Berlin.. Der amerikanische Bestsellerautor T.C. Boyle spricht im Interview über den neuen Roman, die Sorge um die Umwelt, die Sehnsucht nach dem Leben auf der Insel – und die Frage, ob Frauen Humor haben. Sein nächstes Buch ist ein erster Versuch eines „realistischen, unironischen Romans“.
Seit 30 Jahren schreibt der amerikanische Autorenstar T.C. Boyle Storys und Romane, die auf die Kernfragen des Seins zielen – und die Rolle des Menschen auf der Welt kritisch hinterfragen. Dabei hat er seinen Humor keinesfalls verloren.
Die Sorge um die Umwelt scheint Sie mehr denn je umzutreiben – gibt es auch in der Gesellschaft ein neues Bewusstsein für diese Themen?
T.C. Boyle: Ich hoffe es. Ich möchte nicht immer alles nur negativ sehen. Die Menschen in Kalifornien, wo ich lebe, haben zum Beispiel verstanden, dass Recycling wichtig ist. Eines der großen Zukunftsthemen wird sein, wie in den Müllbergen die Metallgewinnung bewältigt werden kann. Die Städte machen es uns heute sehr leicht, Müll zu trennen, ich habe einen Kompost für den Garten, sammle recyclebaren Müll und Restmüll, das ist alles sehr schön. Die Frage ist nur: Ist es zu spät? Sagen Sie es mir.
Das weiß ich wirklich nicht. Was glauben Sie? Können wir den Lauf der Dinge korrigieren?
Boyle: Wenn wir es nicht tun, werden wir alle sterben. Wir sollten an die künftigen Generationen denken. Im letzten Jahrhundert sind mehr Tierarten ausgestorben als seit der Zeit der Dinosaurier.
Wirklich?
Boyle: Oh ja! Hätte ich Enkel, und würden diese mein Alter erreichen: Dann erlebten sie eine Welt, in der es keine Elefanten mehr gibt, keine Raubkatzen mehr, weil ihnen die Lebensräume fehlen. Nur noch Tierarten, die sich vom Tisch der Menschheit ernähren, werden gedeihen: Tauben, Ratten, Waschbären, Kojoten. Darin sind sich alle Naturschützer einig. Diese Themen treiben mich um, aber auch die größeren Fragen dahinter: Was ist der Sinn des Lebens, warum sind wir hier, inwiefern unterscheiden wir uns von den Tieren?
In Ihrem aktuellen Roman, „Wenn das Schlachten vorbei ist“, kämpfen zwei Umweltschützer gegeneinander: Die eher rationale Biologin Alma Boyd Takesue, die die Rattenpopulation auf den Santa-Barbara-Inseln ausrotten will zugunsten des Ökosystems - und der ungestüme Kämpfer Dave LaJoy, für den jedes einzelne Leben zählt. Ist LaJoy Ihnen ähnlich?
Boyle: Ja, natürlich. Aber ich fühle mich auch Alma sehr nahe. Die beiden hätten sich auch zusammentun können, im Buch hatten sie ja sogar ein Date. Aber Almas Bildung weist sie darauf hin, dass man manchmal Entscheidungen treffen muss, um Arten zu retten – und andere Tiere dafür opfern muss. Die Frage ist, wer hat das Recht, diese Entscheidungen zu treffen? Und sollten wir sie treffen? Beide Figuren haben reale Vorbilder, sind aber erfundene Charaktere. Bei Alma wurde ich inspiriert von einer Freundin, die ebenfalls Biologin ist, um die Vierzig, liiert, aber kinderlos. Auch Alma will ja keine Kinder, aus Überzeugung, bekommt aber im Buch ein Baby. Und stellen Sie sich vor, kurz nach Erscheinen des Romans wurde auch die Biologin schwanger…
Sie sollten besser gut darüber nachdenken, was Sie als nächstes schreiben.
Boyle: Oh ja! Ich denke, ich werde ein Buch schreiben müssen, in dem alle erlöst werden und glücklich sind.
Sie sind ja, wenn man sich frühere Bücher anschaut, öfter mal prophetisch, oder?
Boyle: In „Worlds End“ habe ich zum Beispiel über den biologischen Determinismus geschrieben. Ich habe mich gefragt, ob wir von unseren Eltern vielleicht nicht nur das Haar und das Aussehen erben, sondern auch andere Dinge – wie zum Beispiel eine Tendenz zur Drogen- oder Alkoholabhängigkeit. Das war 1987. Und heute deutet die Genforschung darauf hin, dass vieles in unserem Verhalten, unserem Charakter, vorbestimmt ist. Vielleicht sind wir nur getrieben von der Biologie. Der einzige Sinn des Lebens scheint zu sein, neues Leben zu schaffen – aber das ist ja auch kein schlechter Grund.
Würden Sie sagen, die Natur ist Ihre Religion?
Boyle: Absolut. Ich wünschte, ich könnte an Gott glauben. Wenn ich in der Natur bin, fühle ich etwas, das größer ist als ich selbst. Wir setzen heute unser Vertrauen in die Rationalität und unsere fünf Sinne, wir haben ja auch keine Wahl. Aber das gibt uns keine Antwort auf die Frage, die uns wirklich umtreibt und die lautet: Warum?
Sie sind als Autor früh bekannt geworden – an welchem Punkt ihrer Karriere konnten Sie vom Schreiben leben?
