Essen. Der Islamische Staat steht im Verdacht, antike, geplünderte Kulturgüter zu verkaufen, um den Terror zu finanzieren. Nutzt er den deutschen Kunstmarkt?
Das leicht verbeulte goldene Fläschchen ist winzig: Vier mal vier Zentimeter. Es ist alt, vielleicht 5000 Jahre. Und es ist wieder zu Hause im Irak – dort, wo es die Sumerer einst einem Grab beilegten und wo es heute, hoffentlich in Sicherheit, im Museum in Bagdad steht. Vor allem aber: Das Goldgefäß ist – wie kürzlich eine in Köln aufgetauchte 4000 Jahre alte Ankeraxt – Beleg, dass geplünderte Kulturgüter im Rechtsstaat Deutschland in Auktionen gehandelt werden können.
September 2005. Der Mainzer Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe entdeckt das Artefakt im Katalog eines Münchner Auktionshauses. Herkunft: Angeblich römische Kaiserzeit. Angeblich östlicher Mittelmeerraum. Der Schätzpreis: 1400 Euro. „Quatsch“, denkt Müller-Karpe, „ich kenne diese Form“. Sie ist aus dem Irak. Aus den Königsgräbern von Ur. Viel älter. Viel wertvoller. Plünderer haben das während des Irak-Konflikts beiseitegeschafft.
Dramatischer Kampf um die Rückgabe
Müller-Karpe hat damals den dramatischen Kampf um die Rückgabe aufgenommen. Mit deutschen Polizeibehörden, mit Gerichten, mit dem Zoll, der ihm einerseits half, der ihm aber auch drohte, das zeitweise in einen Museums-Tresor gebrachte Gefäß per Schweißbrenner „zu befreien“ und den Auktionatoren zurückzugeben. Am Ende hat der Kriminalarchäologe gesiegt. Am 4. Juli 2011 übergab der damalige Außenminister Guido Westerwelle das Stück dem irakischen Botschafter.
Nicht unbedingt ein Happy End, denkt Müller-Karpe heute. Mit dem Auftauchen des „Islamischen Staates“ auf der politischen Weltbühne ist „eine neue Stufe der Gefährdung unseres archäologischen Erbes“ erreicht. Geraubte Kulturgüter, „Millionen Objekte“, füllten die Kriegskasse des Terrors. Gedealt werde damit auch in München, Frankfurt oder Köln – wie schon in Hamburg vor 2001, als der 9/11-Attentäter Mohammed Atta mit Antiken geschachert habe, um seine geplanten Anschläge zu finanzieren. . .
Es fehlt oft das Bewusstsein
Ist das alles nur eine gewagte Behauptung? Oder finanzieren sich Mafiosi und Terroristen tatsächlich aus illegalem Antikenhandel, der in Auktionen als Teil des legalen Kunstmarktes daherkommt?
Noch widersprechen sich viele Informationen. Deutschland müsse aufpassen, dass es nicht zum „Hauptumschlagplatz für den illegalen Handel mit Kulturgütern“ werde, warnt die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt, Monika Grütters. Das Bundeskriminalamt kann derzeit aber nicht bestätigen, dass antike, durch den IS verkaufte Plünderware in deutschen Versteigerungen landet. In Mainz haben sich jetzt Fachleute ausgetauscht.
Einer von ihnen ist Hauptkommissar Eckhard Laufer, in Hessens Landeskriminalamt für Kulturgüterschutz zuständig. Er sagt, den Ermittlungsbehörden fehle oft das „Bewusstsein“ dafür. Was zudem fehle, seien Beweise. Das Problem: „Kein Terrorist taucht hier selbst auf und verkauft das Raubgut.“ So bleibe die Beweislast beim Staat.
Das soll anders werden. Michelle Müntefering, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Herne und im zuständigen Ausschuss des Parlaments, hofft, dass das novellierte Kulturgüterschutzgesetz mit den Unsicherheiten für Verkäufer und Käufer, Ermittler und Justiz aufräumt. Der Zoll könne die Echtheit von Gucci-Taschen einschätzen, nicht aber die alter Steintöpfe. „Das müssen wir auch für den Handel mit Antiken schaffen.“
Aus kriminellen Quellen
Kern der Gesetzesnovelle: Jedes gehandelte Objekt erhält eine Art „Fahrzeugbrief“, aus dem Daten und legale Herkunft des Stücks ersichtlich sind. Die große Koalition ist darüber weitgehend einig.
Auch Müller-Karpe hofft auf die neuen Regeln. Dann sieht er sich aber wieder die jüngsten Bilder der vom IS zerstörten Kulturen in Ninive und an weiteren Plünderstätten an. Die Löcher in den Ruinen, teils zehn Meter in den Boden getrieben, damit die Grabräuber an Beute kommen. „Jeder weiß, dass fast alles, was im Handel angeboten wird, aus Raubgrabungen kommt und daher aus kriminellen Quellen“. Einen anderen Satz, den der Kriminalarchäologe mal geäußert hat, wiederholt er nicht. Den haben ihm die Gerichte untersagt. Amir Musawy, Berliner Büroleiter des irakischen Fernsehens, zitiert ihn. Er hieß: „An jedem archäologischen Objekt aus Irak klebt Blut.“
- Seit Ausbruch der Kämpfe in Syrien hat der Raub wertvoller Kulturgüter massiv zugenommen. Allein 2014 beschlagnahmte der syrische Grenzschutz 6000 Mosaike und Münzen. Der IS besteuert, berichtet die „Zeit“, die Einnahmen der Grabräuber mit 20 Prozent und verdient so auf jeden Fall an dem Schmuggel.