Kabarettist und Komik-Unikat Jochen Malmsheimer liebt die alten Meister – und gerät bei Rittergeschichten gern und leicht ins Jauchzen.
Wer hat noch mal behauptet, dass Reisen in die Vergangenheit unmöglich sind? War’s Einstein? Jochen Malmsheimer kann’s jedenfalls nicht gewesen sein. Denn er weiß, dass das trotzdem geht. Schon seit er ein kleiner Junge war und einst von Krankheit niedergestreckt in Bochum lag. Die Zeitreise ins Mittelalter führte für ihn geradewegs durchs schmerzende Ohr.
„Wenn man einmal mit Mittelohrentzündung im Bett liegt und dann bei ,Ivanhoe’ hört, wie der unglaublich arrogante Brian de Bois-Guilbert den verwundeten, jungen Mann noch in die Schranken weist und sagt: ,Schau noch mal in die Sonne, es wird wohl dein letztes Mal sein!’ Und wenn er dann vom Herzinfarkt gefällt wird auf dem Höhepunkt der Hybris, dann sind die Ohrenschmerzen auf einmal weg! Es war unvergleichlich!“
Moment mal... Sollte einer wie Malmsheimer, ein ausgewiesener Buchliebhaber, einen Klassiker wie „Ivanhoe“ nicht eigentlich beim Lesen kennengelernt haben. „Falsch! Natürlich über Europa-Schallplatten! Hans Paetsch erzählte. Und die junge Ingrid Andree sprach die Lady Rowena. Die hatte so eine Stimme, da knackte es hinten immer ganz trocken. Man merkte auch, dass die spröde Lippen hatte. Also: Man mochte sie nicht küssen, aber hören konnte ich sie Stunden, Tage, Wochen“, erinnert sich Malmsheimer beinahe jauchzend an diese Höhepunkte jugendlicher Begeisterungsfähigkeit.
In seinem Herzen einen Flecken für Weisheiten
Kein Wunder also, dass der Bochumer, der einst sich beim Duo „Tresenlesen“ als Rezitator komischer Literatur, später als Autor eigener durchaus lachhafter Programme und Hausmeister in der Sendung „Neues aus der Anstalt“ einige Meriten erworben hat, doch in seinem Herzen einen Flecken für die Einsichten, Weisheiten und die Komik vergangener Zeiten reserviert hat.
Auch interessant
Dabei sieht er den Beruf des Kabarettisten durchaus in langer Tradition. „Allein der Beruf des Hofnarren dürfte ja geläufig sein. Diese kathartische Wirkung des Humors, die hat es immer schon gegeben. Das Publikum ist heute anders, das stimmt. Es sind heute viele freiwillig da, einige zahlen sogar dafür! Das war vor 800 Jahren deutlich anders. Und ich selbst laufe auch nicht Gefahr, umgebracht zu werden, wenn der Witz nicht funktioniert.“
Ein Lob auf die Torheit
Malmsheimer findet immer wieder ergötzliches Material, das zurückführt in Zeiten, als die Männer noch „für die schönen, guten, wahren Dinge des Lebens mit der blanken Klinge eintraten“. Dass zu dieser Zeit das schärfste Schwert auch durch ein geschliffenes Wort ersetzt werden konnte, demonstrierte der 53-Jährige etwa, als er „Das Lob der Torheit“ von Erasmus von Rotterdam einlas, eine gesellschaftliche Rundumbetrachtung aus dem Jahre 1508, deren ungebrochene Aktualität dem heutigen Hörer bisweilen eine schmerzhafte Maulsperre beschert.
„Erasmus war ein großer Bewunderer von Thomas Morus, seinem Freund. Er wollte ihm zeigen, dass er auch was auf der Pfanne hat. Ich habe das gelesen und dachte: Ungeheuerlich, das hat eine derartige Frische und Präsenz. Und nichts, in Worten NICHTS, und das war das Niederschmetternde, nichts hat sich verändert. 500 Jahre gesellschaftliche Entwicklung sind spurlos an uns vorübergegangen.“ Aus Sicht der personifizierten Torheit berichtet Erasmus eben von allzu menschlichem Verhalten.
