Essen. Sie ist so populär, dass sie sogar bei "Wetten, dass..?" gastiert. Jetzt würdigt Klassik-Star Cecilia Bartoli mit ihrer CD "Sacrificium" die Leiden der Kastraten und, natürlich, ihren engelsgleichen Gesang. Am 13. November gastiert sie in Köln. Jürgen Overkott sprach mit der fröhlichen Diva.
Sie sprechen neben ihrer Muttersprache Italienisch noch Spanisch, Französisch, Englisch und Deutsch…
Cecilia Bartoli: …Deutsch aber nur im Restaurant. Es reicht, um ein Menü zu bestellen.
Ihre Bescheidenheit ehrt sie. Und trotzdem stelle ich mir die Frage: Sammeln Sie Sprachen?
Cecilia Bartoli: Nein, nein. Ich sammle keine Sprache, ich sammle Musik. Das ist eine Sprache, die überall verstanden wird. Musik kann jeder hören, und Musik kann jeder machen. Musik ist eine Sprache, die direkt ins Herz trifft.
Und es ist die einzige Sprache, die keine Worte braucht…
Cecilia Bartoli: …natürlich, aber Musik eignet sich auch hervorragend, die Wirkung von Poesie zu verstärken.
Sie lieben es, verlorene Musikstücke wiederzuentdecken. Sind Sie die Jägerin der verlorenen Schätze?
Cecilia Bartoli: Ja, tatsächlich liebe ich es, den Archiven musikalische Schätze zu entreißen. Dort lagern noch eine Menge Juwelen, die es zu entstauben lohnt. Ich glaube, dass sie uns immer noch eine Menge zu sagen haben. Aber darüber hinaus liebe ich auch das populäre Repertoire. Wissen Sie, ich verehre Mozart. Und wenn man Mozart liebt, muss man sich auch mit Haydn beschäftigen. Denn Haydn hat Mozart stark beeinflusst. Eigentlich müsste man immer Stücke von beiden singen.
Jetzt lassen Sie die Kunst der Kastraten wieder aufleben. In welcher Beziehungen standen die Gesangsstars des 18. Jahrhunderts zu Mozart?
Cecilia Bartoli: Es gibt eine direkte Beziehung. Mozart hat viel Musik für Kastraten geschrieben, viele Stücke für Mezzosopran waren eigentlich für Kastraten. Die hohen Männerstimmen waren im 18. Jahrhundert sehr in Mode, und selbst Rossini hat im 19. Jahrhundert noch für Kastraten geschrieben.
Wie haben Sie den Charme der Kastraten-Musik für sich entdeckt?
Cecilia Bartoli: Das hat etwas mit Neapel zu tun. Dort gab es, ebenso wie in Bologna, eine Schule für Kastraten, und ihr Lehrer war Porpora, ein Pädagoge und ein Komponist. Und die Musik von Porpora für Stars wie Farinelli hat mich sehr beeindruckt – es ist Musik voller Gefühl. Porporas Arien sind sehr dramatisch, sehr pathetisch, sie schillern in vielen Farben.
Farinelli war der Superstar unter den Kastraten. Er konnte sogar dafür sorgen, dass sich der depressive König von Spanien besser fühlte. Ist Musik Medizin?
Cecilia Bartoli: Oh ja! Gut, dass Sie das erwähnen. Farinelli konnte den König zwar nicht heilen, aber doch seinen Zustand lindern. Er musste nach Mitternacht bis morgens um vier singen, immer dieselben sechs Lieder. Aber: Farinelli wurde mit der Zeit ein Vertrauter des Königs und schließlich gar Premierminister.
Aber Farinelli zahlte einen hohen Preis: Er musste immer dieselben Stücke singen.
Farinelli war der Elton John des 18. Jahrhunderts
Cecilia Bartoli: (lacht) Ja, richtig. Das ist in etwa so, als müsste Elton John für die Queen jede Nacht „Candle In The Wind“ spielen. Na ja, aber Farinelli hat es doch für den König getan…
Nun sind Kastraten zwar Männer, aber nicht mehr männlich. Geht da nicht die Erotik flöten?
Cecilia Bartoli: Nein, nein. Gerade bei Farinelli gibt es eine Fülle von feinen psychologischen Schattierungen, von sanfter Melancholie. Die Kastraten waren keine Männer, waren keine Frauen. Vielleicht waren gerade sie in der Lage, zwischen den beiden Geschlechtern zu vermitteln.
Für ihre himmlischen Stimmen haben die Kastraten das Tor zür Hölle geöffnet. Ist es erlaubt, für Unterhaltung in Top-Qualität jeden Preis zu zahlen?
Cecilia Bartoli:Ha! Gute Frage! Die Kastraten haben, wie der Titel meines Albums nahelegt, tatsächlich für ihre Kunst ein Opfer gebracht. Früher wurden jährlich 4000 Jungen kastriert. Arme Familien sahen darin eine Möglichkeit, ihrem Schicksal zu entkommen. Und nur zwei, drei Kastraten machten tatsächlich Karriere. Aber ist es heutzutage wirklich anders? Viele Künstler lassen an ihren Körpern herumschnibbeln. Denken Sie nur an Michael Jackson! Das war doch unbeschreiblich: Schließlich war nicht mal seine Nase mehr echt. Wir lassen uns vom Diktat der Schönheit terrorisieren.