ein heißes Herz auf sein Recht.