London.. Der Sohn Gotts wird auf Gemälden oft ohne Kleidung dargestellt, obwohl doch Winter ist. Zwei Mediziner sind nun der Frage nachgegangen, warum das so ist. Sie kamen zu dem Schluss, dass Jesus wahrscheinlich gar nicht im Dezember geboren wurde.
Das Jesuskind liegt nackt in einer Krippe im Stall von Bethlehem. Es ist Ende Dezember. Der Wind pfeift durch den maroden Bretterverschlag. Es ist lausig kalt. Nur ein kleines Nest aus Stroh und ein dünner Stofflappen schützen das Baby vor der Kälte. Das arme Neugeborene muss doch furchtbar frieren, oder?
Das haben sich die Mediziner Tieh-Hee und Marion Koh gefragt, als ihnen auffiel, dass das Jesuskind in der Krippenszene sehr häufig leichtbekleidet oder komplett nackt dargestellt wird. Die beiden Ärzte arbeiten in der Neugeborenenstation des Townsville Hospitals in der australischen Stadt Douglas.
Um die Sache mit dem frierenden Jesuskind zu klären, betrachteten sie 20 Bilder der Krippenszene aus dem Fundus der National Gallery in London. Tieh-Hee und Marion Koh wollten auswerten, in welcher Kleidung Jesus und die anderen Figuren abgebildet waren.
Ihr Ergebnis veröffentlichten sie in einer Weihnachtsausgabe des Medical Journal of Australia. Demnach war der Sohn Gottes in 90 Prozent der Abbildungen nackt oder nur leicht bekleidet – im Gegensatz zu den Personen, die um ihn herumstehen: Maria und Josef tragen fast immer dicke Winterkleidung.
Jesus muss an Unterkühlung gelitten haben
Und dieses Schema setzt sich fort: Von 56 Personen, die auf den ausgewählten Bildern zu sehen sind, tragen 47 für die Jahreszeit passende Kleidung. Das ließ bei Tieh-Hee und Marion Koh nur einen möglichen Schluss zu: Jesus muss bereits kurz nach seiner Geburt an gefährlicher Unterkühlung gelitten haben.
Die Mediziner konnten sich aber nur schwer vorstellen, dass Maria und Josef solche Rabeneltern gewesen sind – also suchten sie eine andere Erklärung für die nichtvorhandene Kleidung.
Bei Kälte blieben die Tiere im Stall
Und die fanden sie bei einem Blick in die Bibel: Zwei Stellen weisen darauf hin, dass Gottes Sohn gar nicht im Dezember geboren wurde. In Lukas 2,8 beschreibt der Evangelist Hirten, die bei ihren Tieren auf der Weide Wache halten. Doch unter freiem Himmel verbrachten die Hirten mit ihrem Vieh die Nächte in jener Zeit nur zwischen April und September. Kein Hirte hätte seine Tiere freiwillig dem kalten Winterwind im nahen Osten ausgesetzt. Bei Kälte blieben die Tiere im Stall. Und der Stall, den Maria und Josef fanden, war ja schließlich weitgehend leer.
Auch an einer anderen Bibelstelle erwähnt der Evangelist Lukas einen Umstand, der der Geburt im Winter widerspricht (2,1). Dort berichtet Lukas von der Volkszählung durch Kaiser Augustus. Allerdings hätte wohl kein römischer Kaiser solch ein organisatorisches Großprojekt in den unwirtlichen Monaten des Jahres durchgezogen, wenn die Straßen kaum passierbar sind. Befestigte Straßen waren zu dieser Zeit noch eine kaum vorhandene Seltenheit. So fanden alle Volkszählungen dieser und späterer Epochen nach der Ernte im Herbst statt. Also im September. Wahrscheinlich ist daher, dass Jesus in eben diesem Monat das Licht der Welt erblickt hat.
Maria und Josef dürften geschwitzt haben
Historiker und Theologen gehen heute davon aus, dass es Papst Liberius gewesen ist, der im Jahr 354 nach Christus das Weihnachtsfest vom Herbst auf den späten Dezember verlegt hat. Denn dadurch fiel das Fest mit den Feiern zur Wintersonnenwende zusammen, mit denen die Römer den Sonnengott ehrten. So konnte die Kirche den heidnischen Brauch durch das christliche Fest ersetzen.
Mit ihrer Erkenntnis, dass Jesus in einer milden Septembernacht geboren wurde, erklärt zumindest das Ärztepaar Koh, warum das Kind wohl nicht gefroren hat. Dafür dürften Josef und Maria ganz schön geschwitzt haben in ihren Winterklamotten.
Und selbst das ist keine gesicherte Erkenntnis. „Wir dürfen nicht vergessen, dass vieles, was Künstler im Zusammenhang mit Jesu Geburt darstellen, auf Spekulation beruht. Jeder Künstler setzt seine eigenen Gedanken ein“, sagt Manfred Lipienski, Vorsitzender des Bochumer Krippenvereins. „Es geht schließlich um den ,Glauben’ und nicht ums ,Wissen’“.