Köln..

„Stromberg“ war gestern - jetzt beginnt Christoph Maria Herbst ein neues Fernsehleben. Am Montag hieß es bei ProSieben „Kreuzer kommt“. In Köln sprach Jürgen Overkott mit dem Schauspieler buchstäblich über Gott und die Welt.

Sie haben den typischen Abteilungsleiter der Versicherungswirtschaft als größenwahnsinnigen Chaoten dargestellt. Dürfen Sie überhaupt noch Policen abschließen?


Christoph Herbst: Versicherer versichern für Ihr Leben gern, und da werden auch Leute genommen, die ihre Berufsgruppe verunglimpfen. Da gibt es keine Grenze, keine Scham.

Welche Reaktionen gab es aus der Branche?


Herbst: Mir schlägt gerade von dort unheimlich viel Sympathie entgegen. Mehr noch: In Reaktionen aus der Versicherungswirtschaft heißt es oft, wenn Sie wüssten, wie es bei uns zugeht – eigentlich ist es noch schlimmer, als wir es zeigen.

Das ist ein versteckter Vorwurf: Denn Comedy muss übertreiben.


Herbst: Ist das nicht unfassbar? Dabei hatte ich nach der vierten Staffel schon das Gefühl, dass wir unheimlich dick aufgetragen haben. Aber das bestärkt mich in der Auffassung, dass die Realität stärker und intensiver ist als die Fiktion. Ich darf mich mal selbst zitieren: „Stromberg“ war für mich bisher Comedy, aber jetzt wird die Serie eher zur Tragedy.

Geben die Versicherer konkrete Beispiele für das Chaos in ihrem jeweiligen Laden?


Herbst: Durchaus. Ich lese das, amüsiere mich und gebe das Eine oder Andere an unserem Head-Writer Ralf Husmann weiter. Aber er ist so autark in allem, was er tut, dass er sich durch so etwas in keiner Weise beeinflussen lässt.

Wie finden Sie das?






Herbst: Klasse. Er ist ein ganz unabhängiger Geist. Ich habe mir gelegentlich erlaubt, ihm Vorschläge zu machen, und es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass sie eben nicht einfließen. Ich finde das in Ordnung. Er ist Autor und Produzent, und ich würde mir von ihm auch nicht vorschreiben lassen, wie ich den „Stromberg“ zu spielen habe. Das ist eben Arbeitsteilung: Jeder macht seinen Job.

Bei „Switch Reloaded“ gehört auch „Stromberg“ zum Personal. Sprich: Die Parodie wird parodiert, in dem der Versicherungsmann zu Hitler mutiert. Gibt’s da eine Schnittmenge?


Herbst: Klar, die Schnittmenge bin ich, weil ich beide Rolle schon gespielt habe, eben auch den Hatler in „Der Wixxer“. Mit einem bisschen Glück kriegen wir sogar einen dritten Teil, den wir schon allein wegen des Titels machen müssten: „Tripel-Wixx“. Nein, die Schnittmenge bei „Switch“ bin ich, und ich finde, wer parodiert wird, der hat es geschafft, und die Kollegen machen das brillant.

Wenn es eine Schnittmenge zwischen „Stromberg“ und Ihrer neuen Rolle als „Kommissar Kreuzer“ gibt, dann die: Beide sind extrem.


Herbst: Eines vorweg: Diese Rolle ist mir nicht auf den Leib geschrieben worden, an meinen Leib lasse ich so wie so nur ganz wenige Menschen ran. Dieses Buch hat Christian Jeltsch geschrieben, und zwar schon vor sieben Jahren. Und dann kam die Produktionsfirma TV60 dazu, die begeisterte sich plötzlich dafür, bald darauf war auch ProSieben dabei, und dann fiel mein Name. Das ist eine unique Figur, die kenne ich so nicht, nicht mal aus dem angloamerikanischen Raum. Kreuzer ist eine Rolle, die ich mir anziehe, ich muss die Figur dem Papier entreißen und sie lebendig werden lassen. Das ist meine Aufgabe, und wenn ich das nicht tue, dann heißt es, setzen, sechs.

Wie bereiten Sie sich vor?


Herbst: Lesen, lesen, lesen, zwischen den Zeilen lesen, in die Regieanweisungen reinhorchen.

Sie lassen Bilder in Ihrem Kopf entstehen.


Herbst: Ich bin ohnehin ein sehr visueller Mensch, ich lasse Bilder entstehen, hinterfrage die Bilder, ob sie stimmig sind. Und der Rest passiert in einer großen Orgie am Set: Man befruchtet sich gegenseitig, ein toller Regisseur, in diesem Fall Richard Huber, ein Kameramann, ein sehr homogen zusammengestelltes Ensemble.

Wie würden Sie Kreuzer beschreiben?


Herbst: Er ist nicht aktiv, er ist reaktiv. Er ist blitzschnell beim Beobachten, beim Kombinieren, eine Fleisch gewordene Rasierklinge. Sie schneidet mit ihren Fragen ins Fleisch der Verdächtigen, und im Pilotfilm sind erst mal alle verdächtig. Er stellt sich mit psychologischen Tricks auf sein Gegenüber ein. Das ist für einen Schauspieler ein Eldorado.