Boyle: Ich komme aus der Hippie-Ära. Wir wollten kein Geld verdienen, sondern Künstler sein. Es war nicht mein Ziel, einen Job zu finden – es hat sich so ergeben. Ich unterrichte nun schon mein ganzes Leben lang an der University of Southern California, es ist eine Ergänzung zum Schreiben. Ich habe nie etwas geschrieben, nur um Geld zu verdienen.
Aber hat Sie das Geldverdienen denn nicht irgendwie beeinflusst?
Boyle: Naja, jeder muss Geld verdienen, und wenn man Kinder hat, steigen auch die Ausgaben. Aber ich lebe ein sehr zurückgezogenes, privates Leben. Ich besuche keine Hollywood-Partys oder schicke Ski-Resorts. Ich mache Urlaub in einem kleinen Haus im Wald und wandere da herum und rede mit mir selbst. Ich brauche kein glamouröses Leben.
Sie haben gerade Ihre Arbeit als Lehrer erwähnt: Hat es der literarische Nachwuchs heute schwerer als früher?
Boyle: Ja. Das ist vor allem dadurch begründet, dass niemand mehr weiß, wie man liest, und deshalb die Leser weniger werden. In der Schule lernen die jungen Menschen das nicht mehr, dabei muss man das Lesen üben, wie die Mathematik. Mein Roman „The Tortilla Curtain“ ist Schullektüre, das ist einerseits die größtmögliche Ehre, ich bin Teil des Kanons, das ist das Nirwana! Andererseits…
… ist das für die Schüler jetzt das Buch, das man lesen muss.
Boyle: Genau. Ein Abtörner, kein subversiver Spaß mehr. Ich lese sehr gerne in den Schulen, um die Jugendlichen aufzuwecken, sie daran zu erinnern, warum wir Bücher und Geschichten lieben. Viele von ihnen haben die Gabe, zu schreiben, deshalb ist es gut, dass es so viele Programme für Kreatives Schreiben gibt. Aber wird es eine Karriere für sie geben, eine Öffentlichkeit, die sie unterstützt? Der Erfolg hängt von so vielen Faktoren ab, Sie müssen Talent haben, eine einzigartige Vision, Sie müssen produktiv sein und Glück haben.
Auf welche Weise hatten Sie Glück?
Boyle: Mit jeder meiner Entscheidungen. Ich hatte so viel Glück wie ein Mensch nur haben kann. Etwas, das ich in dieser chaotischen Welt wirklich schätze, ist Stabilität. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich der einzige Schriftsteller in der Geschichte, der nur eine einzige Ehefrau hat. Ich hatte auch nur einen Agenten, nur einen Verlag in Amerika und nur einen in Deutschland, im Prinzip. Ich habe nur an einer einzigen Universität unterrichtet, obwohl ich auch woandershin hätte gehen können. Mir ist Loyalität sehr wichtig, Menschen, auf die ich mich verlassen kann.
Wir wissen bereits, dass Ihr nächstes Buch, „San Miguel“, wieder eine der Santa-Barbara-Inseln zum Schauplatz hat. In Ihrem Blog schrieben Sie, es wäre Ihr erster Versuch eines „realistischen, unironischen Romans“…
Boyle: Jede Geschichte will auf ihre Art erzählt werden. Und ich habe bereits Kurzgeschichten geschrieben, die ohne Ironie auskommen. Ich wollte einfach sehen, ob ich das könnte, einen ernsthaften historischen Roman schreiben. In gewissem Sinne ist dieses Buch das Gegenteil meines ersten Romans, „Wassermusik“ – darin hatte ich die Konventionen des historischen Romans auf den Kopf gestellt, mich darüber lustig gemacht. Beim neuen Roman kommt hinzu, dass er ganz aus der Perspektive von Frauen erzählt ist – etwas, das ich zum Teil in „Die Frauen“ schon versucht hatte.
Steht denn die Ironiefreiheit und die weibliche Perspektive irgendwie im Zusammenhang?
Boyle: Sie meinen, weil Frauen keinen Sinn für Humor hätten?
Ja, so ungefähr.
Boyle: Da bin ich anderer Meinung! Vielleicht hat es sich so ergeben, weil die Story auf Tagebüchern und Memoiren von Frauen beruht, die ich entdeckt habe: sehr faszinierendes Material über die zwei Familien, die dort zu verschiedenen Zeiten ganz alleine auf der Insel lebten.
Klingt beängstigend.
Boyle: Aber auch befreiend. Wir wollen doch alle unsere eigene Insel haben, auf der wir König und Königin sein können, aus offensichtlichen Gründen. Und auf dieser Insel passierte das sogar zweimal. Die zweite Familie, die dort lebte, hatte zwei Töchter, eine von ihnen lebt noch. Ich habe sie getroffen. Diesen Mikrokosmos einer Gesellschaft finde ich faszinierend. Schauen Sie sich an, wie wir heute leben, so anonym. In San Miguel, das ist kleinste Gesellschaft, die möglich ist.
Würden Sie gerne dort leben?
Boyle: San Miguel ist heute ein Nationalpark, von daher stellt sich die Frage nicht. Aber ich lebe in einem Teil von Santa Barbara, der ein eigenes kleines Dorf ist, ich kann überall hinlaufen, das ist ein bisschen wie eine Insel. Und einmal im Jahr miete ich ein Haus im Sequoia Nationalpark, nicht gerade in der Wildnis, die gibt es ja heute gar nicht mehr – aber immerhin sind dort keine anderen Menschen und nachts ist es pechschwarz. Wenn ich dort zwei oder drei Wochen war, dann werde ich ruhig, dann ist es okay. Und dann kann ich zurückkehren.