Dortmund.. Schauspielerisch exzellent geführt, sängerisch oft von Rang, auch wenn es der Deutung an Tiefe mangelt. Dortmunds Oper freut sich auf „Don Giovanni“.

Was man so ironische Fügung nennt: Die Welt begeht den Internationalen Frauentag, und in Dortmund holt man den größten Aufreißer aus der Versenkung: Premiere „Don Giovanni“. Für den ist schon Mozarts Ouvertüre mehr als ein Vorspiel. Zu ihren Takten legt der Don die Donna flach. Direkt davor (auch die Sänger sitzen zunächst in der Oper) döst Donnas Väterchen im Parkett, wenig später schubst Giovanni ihn zu Tode. Der alte Komtur verpasst was: Wie diese Neuinszenierung Sänger zu (schau)spielerischen Höchstleistungen treibt, ist ein Ereignis.

Regie führt: der Intendant. Jens Daniel Herzog. Und er zeigt sich für den repertoirestützenden „Don Giovanni“ in starker Form. Sind das wirklich Opernsänger, die wir in Dortmund hören? Oder nicht doch: hellwach agierende Schauspieler, denen ein guter Gott schöne Mozart-Stimmen gab? So fein gearbeitet, so charaktersatt beseelt, so punktgenau in all den emotionalen Wechselbädern zeigt Herzog das Personal von Mozarts rabenschwarzer Meisteroper, dass es eine Wonne ist. Und das auf nahezu nackter Bühne, acht Polsterstühle und ein bisschen Festbüffet gibt es dazu. Doch gerade das Loblied auf den leeren Raum gibt den Blick entwaffnend frei auf des Verführers Wohl und Wehe.

Eine Art Clooney mit Trauerrand

Herzogs Don mag auf den ersten Blick ein dreitagebärtiger Clooney im perfekt sitzenden Smoking sein (wie seine ganze Entourage ist dieser Weiberfresser ein Mensch ganz von heute). Aber Herzog deutet recht früh Risse im Supermannsbild an – Eros trifft Erschöpfung, Frauenschwarm wird Frustgestalt. Genau beobachtet und detailsatt erzählt: diese Leere im Reich der Lust. Und das, obschon die Wirkung dieses Don ohnegleichen ist. Selbst einen Mann wie den braven Ottavio setzt Giovannis Kuss unter Gleichstrom: Seine letzte Arie singt der Gute quasi frisch geoutet.

Die beklemmende Tiefe fehlt

Um den famos gespielten Abend nicht gleich ins Olymp der Ewigkeitsinszenierungen zu schießen: Zu beklemmender Tiefe hat Herzogs staunenswerte Interaktion selten das Zeug. Selbst da, wo die ganze Schar seiner weiblichen und männlichen Opfer (wie in Christies „Orientexpress“) Don Giovannis Höllenfahrt in meuchelndem Einverständnis gemeinsam zelebriert, bleibt der Abend uns eine Deutung von Rang schuldig.

Und der üppig beworbene Raum-Coup? Mathis Neidharts Spielrampe ragt weit ins Opernparkett hinein. Auch dort wird also gesungen, gelechzt, gefummelt. Hübsch lebendig gewiss – und für Dortmunder Verhältnisse ein bisschen aufregend. Aber weder akustisch noch szenisch ist das zwingend. Bisweilen rächt es sich gar: Den Orchestergraben zuzubauen und Dortmunds Philharmoniker zu einem weit hinten auf der Bühne siedelnden Element zu machen, das bringt Einbußen.

Orchester weit hinten und akustisch benachteiligt

Zwar musizieren die Philharmoniker unter Gabriel Feltz sehnig straff und hörbar historisch informiert. Aber manches schöne Detail, nicht zuletzt die feinen Dialoge der Holzbläser, schafft es kaum, bis in den Riesenrachen des Dortmunder Hauses vorzudringen.

Den Sängern freilich schenkt dieses Defizit freie Bahn. Einmal mehr zeigt sich in Dortmund ein Mozart-Ensemble, das in unserer Region weit vorn liegt. Jubelstürme für Eleonore Marguerre – eine Donna Anna aus dem Bilderbuch, duldsame Melancholie wird Gesang, nah an der Perfektion, nie kalt, anrührend schön. Lucian Krasznecs zeichnet den Ottavio als Poeten mit effektvoll heldischem Kern. Selbst Dons Diener hat das Zeug zum Verführer: Morgan Moodys Leporello mobilisiert satte, virile Eleganz. Dass Gerardo Garciacanos nobel-balsamischer Bariton kein Rieseninstrument ist, wissen seine Fans. Aber kommt es bei einem echten Don Juan wirklich auf die Größe an? Emily Newtons Elvira glänzt in üppigem Furor, Nachbesserungsbedarf im Filigranen gibt es gleichwohl.

Weitgehend ein Sängerfest, dazu enorm bewegtes und zugleich bewegendes Musiktheater. Wenig ist das ganz bestimmt nicht.