Duisburg.. Frauenfresser trifft Kultfilm. An der Rheinoper verpasst Regisseurin Karoline Gruber Mozarts Meisteroper „Don Giovanni“ eine zweite Haut. Mehr als einmal fühlt man sich ans geile Gruselschloss erinnert, in dem einst Richard O’Brians „Rocky Horror Picture Show“ spielte. Premiere war Samstag am Theater Duisburg.
Einem Mann, der mehr als tausend Frauen verschleißt und sich nicht mal vom Tod einschüchtern lässt, würde man heute vermutlich ein mehrteiliges Format auf RTL widmen. Vor 225 Jahren schrieb man für solche Fälle noch Opern: Mozart schuf „Don Giovanni“, Held und Musik sicherten der Oper ewiges Leben.
Wie aber rechnet 2012 eine Regisseurin mit dem Womanizer der Klassik ab? Erst mal juxt Karolin Gruber für ihre Deutung an der Rheinoper das „Dramma giocoso“ per Kultfilm auf. Kein Zweifel: Es sind Brad und Janet, die bei scheußlichem Wetter und zu den höllenfinsteren Takten der Ouvertüre Unterschlupf suchen im geilen Gruselschloss. So leitet also von Beginn an Richard O-Briens „Rocky Horror Picture Show“ unseren Blick auf das erotische Schurkenstück.
Bizarre Verwandschaft von Oper und Film
Zwar muss dieser souverän übertragene Gag bei guten Teilen des Premierenpublikums schon aus Altersgründen verpuffen, entwaffnend ist er dennoch. Wie das in vieler Hinsicht ahnungslose Bauernpaar Masetto und Zerlina in Don Giovannis sittenlose Welt hineingezogen wird, wie in ihnen beileibe nicht nur Abscheu vor der Dekadenz der oberen Zehntausend aufkeimt, schenkt zwei Kultwerken anregend bizarre Verwandtschaft.
Leider ist weder der Spaß der zweiten (Film-)Haut noch Grubers zunächst bestechend genaue Sängerführung abendfüllend. Eine ganze Weile sind die Einblicke spannend. Gruber erzählt in Roy Spahns edlem wie tiefschichtigen Bühnensalon, der immer mehr aus den Fugen gerät, eben nicht die monochrome Geschichte vom Frauenfresser. Vielmehr zeigt sie Frauen, für die ohne ihn keine Existenz sein kann, sei’s die bei Gruber scheinschwangere Donna Elvira, sei’s die zwischen emanzipiertem Mut und Hysterie schwankende Anna. Schlüssig begleitet Böcklins Bild von „Odysseus und Kalypso“ – der Rastlose und die Nymphe – all das wie ein Leitmotiv, schwebt über klugen Szenen vom Begehren, von Identität stiftender Lust.
Aber irgendwann ab der Mitte löst dieser Abend seine vielen Versprechungen nur noch unter Mühen ein. Die Überlast von Botschaften (Zimmertüren mit Revolutionsdaten), die viel zu vielen Zombietänze abgelegter Liebschaften sind ermüdend, kreisen um sich selbst.
Fabelhaft: Der Diener des Don
Zur Musik: Der herausragende Sänger dieses Abend ist Adam Palka als Giovannis Diener: Karoline Gruber zeichnet Leporello hündisch-devot, zugleich mit kranken Allmachtsfantasien gesegnet – und Palka mit fabelhaft beweglichem Bass. Tragisch, dass er Mozarts Titelhelden in den Schatten stellt, aber wie Laimonas Pautienius’ Don zu Weiberherzen vordringen will, wenn er es kaum zu den Ohren schafft, wird man fragen dürfen.
Auf gutem Niveau singen die Damen: Alma Sadés Sopran hat viele anrührende Momente. Nataliya Kovalovas Elvira wartet noch im Rachegesang mit reifer Wärme auf – ein aparter Gegenentwurf zu Olesya Golovnevas silbrig-fragiler Deutung der Donna Anna.
Duisburgs Philharmoniker spielen unter Friedemann Layer enorm pointiert, hochdramatisch und durchhörbar frei von allen romantischen Schlacken, bisweilen aber auch von Schmelz und Wärme.