Bayreuth. Tenor Klaus Florian Vogt feiert Triumphe als “Lohengrin“ bei den Festspielen in Bayreuth. Das Publikum muss Abschied von den Ratten auf dem Grünen Hügel nehmen.

Der Ratten-"Lohengrin" von Hans Neuenfels symbolisiert wie kaum eine andere Inszenierung Lust und Leid der Bayreuther Festspiele. Anfangs mit aggressiver Abscheu sogar in die offenen Szenen hinein ausgebuht, hat die Inszenierung längst Kultstatus. Nun läuft sie im sechsten und letzten Jahr, und das Publikum mag sich kaum trennen - obwohl der Gralsritter bereits in der Verlängerung auf dem Grünen Hügel unterwegs ist. Mit einer halben Stunde Beifall im Stehen und unablässigen Bravo-Chören feiern die Besucher entsprechend die Premiere der Abschiedsrunde.

"Lohengrin" als Laborversuch

Hosianna und Kreuziget ihn liegen sehr nahe beieinander, das macht der greise Theatervisionär Hans Neuenfels in seiner Arbeit deutlich. Das betrifft einerseits Lohengrin selbst, der als Erlöser umjubelt wird und doch so schnell an den Pranger des Volkswillens gerät. Symbolisch gilt das natürlich ebenfalls für Bayreuth, wo neue Inszenierungen sich mit unerfüllbaren Erwartungshaltungen konfrontiert sehen - zumal dem einen zu bieder erscheint, was der andere als skandalösen Bildersturm auf Wagners Werk begreift. Neuenfels und sein Bühnenbildner Reinhard von der Thannen legen den "Lohengrin" als Laborversuch an, und ein Theaterlabor müssen auch die Festspiele sein, wo Wagners Opern mit unterschiedlichen ästhetischen Positionen konfrontiert werden.

In diesem Spannungsfeld ist die Rattenparabel aufklärerisch und witzig zugleich. Sie macht anschaulich, wie korrumpierbar die öffentliche Meinung ist, wie rasch sich Mitläufer finden und wie umstandslos diese ihren erwählten Heiland wieder verraten, wenn die Propaganda stimmt. Neuenfels gelingt ein Lehrstück über Manipulation und Verführung.

Dabei nutzt der Regisseur den Chor nicht nur als Staffage. Die 134 wunderbaren Choristen hängen die Rattenschwänze sozusagen in den Wind und verwandeln sich im Handumdrehen in brave Bürger und am Schluss sogar in angsterregende Uniformierte - so schnell kann das gehen. Wie Neuenfels mit Massen umgeht, und wie er die Tragik der Handlung immer wieder durch humorvolle Akzente aufbricht, belegt, wie gut und klug seine Inszenierung handwerklich gearbeitet ist.

Klaus Florian Vogt verkörpert die Einsamkeit des Erlösers

Die Einsamkeit des Erlösers verkörpert kein Tenor derzeit besser als Klaus Florian Vogt. Es ist sein Lohengrin, sein Triumph, die Partie, die ihn von einem hervorragenden Sänger zum herausragenden Star gemacht hat. Obwohl Vogt gar nicht die Originalbesetzung war, er sprang im zweiten Jahr für Jonas Kaufmann ein, wirkt die Produktion wie für ihn maßgeschneidert. Es gibt nur wenige Tenöre, die das Rollenverständnis einer Partie so geändert haben wie Vogt beim Lohengrin. Sein hellsilbern timbrierter Tenor, verbunden mit der außergewöhnlichen Textverständlichkeit seines Gesangs, beschreiben eine bis dahin ungehörte Balance zwischen Erlösungswillen und Isolation. Dabei ist Vogts Stimme im Laufe der Jahre noch gereift, sie ist farbenreicher und dunkler geworden. Die feinen Zwischentöne aber, die sind selten so hörbar wie jetzt bei der Premiere, in der die Gralserzählung zu einem ergreifenden Klagelied auf verpasste Chancen wird.

Mit Alain Altinoglu muss ein neuer Dirigent den "Lohengrin" ins Finale führen. Der Franzose hat anfangs noch Mühe mit der Klangbalance im Festspielhaus, findet dann aber einen eher unsentimentalen Zugriff auf die Partitur.

Annette Dasch hat sich als Elsa ebenso bewährt wie Jukka Rasilainen und Petra Lang als intrigantes Paar Telramund und Ortrud. Und so wird der "Lohengrin" auch zum Glücksrad. Petra Lang ist als Bayreuther Isolde 2016 im Gespräch, Klaus Florian Vogt wird dann zum Parsifal, und Anna Netrebko hat einen Vorvertrag als Elsa 2018.

Bis dahin wird man die Ratten sehr vermissen. Dieser "Lohengrin" hat Geschichte geschrieben.