Berlin.. Mit dem Alter muss die die Lust nicht enden: Ältere Paare haben andere Probleme als junge, aber sie haben einen unschätzbaren Vorteil. Wer sich nich unter Leistungsdruck setzen lässt, kann das Liebesleben mehr genießen, mit den Lebensjahren steigt die Erlebnisfähigkeit.
Therese ist verliebt. Er heißt Stephan, ist zwanzig Jahre jünger und hat ein Boot. Eines Tages gehen die beiden zusammen Segeln. Das Boot läuft auf Grund, Stephan trägt Therese an Land. In einer kleinen Pension gibt es noch ein freies Zimmer. Der Retter zieht erst die nassen Sachen aus und dann die Frau zu sich unter die Bettdecke. Die Kamera zeigt: Hier geht die 73-jährige Christiane Hörbiger mit dem 51-jährigen Thomas Sarbacher ins Bett. Und es ist wunderbar erotisch.
Der ZDF-Film „Therese geht fremd“ ist solide gemachtes Gefühlskino. Und zählt damit zu Filmen, die neuerdings offen und ehrlich von der körperlichen Liebe im Alter erzählen. Die Erfahrung zeigt: Ältere Paare haben andere Probleme als junge, aber einen unschätzbaren Vorteil. Wer sich nicht unter Leistungsdruck setzen lässt, kann das Liebesleben im Alter genießen, denn mit den Lebensjahren steigt die Erlebnisfähigkeit. Sicher, in einigen Köpfen sitzt dennoch die Angst vor dem „letzten Mal“, doch viele ältere Paare wissen: Niemals geht sie so ganz – die körperliche Liebe.
Inge Müller (Namen geändert) ist 77 Jahre alt und lebt im Seniorenheim. Eines Nachmittags findet sie einen Brief unter ihrer Tür. Jemand will sie kennen lernen. Jemand hat sie gesehen, bei seinen Besuchen im Haus, und hat gedacht: „Die oder keine.“ Es ist Wilhelm Grube, 92 Jahre alt, kerngesund. Die beiden verabreden sich, und Wilhelm verliert keine Zeit. Als Inges Kinder beim nächsten Mal zu Besuch sind, sehen sie ihre Mutter Händchen haltend mit einem fremden Mann. „Er ist die Liebe meines Lebens“, sagt Inge.
Sexszenen mit über 70-Jährigen
Es verändert sich etwas. Das ZDF zeigt zur besten Sendezeit Sexszenen mit über 70-Jährigen. Im Kino erzählt Michael Haneke mit seinem Oscar-verdächtigen Film „Liebe“ von der Zuneigung im hohen Alter. Gleichzeitig läuft „Wie beim ersten Mal“ mit der 63-jährigen Meryl Streep im Kino – eine Geschichte über ein Ehepaar, das nach 30 Jahren wieder Schwung in sein Sexleben bringen will. Alles Filme für Menschen, die seit Jahrzehnten erwachsen sind. Kino für eine Kundschaft, die reif ist, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Und die trotzdem Träume hat: Vom Altwerden und Jungbleiben. „Und wenn wir alle zusammenziehen“ heißt die französische Variante – ein Film über eine alt gewordene Clique, mit Jane Fonda (74), Geraldine Chaplin (68) und Pierre Richard (78). Bereits vor fünf Jahren hatte der Deutsche Andreas Dresen Erfolg mit der neuen Zielgruppe: In seinem hochgelobten Kinofilm „Wolke 9“ erzählt der Regisseur von einer 70-Jährigen, die sich in einen 76-Jährigen verliebt und dafür ihren Ehemann verlässt.
Sex im Alter? In der Öffentlichkeit war das lange Zeit eine Sache für Playboys, Popstars oder Exzentriker wie Pablo Picasso. Für viele Durchschnittspaare dagegen hieß alt werden, die körperliche Liebe zu verabschieden, unter Unlust oder Scham zu begraben, oder mindestens kein Wort mehr darüber zu verlieren. Doch das ändert sich. Mit den heute 70-Jährigen wird eine Generation alt, die in den Sechzigern jung war, die sich Freiräume erkämpft, Individualität ausprobiert hat, auch die sexuelle, und die jetzt dabei ist, das Alter als dritte Lebensphase aktiv zu prägen. Gesellschaftliche Pioniere – kaufkräftig, meinungsbildend und liberaler als alle Generationen zuvor.