Kreuzer arbeitet mit Provokation, er rückt den Verdächtigen buchstäblich auf die Pelle.


Herbst: Das ist gewollt, in die Aura seines Gegenübers einzudringen. Man lässt in unserem Kulturkreis normalerweise einen Meter Platz zwischen sich und seinem Gesprächspartner. Das hat man Wolfgang Lippert in seiner Zeit als „Wetten, dass..?“-Moderator angekreidet. Man hat ihm die Fresse in den Zeitungen poliert, weil er seine prominenten Gäste immer am Arm angefasst hat…

…ein anderer Fall war, auch in den Neunzigern, der Reporter Wolfgang Koruhn, der seinen Gesprächspartnern fast auf den Schoß gesprungen ist, um ihnen das Mikrophon in den Mund zu rammen.


Herbst: Ich fand das großartig. Aber hat das mit einem anderen Ansatz als Lippert gemacht. Lippert vermittelte einem das Gefühl, dass er Halt sucht. Bei Koruhn war das Mittel, in sein Gegenüber hineinzukriechen, um ihm oder ihr unerwartete Reaktionen abzunötigen. Und so ähnlich mache ich das bei Kreuzer auch. Der ist in vieler Hinsicht politisch unkorrekt und schmeißt logischerweise auch Etikette über den Haufen.

Gleichzeitig ist Kreuzer sehr moralisch. Er geht auf das Stichwort „Beten“ ein und auf das Stichwort „Gott“.


Herbst: Das ist eines der großen Geheimnisse von Kreuzer, die es zu lüften gilt. Ein weiteres Geheimnis ist das Bild eines Kindes, das immer wieder in dem Film zu sehen ist. Und was passiert mit Kreuzer und seiner Assistentin, zwischen denen es knistert?

Aber zurück zur Frage…


Herbst: Ja, es stimmt, bei bestimmten Reizworten geht Kreuzer an die Decke. Er kann es auch nicht haben, belogen zu werden. Dazu kommt das Korsett, das er sich anlegt, jeden Fall in einer bestimmten Zeit lösen zu wollen.

Sie selbst sind, wie Ihr Name verrät, katholisch, kommen aber aus dem erzprotestantischen Bergischen Land. Wie hat Sie das geprägt?


Herbst: Ich bin konfessionell liberal aufgewachsen.

Gut. Aber: Wurden Sie als Kind in die Sonntagsmesse getrieben? Mussten Sie Messdiener werden?


Herbst: Ich musste es werden, dann wollte ich es sein. Ich war sogar Oberministrant und hatte eine Messdienergruppe unter mir. Später war ich Lektor. Irgendwann danach hat mich unser Pastor mal in einer Messe im Gemeindegesang herausgehört und frage mich, ob ich bei bestimmten Messen Teile der Liturgie singen wollte, das habe ich aber gelassen. Ich habe mich sogar lange mit dem Gedanken getragen, Priester zu werden. Aber meine Idee kollidierte mit meiner ersten Freundin. Der Zolibat stand zwischen mir und em Priesteramt.

Sie hatten in der Messe viele Aufgaben, die vor Publikum stattfanden.


Herbst: Ja, mir war klar, dass die Messe viel mit meinem heutigen Brotberuf zu tun hat: Die Liturgie lebt stark von Inszenierung. Katholiken, denen das nicht reicht, fahren nach Griechenland oder nach Russland, denn dort ist der Weihrauch noch intensiver und dass Gold der Kelche noch hochglänzender. Weihrauch ist wie der Bühnennebel im Theater, die Klingel ist wie ein Donnerblech in einer Inszenierung. Es ist einfach ein kurzer Weg von der Kirche zum Theater. Und ich muss sagen, ich bin immer noch gläubig, wenn auch nicht in diesem kanonisierten Denken der katholischen Kirche.

Kreuzer geht es um Wahrheit, bedient sich dabei aber schmutziger Tricks. Wie böse darf ein Guter sein?


Herbst: In der Fiktion darf alles sein. Der Zweck heiligt bei ihm die Mittel. Wenn man sich etwas Höherem verschrieben hat, dann muss man eine gewisse Konsequenz an den Tag legen. Das gefällt mir sehr. Mit dem privaten Christoph Maria Herbst hat das aber nix zu tun.

Kreuzer macht seinen Job zu einem inneren Contre-la-montre: einem Zeitfahren gegen die Uhr. Wie kommen Sie mit Zeitdruck zurecht?


Herbst: Ich bin ziemlich diszipliniert. Ich mache keine Dinge parallel, sondern konzentriert mich auf eine Sache. Man muss sich Prioritätenlisten machen und dann abarbeiten. Es kann sein, dass Ereignisse in meinem Familien- oder Freundeskreis anstehen, für die ich die Arbeit hintan stelle.