Essen..
Wenn die Berliner Philharmoniker gastieren, spielen sie vor vollem Haus. In Essen nicht. In der Philharmonie blieben Reihen leer. Ein Spitzenpreis von 155 Euro ist wohl selbst für Menschen, die es sich leisten könnten, die Schmerzgrenze.
Semyon Bychkov dirigierte in der nicht ausverkauften Philharmonie Essen die Berliner Philharmoniker. Bezeichnend: Die unteren Preiskategorien waren ausverkauft; an Interesse scheint es also nicht zu mangeln. Aber von der Idee, Hochkultur sollte für alle erschwinglich sein, verabschiedet sich dieses Land immer deutlicher. Zugang zu kultureller Bildung unabhängig vom Einkommen? Für viele bildet schon ein 45-Euro-Ticket eine unüberwindliche Schranke.
Solisten-Meisterschaft
Dass die Berliner unter den Spitzenorchestern der Welt rangieren, ist kein Mythos. Wer die Leichtigkeit und Delikatesse des Klangs in Maurice Ravels „Le tombeau de Couperin“ erlebt, kann das bestätigen. In den differenzierten Valeurs der elegant-filigranen Musik offenbart sich die Meisterschaft der Solisten. Semyon Bychkov, der den erkrankten Seiji Ozawa vertrat, ist für derart noble, klangatmosphärische Charmerie der richtige Dirigent. Jede Phrase hat ihre eigene Farbe, die dynamische Bewegung lebt aus dem Detail. Für Johannes Brahms’ Zweite Symphonie ist Bychkovs ästhetischer, klangsensibler Zugang indes zu begrenzt: Er lässt mehr die Sommerfrische des Wörthersees spüren – an dem das Werk entstand –, als in die melancholische Gebrochenheit der Idylle einzutauchen. So klingt der Beginn trotz lauernd drohender Blechbläser und Pauken einfach nur schön. Der dritte Satz fließt ihm und dem Orchester geglückt aus der Hand, in freiem Atem, mit exquisiten Phrasierungen. Doch wo Kontraste das dichte gedankliche Material vorzeigen, wo strukturelle Prozesse ausgeleuchtet werden sollten, verdrückt sich Bychkov hinter dem erstklassigen Klang der Berliner. Der veredelt auch das postume Bratschenkonzert Béla Bartóks, in dem Tabea Zimmermann wieder einmal virtuose Geiger vor Neid erblassen ließ.
So viel Schwung, so viel Detailarbeit, so viel erzmusikalische Klugheit war nie!