Und die körperliche Liebe? Kein Grund, darüber zu schweigen. Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Loki hat der 93-Jährige Helmut Schmidt eine neue Frau an seiner Seite – und kaum jemand nahm Anstoß daran. Vor einem Jahrzehnt war das noch anders: Als Roman Herzog ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Cristiane wieder heiratete, rief der WDR im Bonner Zentrum für Alternskultur (ZAK) an und wollte wissen, was die Forscher dazu sagen. Könnte ja sein, dass die Hörer empört seien.
Zu alt für Sex? Niemals!
Drei Viertel der über 75-Jährigen wünschen sich heute Intimität in einer Partnerschaft, sagt Uwe Kleinemas vom ZAK. Das muss nicht Sex sein – doch für viele gehört körperlicher Verkehr dazu. Zu alt für Sex? „Niemals!“, sagt auch die 84-jährige US-Sexualtherapeutin Ruth Westheimer. In ihrem Buch „Silver Sex“ gibt die erfahrene Ratgeberautorin älteren Paaren Tipps für eine erotische zweite Lebenshälfte.
Doch so einfach, wie das klingt, ist es oft nicht. Alternsforscher Kleinemas hat in den letzten Jahren zahlreiche Senioren interviewt. „Es gibt nicht DIE Alterssexualität.“ Nur ein paar Tendenzen: Sex mit Geschlechtsakt steht gerade für Frauen nicht mehr so im Vordergrund, während für viele Männer Erotik ohne Verkehr „nur die halbe Miete“ ist.
Eine 60-Jährige sagt im Interview: „Wir haben eine schöne Zeit gehabt, was Sexualität betrifft. Jetzt ist mein Mann impotent und zieht sich zurück. Außer Geschlechtsverkehr, der ja nicht mehr möglich ist, möchte er nichts.“ Oft ist es aber auch umgekehrt: „Sex ist für mich unwichtig geworden“, sagt eine andere, „für ihn nicht, und er leidet ganz sicher darunter, er macht aber auch keine Versuche mehr.“
Kleinemas kennt auch die Sicht der alternden Männer: „Die Sexualität ist vor zehn Jahren ausgelaufen“, sagt ein 60-Jähriger. „Und keiner hat sich beschwert.“ Ein anderer seufzt: „Sie hat wenig Lust. Ich würde ein Vermögen dafür geben, wenn das anders wäre.“ Es gibt aber auch Paare, die noch oft miteinander schlafen – „auch wenn nicht mehr so verrückt, wie als man ganz jung war“. Eine ältere Frau möchte Sex nicht missen: Es „bereichert auch in unserem Alter das Zusammenleben“. Ein anderer findet durch Sex seinen „Alltag gleichsam ein wenig erleuchtet“.
In einer Studie des US-amerikanischen Sexualforschers Wesley K. Thomson wurden mehr als 1200 Frauen von 60 bis 89 Jahre zu ihrem Sexualleben befragt. Die Mehrheit war zufrieden – zwei Drittel der Jüngeren, immerhin noch mehr als die Hälfte der Älteren. Bemerkenswert: Die Frauen schätzten ihr Sexleben auch dann gut ein, wenn sie selten oder kaum Sex hatten. Naheliegender Schluss: Älteren Frauen geht es nicht um Häufigkeit, sondern um Qualität. Auch eine Studie der Uni Rostock kommt zu dem Ergebnis: Die Zufriedenheit mit dem Liebesleben nimmt im Alter oft noch zu.
Die Erlebnisfähigkeit steigt
Alternsforscher Kleinemas wundert das nicht: „Wenn man erfahrener wird, wird es schöner. Für die meisten Menschen war das ‚Erste Mal’ ja nicht so klasse.“ Frauen, das wissen Forscher, haben in der Regel ab Mitte 30 befriedigenderen Sex als mit Anfang zwanzig. Männer machen da keine Ausnahme: „Die Erlebnisfähigkeit steigt mit dem Alter“, so Kleinemas. Insgesamt gilt: Wer Sex in jüngeren Jahren wichtig fand, will ihn auch im Alter nicht missen. Wer dagegen die körperliche Liebe schon immer eher zweitrangig fand, wird auch im Alter gerne darauf verzichten.
Vor einiger Zeit sollte Kleinemas einen Vortrag über „Sex im Alter“ halten. Es war die Einladung eines evangelischen Pfarrers. Kleinemas gefiel der Titel nicht. Falsche Tonlage. Zu plakativ. Aus „Sex im Alter“ wurde „Beim nächsten Mal mit Gefühl“. Der Saal war voll, im Publikum vor allem Frauen, manche hatten ihre Männer mitgebracht.
