Essen.. Das Festival der Neuen Musik in der Essener Philharmonie begann mit Kompositionen von Nicolaus A. Huber, Robin Hoffmann und Samir Odeh-Tamimi.
Der Chor zischelt, atmet hörbar ein, das Ausatmen ist sanftes Hauchen. Dann wieder werden Konsonanten herausgepresst, zwischendurch findet das Ensemble lyrischen Halt, bevor ein Schrei uns aufrüttelt. So wird Sprache im musikalischen Kontext – was einst Gesang war – zerpflückt und seziert, in Klang und Geräusch verwandelt.
Nicolaus A. Huber hat diesen damals revolutionären „Versuch über Sprache“ 1969 geschrieben, für 16 Einzelstimmen, chinesisches Becken, Hammondorgel, Kontrabass und Tonband. Heute fasziniert das Stück durch seine ausgefeilte Dramaturgie: Die Essener Philharmonie hat es am Freitag ins Eröffnungsprogramm des Neue-Musik-Festivals „Now!“ genommen.
Hubers Textmaterial – ein altgriechisches Fragment, romantische Lyrik und Marx’ „Kapital“ – verliert zwar seine inhaltliche Bedeutung. Jedoch gewinnt es, in Verbindung mit instrumentalen Impulsen und elektronisch erzeugtem Geräusch, neue klangliche Qualität.
Brodelnder Klangrausch vom WDR Rundfunkchor Köln
Hier der Altmeister, dort zwei Uraufführungen der jungen Generation. Robin Hoffmann lässt das famose Gesangstrio Marieke Steenhoek (Sopran), Bettina Ranch (Alt) und Rainer Maria Röhr (Tenor) singend, sprechend und lautmalend rezitieren, aus einem „Betrugs-Lexicon“ von 1720, über Schikanen gegenüber Kantoren. Und die äußerst differenziert aufspielende Neue Philharmonie Westfalen unter Johannes Kalitzke gibt ihren teils derben, teils silberhell schmeichelnden Kommentar dazu.
Ernster ist Samir Odeh-Tamimis „Ramádi“ für Chor und Schlagzeug, ein brodelnder Klangrausch, ein Hecheln und sirenenhaftes Singen, anmutend wie eine archaische Kriegsmusik. Vorzüglich gestaltet der WDR Rundfunkchor Köln die Partie, wie auch die in Luigi Nonos „Canto sospeso“. Dieser große, variantenreiche Klagegesang für Orchester, Solisten und eben Chor kennt das Sphärische wie das Brutale. Aus Abschiedsbriefen von zum Tode verurteilten Nazi-Gegnern: Nono lässt die Worte schweben, nichts fällt hinab ins Sentimentale.