Erkrath. Besuch bei Boris Lüdtke (57), der mit seinen Mittelalter-Geschichten einer der erfolgreichsten Fantasy-Autoren Deutschlands wurde.

Man muss langsam fahren auf dem Weg zurück in die Vergangenheit. Weil die von gepflegten Einfamilienhäusern gesäumte Straße verkehrsberuhigt ist. Klingelt man am richtigen davon, öffnet ein hoch gewachsener, schlaksiger Mann mit gestreiftem Hemd, Schiebermütze auf dem Kopf und mit freundlichem Lächeln im Gesicht die Tür. Boris Lüdtke heißt er aber die meisten Menschen kennen ihn besser als Sam Feuerbach. Unter diesem Namen ist Lüdtke mit seinen Mittelalter-Geschichten zu einem der erfolgreichsten Fantasy-Autoren Deutschlands geworden. Und das sogar ganz ohne Verlag.

Da sitzt er nun auf der langen Couch im großen Wohnzimmer seines Hauses und hat sein Laptop auf dem Schoß. Eigentlich ist das jetzt nur fürs Foto, „aber so schreibe ich tatsächlich immer“, sagt der 57-Jährige. So ähnlich hat er auch gelesen früher. „Extrem viel gelesen“, sagt Lüdtke. „70 Prozent Fantasy.“ So begeistert ist er von dem Genre, dass er irgendwann beschließt: „Jetzt erzähle ich mal meine eigene Geschichte.“

Auftragsmörderin als Grundidee

Völlig überrascht vom eigenen Erfolg: der Bestsellerautor in Erkrath.
Völlig überrascht vom eigenen Erfolg: der Bestsellerautor in Erkrath. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Um eine Sanduhr soll sie sich drehen, die die Zeit beeinflussen kann. Doch erst einmal geht es um eine namenlose mittelalterliche Auftragsmörderin und einen korpulenten Prinzen. Lüdtke lacht. „Ich habe einfach mal drauflos geschrieben, ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht.“ „Discovery Writing“ nennt er das und ist diesem Stil bis heute treu. „Eine Grundidee ist da, der Rest entwickelt sich.“ Die Geschichte schon von Beginn an bis zum Ende im Kopf zu haben, findet Lüdtke „langweilig“. „Das wäre ja, wie ein Buch zu lesen, dessen Inhalt und Ausgang man schon genau kennt.“

Im Frühsommer 2014 veröffentlicht Lüdtke das erste Buch im Internet. Obwohl sie in der Firma, in der er als IT-Sicherheits-Berater arbeitet, wissen, dass er schreibt, sucht sich Lüdtke ein Pseudonym. Heraus kommt Sam Feuerbach – zusammengesetzt aus dem Namen eines Computerprogramms und angelehnt an die Straße, in der er lebt. Ein paar Klicks am Computer reichen und „Die Auftragsmörderin“ kann fortan bei Amazon als E-Book heruntergeladen werden. „Geht ganz einfach und kostet den Autoren kein Geld.“

Eins kam zum anderen

3,99 Euro verlangt er für das knapp 400 Seiten starke Werk, dessen Cover die Tochter am heimischen Rechner entworfen hat. Der Preis ist günstig aber Lüdtke will ja auch nicht leben von den Verkäufen. „Ich hatte doch einen Job. Das war alles mehr nur für mich.“ Es wird aber schnell auch etwas für andere. Kein Monat ist vergangen, da haben sich knapp 200 Leute das Buch heruntergeladen. Wichtiger noch: Die positiven Bewertungen überschlagen sich und treiben die Downloads weiter in die Höhe. „Ich war völlig überrascht“, erinnert sich Lüdtke.

Zum Glück kann er schnell nachlegen. Band zwei der Saga war fast schon fertig, als Band eins veröffentlicht wurde. Sofort setzt sich Lüdtke wieder an die Tastatur, um Band drei zu schreiben, in dem es dieses Mal tatsächlich um eine Sanduhr geht. Mit Band sechs geht die Reihe zwei Jahre später zu Ende. Da hat sich längst auch der Hörbuch-Download-Dienst Audible in Erkrath gemeldet, um die Bücher zu vertonen – mit Robert Frank als Sprecher, den Lüdtke bis heute einen „Glücksfall“ nennt. „Eins kam zum anderen.“

Die Romanserie „Der Totengräber-Sohn“.
Die Romanserie „Der Totengräber-Sohn“. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Lüdtke schreibt und schreibt und die Leser kaufen und kaufen. Klassische Verlage, die an Autoren wie Lüdtke keinen Cent mehr verdienen, werden deshalb auch nicht müde, auf Amazon und sein Vertriebsmodell zu schimpfen. Schwieriges Thema, bei dem sich der studierte Diplom-Ökonom zurücknimmt. Zwei Dinge sagt er aber doch. Zum einen, dass ein Autor von Amazon viel mehr vom Verkaufspreis erhalte, als in der Branche üblich. Und dass der Vertrieb über das Netz viel gerechter sei. „Jetzt entscheiden allein die Leser über den Erfolg eines Buches.“

Kaum ist die Krosann-Saga beendet, folgen vier Bände, die vom Totengräbersohn erzählen. Für die Hörbuchversion des ersten bekommen Lüdtke und Frank den Deutsche Phantastik Preis 2018. Mit Band zwei schafft er es bis ins jährlich von Amazon ausgerichtete Story-Teller-Finale. Zwischendurch erscheinen mit „Echtzeit“ und „Instabil“ auch noch zwei Trilogien zusammen mit dem Science-Fiction Autor „Thariot“.

Kaum ein Buch von Lüdtke, das nicht weit über 80 Prozent 5-Sterne-Bewertungen im Netz erhalten hat. Da stört es weniger, dass das Feuilleton seine Werke bisher bestenfalls unbeachtet lässt. „Fantasy“, weiß Lüdtke, „wird immer noch gerne belächelt“. Trotzdem entscheidet sich der Vater von drei Kindern Ende 2016 nach langem Überlegen, seinen IT-Job zu kündigen, um sich aufs Schreiben zu konzentrieren. „Nein“, sagt er, „bereut habe ich das bisher nicht.“ Was angesichts von mittlerweile rund einer Million verkauften Büchern (180.000 davon Hörbücher) nicht verwundert. „Aber“, sagt er auch, „natürlich ist der Druck größer geworden.“

Ein wenig hat er sich das allerdings selber zuzuschreiben. Denn zusammen mit Frau und Kindern hat er mittlerweile den Verlag bene Bücher gegründet, in dem er seine – aber auch Romane anderer Fantasy-Kollegen – als gedruckte Versionen vertreibt.

Und natürlich sitzt er an einer neuen Reihe. Gerade ist „Der Dieb und der Söldner“ erschienen, Lüdtke lacht und fasst sich an den Kopf. „Da sind noch viele Ideen drin“, sagt er. Aber nicht nur deshalb wird er weitermachen. „Schreiben“, hat er festgestellt, „macht mir einfach unglaublich viel Spaß“.


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