Einige Witwen berichteten von ihrer selbstgewählten Abstinenz in Liebesdingen: Lieber allein leben und auf Intimität verzichten, als noch mal Verantwortung für einen Mann übernehmen und ihn begleiten, pflegen, sterben sehen. Und wenn der Mann viel jünger wäre, wie bei Therese im ZDF-Film? Dann würden sie ihn vielleicht trotzdem nicht wollen: In der Regel sind es die Männer, die sich nach Tod oder Trennung eine jüngere Partnerin suchen. Frauen schauen sich eher nach gleichaltrigen Männern um. Sie suchen eher nach einem Seelenverwandten, einem Partner mit ähnlicher Lebenserfahrung.
Der Bochumer Gynäkologe und Sexualmediziner Hans Dudda beobachtet seit 20 Jahren, wie sich das Sexualleben von älteren Menschen verändert. Dudda unterscheidet zwei Gruppen von älteren Patientinnen: Die einen leben ihre Sexualität trotz körperlicher Veränderungen – Beschwerden der Wechseljahre, Trockenheit, Potenzprobleme des Partners. Die anderen schauen den Arzt erstaunt an: „Sex? In meinem Alter doch nicht mehr!“ Und: „Ich bin ja froh, dass ich das hinter mir habe.“ Um beide Gruppen macht sich Dudda wenig Sorgen.
Eine Generation unter Druck
Schwerer, sagt der Arzt, habe es die Generation, die jetzt gerade mit dem Älterwerden beginnt: Die 50- bis 60-Jährigen. Die Kinder sind aus dem Haus, die Partnerschaft bekommt wieder mehr Aufmerksamkeit – doch bei vielen ist der Schwung raus. Was frühere Generationen gelassen nehmen konnten, wird jetzt zum Problem: Sex bis ins hohe Alter gilt nicht nur als Ausdruck von Attraktivität, Kraft und Vitalität – wer keinen Sex hat, so die verbreitete Botschaft, der lebt nicht richtig. „Die Generation steht ganz anders unter Druck. Sie müssen mehr leisten, als sie können“, sagt Dudda. Aus dem zutiefst liberalen „Du darfst“ ist für viele ein leistungsorientiertes „Du musst“ geworden.
Der Sexualmediziner möchte seine Patienten entlasten. Aber wo ansetzen? „Sie hören doch überall: Der Sex muss über die Jahre gleich oft und gleich schön bleiben.“ Die Folge: Selbstzweifel. Bin ich noch leistungsfähig? Bin ich noch attraktiv? 80 Prozent der Paare, die sich in Hans Duddas Bochumer Praxis zur Therapie anmelden, kommen, weil sich mindestens einer von beiden lustlos fühlt. „Das ist über die Jahre mehr geworden“, sagt Dudda. Seine Vermutung: die Allgegenwart perfekter Sexszenen. Überall sieht man: Schöne Körper, die sich die Seele aus dem Leib turnen. Erotik als Grundrauschen von Werbung, Film und Fernsehen. Beispiel „Tatort“. Ganz Deutschland wartet auf den neuen Dortmunder Kommissar – und es geht los mit einer wilden Vögelei. „Mussten die schon wieder mit Sex anfangen?“, fragten sich viele in Duddas Praxis am Montagmorgen. Der Arzt kann verstehen, wenn seine Klientinnen dicht machen: „Bevor ich das erfüllen muss, habe ich lieber keine Lust.“
Bei vielen Männern geht unterdessen die Angst vor dem „letzten Mal“ um. Die einen kriegen schlechte Laune, die anderen retten sich in Witze. „Es gibt doch dieses dicke Buch über Sex nach dem Fünfzigsten – mit lauter leeren Seiten.“
„Ich verliebe mich heute weniger oft“
Selbst Udo Jürgens, für den „mit 66 Jahren“ das Leben bekanntlich überhaupt erst anfing, muss mittlerweile mit 78 Jahren, zugeben: „Ich verliebe mich heute weniger oft.“ Kleinemas rät den besorgten Männern: „Reden Sie mit einem guten Freund darüber. Und ich meine ‚Freund’, nicht Saufkumpan. Am besten natürlich mit Ihrer Partnerin.“ Vielleicht nach einem schönen Film? Im Interview über ihre TV-Rolle als Therese rät die kluge Christiane Hörbiger zu Gelassenheit: „Das Bild des Traummanns verändert sich bei einer Frau genauso wie sie sich selber verändert.“ Heißt: Was gerade noch nach Schiffbruch aussah, kann genauso gut der Anfang einer wunderbaren Liebesnacht sein.