Der Gang nach Canossa
Die Leidenschaft für Historisches hat Malmsheimer längst auch zu eigenem Schöpfungsdrang gebracht. So hat er unter dem Titel „Zwei Füße für ein Halleluja – Mit einem Regenten unterwegs“ ein ganzes Programm dem Gang nach Canossa des Königs Heinrich IV. gewidmet. Aus dessen geheimen Tagebüchern zitiert Malmsheimer hier angeblich. Eine schöne Idee, allein der Weg dorthin war weit: „Die Stadt Paderborn hat vor ein paar Jahren eine Ausstellung gemacht, weil ja der König Heinrich IV. eine Pfalz in Paderborn hatte. Sie wollten einen kabarettistischen Beitrag dafür. Und sie haben alle Kollegen von mir gefragt, die aber alle abgesagt haben.
Auch interessant
Dann haben sie mich gefragt. Und ich habe gesagt: Ja, sicher. Und dann habe ich im Zuge der Recherche festgestellt, dass es in der deutschen Geschichte kaum einen Topos gibt, der weniger komisch ist als der Gang nach Canossa.“ Was tun? Die Verlegenheit war groß, zumal Malmsheimers musikalischer Compagnon Uwe Rössler die zugehörige Spinettmusik längst geschrieben hatte – und darauf wartete, sie in ein Programm einbetten zu dürfen.
Nun, Malmsheimer gelang, was ihm eigentlich immer gelingt: Zwei Wochen vor der Premiere hatte er eine Idee – und machte das mal eben fertig. „Wir spielen es so zwei, drei Mal im Jahr, weil der Markt naturgegeben relativ klein ist. Das ist eins von jenen Programmen, für die gilt: Je mehr man drüber weiß, desto schöner wird’s.“ Auch Ende Februar wird Heinrich wieder nach Canossa gehen, doch sind die Karten zum Mitreisen längst ausverkauft.
Die größte Tragödie der Nordhalbkugel
Auch andere geharnischte Stoffe haben einen festen Platz im Herzen des wortreichen Recken. So entriss er T.H. Whites Ritterepos „Der König auf Camelot“ von 1958 dem Vergessen, indem er es als Hörbuch einlas. „Es ist das Protokoll eines grandiosen Scheiterns. Da hat sich ein hochintelligenter und wunderbar schreibender Mensch vorgenommen, die größte Tragödie der Nordhalbkugel in einer Form zu präsentieren, die man als humoristisch bezeichnen könnte. Und er ist an der Größe des Stoffes gescheitert, das finde ich das Allergrößte. Das Buch ist zum Schreien, ich habe das mit derartigem Vergnügen eingelesen, dass wir die Produktion mehrfach unterbrechen mussten, weil wir uns einnässten vor Vergnügen.“
Die nächste Zeitreise steht in diesem Jahr ebenfalls an: Im Mai wird Malmsheimer am Theater Hagen unter dem Titel „P.D.Q. Bach: Ein Leben gegen die Musik“ die fiktive Biografie eines unbekannten Sohns des berühmten Johann Sebastian Bach auf die Bühne bringen. Und nebenher will er mit der WDR-Bigband „Die Bremer Stadtmusikanten“ aufnehmen. Doch damit zunächst genug des Neuen.
Denn: „Ich bin auch ganz froh, wenn mal ein halbes Jahr nichts passiert.“ Dann bleibt auch wieder mehr Zeit zum Lesen. Etwa Buch-Klassiker wie „Robin Hood“ oder „Die Schatzinsel“. Oder auch zum Hören, denn die ein oder andere Europa-Hörspielplatte wartet darauf, mal wieder ein wenig loszuknistern.
- Mit mehreren Programmengleichzeitig ist Jochen Malmsheimer unterwegs: 19.3. Leichlingen (Wenn Worte reden könnten), 20.3. Dorsten-Wulfen (Flieg Fisch...), 21.3. Wuppertal (Wenn Worte reden könnten), 22.4. Essen (Flieg Fisch), 23.4. Bochum (Halt mal, Schatz!), 5.5. Gladbeck (Wenn Worte reden könnten), 7.5. Iserlohn (Ich bin kein Tag...).