Waltrop.. Torsten Sträter braucht einen Einpeitscher. Sonst bewegt er sich nicht. Das muss jemand sein, der den Komiker ernst nimmt. Einer wie Markus Lieber. Der Trainer darf den 48-Järhigen sogar mit einem Gürtel antreiben: Aus dem strömen kleine elektrische Reize in Sträters „Pansen“.
Als der Trainer die Reizfrequenz am Gürtel erhöht, stöhnt Sträter: „So stell’ ich mir’n Flugzeugabsturz vor.“ Aber Jammern hilft nicht. Denn: „Ich bin zu fett.“ Also stemmt Sträter die Geräte im Waltroper Fitnessstudio, er zieht und schiebt.
Der Satiriker mit der sonoren Stimme liest oft auf der Bühne aus seinem „Diättagebuch“. Die Geschichte über die Bananen-Orgie ist zwar frei erfunden. Aber zu was man fähig ist, wenn einem der Heißhunger überkommt, das erlebt Sträter, sobald es dunkel wird: „Ich esse immer Süßigkeiten. Tagsüber nicht, nachts schon.“
Im Fitnessstudio lässt er sich durchschütteln. Mit Socken steht er auf einer Platte, die seine Muskeln bis hoch in den Rücken in Vibrationsalarm versetzt. „Das ist das Anstrengenste überhaupt.“ Danach isst man doch freiwillig nie wieder ein Pralinchen!? „Doch!“, sagt Sträter. Abends habe er die Strapaze wieder vergessen. Später sagt er achselzuckend: „Du kannst aus einem Pisspott eben keine Blumenkaraffe machen. Wichtig ist, ob dich dein Sohn gut findet und du deine Rechnungen zahlen kannst“, sagt der Vater eines Elfjährigen. Die „Pocke“ ist eben nur der eine Grund, warum er an den Fitnessgeräten schnauft. Der andere ist ernster: Depression.
Sträter spricht offen über seine Krankheit. Selbst auf der Bühne. Da erklärt er den feinen Unterschied zum „Scheiße-drauf-sein“: „Das ist wie ein Tatort mit den Muppets: nicht das Gelbe vom Ei, geht aber vorbei. Depressionen hingegen sind wie alle drei Teile ,Herr der Ringe’ – in Zeitlupe. Mit Jean-Claude Van Damme als Gandalf. Und Musik von Andrea Berg.“
Darf man über Depressionen lachen?
„Gesprächstherapie“ nennt er das. „Für die die Leute sogar Eintritt zahlen.“ Obwohl sich viele seiner Zuschauer dann nicht wie sonst wegschreien vor Lachen, sondern verlegen schmunzeln. Darf man sich über Depressionen amüsieren? „Musst du nicht, kannst du aber“, sagt Sträter. „Depressionen dürfen kein Tabu sein. Eine Analfistel ist ein Tabu, aber doch nicht Depressionen.“
Und dann erzählt er, wie sie sein Leben verändern: „Manchmal komme ich einfach nicht aus dem Bett, gerade wenn ich auftrittsfrei habe.“. Antidepressiva hat er geschluckt, um überhaupt erst mal wieder „aus dem Arsch zu kommen.“ Heute sei er „free“ und treibe Sport. Hat ihm der Arzt empfohlen. Nicht nur, weil Sträter von den Tabletten zehn Kilo zugenommen hat – „ohne etwas zu essen!“ Sondern weil er sich dann besser fühlt, sagt er nach dem Training und zieht an einer Zigarette. Trotzdem fällt es ihm manchmal noch schwer, den Alltag auf die Reihe zu kriegen: „Dann sitzt du einfach da und denkst: ,Is’ doch alles kacke.’ Es stimmt nicht, aber es kommt dir in dem Moment so vor.“
Auf der Bühne gesteht er, dass er privat nur „mittelfröhlich“ sei. Er ist zynisch, bissig. Sträter sieht den „Schwachsinn“ auf dieser Welt, spitzt ihn für seine Texte zu. „Ich wäre mit Mitte Zwanzig zu blöde dazu gewesen“, sagt der 48-Jährige. „Je älter du wirst, desto leichter ist es, Absurditäten aufzulisten.“ Vor zehn Jahren hat er seine ersten Texte geschrieben. Horrorgeschichten. Weil er ein großer Stephen-King-Fan ist. Dessen Buch „Das Leben und das Schreiben“ inspirierte ihn. „Meine Texte wurden immer dubioser und seltsamer und dann habe ich gedacht: ,Kannst ja gleich was Lustiges schreiben. Lass doch einfach die Kettensägen wech.’“
Erzählt er von seinem Leben, pöttelt Sträter noch stärker als auf der Bühne. Und wenn er vom Revier spricht, fällt immer wieder das Wort „Wir“. Das Ruhrgebiet ist seine Heimat, in Dortmund kam er zur Welt, Waltrop ist sein Zuhause. Er tourt durch ganz Deutschland, aber beim Revier-Publikum springe der Funke einfach schneller über. „Das sind meine Leute.“ Sträter selbst lacht am meisten über „Gott“ – so nennt er den Kabarettisten Jochen Malmsheimer.
Seit 2007 liest Sträter auf der Bühne. „Für Geld seit drei Jahren und für viel Geld seit zwei Jahren.“ Mit dem modernen Dichter-Wettstreit fing es an, er gewann mehrere Poetry Slams, bis die Veranstalter anriefen: „Können Sie das auch alleine, einen ganzen Abend lang?“ Er kann. In diesem Jahr gewann er etwa den Jury-Preis beim großen Kleinkunstfestival für Kabarett, Comedy und Musik in Berlin.
Die Mütze ist ein Auffangbecken
„Noch zehn Wiederholungen“, feuert der Trainer Sträter an. „Alle heute?“, fragt dieser ungläubig. Auf seiner Kappe bildet sich ein Schweißrand. Sträter tritt immer mit Mütze auf. Nicht aus modischen Gründen. Obwohl der gelernte Herrenschneider nach seinem Job im Dortmunder Anzugladen mit einem Blick die Konfektionsgröße seines Gegenübers erkennt. Nein, die Mütze ist ein Auffangbecken: „Bei meinem ersten Fernsehauftritt hab’ ich wegen der Scheinwerfer so stark geschwitzt, dass mir die Suppe so aus dem Gesicht raus troff. Da habe ich mir überlegt: Wohin mit dem Schweiß? Du kannst dir ja schlecht ein Stirnband umlegen wie Björn Borg.“ Seitdem experimentiert er mit Mützen. Hunderte hat er mittlerweile. „Ich habe welche aus Bambus, die wiegen nur 20 Gramm, die dampfen das richtig aus, das ist total super.“
Als Sträter im Fitnessstudio mit einer Grimasse den Gürtel vom Bauch zieht, ist die Kappe durchgeschwitzt. An den Gumminoppen des Gürtels bleibt die Haut des „Pansens“ kleben wie an einem Pflaster. Das ist nicht lustig. Das ist der Irrsinn des Lebens, der Sträters Texten ihren sehr komischen Sinn verleiht.
Torsten Sträter live
Torsten Sträter live zu sehen, muss man langfristig planen. Die meisten Solo-Auftritte in der Region sind in nächster Zeit bereits ausverkauft. Karten gibt es wieder etwa am 19.2. Ringlokschuppen, Mülheim; 18.3. Lichtburg, Essen; 30.4. Hans-Sachs-Haus, Gelsenkirchen.
Sträter für Zuhause: „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“ als Buch (Carlsen, 190 S., 12,90 €) oder Live-CD (Sony).