Gelsenkirchen.. Dominik Zollhofer ist als Justizvollzugsbeamter in Gelsenkirchen ein Ansprechpartner für Jungtäter. Er weiß nie, was am nächsten Tag passiert.
Dominik Zollhofer zählt nicht mit, wie oft er am Tag den Schlüssel dreht. Wenn er es täte, käme eine erstaunlich hohe Zahl dabei heraus. Zollhofer ist Justizvollzugbeamter in der JVA Gelsenkirchen. Egal, wohin er geht: Ohne Schlüssel kommt er nicht weit. Die Zellen sind verschlossen, die Abteilungen, die Gänge, die Büros. Wenn man vom Gefängnis spricht, fällt ja oft der Ausdruck „hinter Gittern“.
Doch Gefängnis heißt mehr als das. Es heißt: hinter Türen, hinter Schleusen, hinter Zäunen, hinter Stacheldraht, hinter Mauern. Auch wenn die Anstalt in Gelsenkirchen im Vergleich zu anderen modern, hell und offen wirkt, bekommt man selbst als Besucher sehr schnell ein Gefühl dafür, was es heißen mag, eingesperrt zu sein.
Zollhofer arbeitet auf der Jungtäterabteilung. Dort werden Straftäter untergebracht, die 21 bis 27 Jahre alt sind. Um sie vom „schädlichen Einfluss der Älteren“ fernzuhalten, wie er sagt. Zollhofer entspricht, wie eigentlich fast alle seiner Kollegen, nicht den klischeehaften Vorstellungen, die man vielleicht aus vergangenen Jahrzehnten oder gar aus Filmen oder dem Fernsehen von einem Justizvollzugsbeamten hat.
Der 31-Jährige ist ein freundlicher, gut gelaunter, sportlicher Mann mit gewählter Ausdrucksweise und einem bestimmten, aber keineswegs allzu förmlichen Auftreten. „Wir sind oft ein Mix aus Sozialarbeiter und Animateur“, sagt er halb scherzhaft über seine Arbeit. Tatsächlich ist die Betreuung auf der Jungtäterabteilung intensiver als anderswo. Und auch andere Dinge sind hier anders: Zwischen 7 Uhr morgens und 19.45 Uhr abends sind die Zellentüren offen und die Häftlinge dürfen sich auf dem Gang, im Aufenthaltsraum oder der Küche aufhalten.
Der Blick in eine Zelle offenbart die erwartete Kargheit: ein einfaches Bett mit Metallrahmen, ein Schrank und eine Nasszelle. Auf einem Regalbrett flimmert ein Fernseher, den der Gefangene selbst angeschafft hat. Über dem Bett hängen herausgerissene Zeitschriftenseiten von spärlich bekleideten und nackten Frauen.
Im Aufenthaltsraum findet man einen Kicker, eine Dartscheibe – dort hängt ein Fernseher, verschlossen hinter Plexiglas. Eine Stunde täglich ist Freigang. Manchmal spielt man Fußball auf dem gepflegten Ascheplatz im Innenhof der Anstalt.
Das alles klingt ja erstmal gar nicht so schlimm. Dennoch: Diejenigen, die hier sitzen, sind eingesperrt. Und wenn sich am Abend um 19.45 Uhr der Schlüssel dreht und vor dem nächsten Morgen nichts mehr passiert, beginnt für die Jungtäter eine schwierige Zeit. „Ich glaube, wenn abends die Tür verschlossen wird, merken sie erst, was sie alles vermissen. Dass die Familie nicht da ist. Dass man eingesperrt ist“, sagt Zollhofer. Aber es ist ja auch nicht so, dass die Insassen nicht genug auf dem Kerbholz hätten. Zu einer Haftstrafe von sieben Jahren wegen Raubs kommt es eben nicht zufällig. „Dass die Leute hier ein hohes Aggressionspotenzial haben, ist bekannt“, sagt Zollhofer.
Jeder Beamte trägt ein Personen-Notrufgerät
Was dagegen hilft, ist allerdings verblüffend einfach. „In erster Linie schützt man sich davor mit seinem persönlichen Auftreten. Wenn ich nicht provokant den Leuten gegenüber bin, wird in der Regel nichts passieren“, sagt er.
Er selbst ist noch nicht angegriffen worden. Und wenn, dann wäre er gut vorbereitet. Zweimal pro Woche gehen die Beamten zur den „Sicherungstechniken zur Gefahrenabwehr“, wo u.a. Techniken zum Lösen von Griffen vermittelt werden.
Jeder der Beamten trägt ein „Personen-Notrufgerät“. Das bietet gleich drei Möglichkeiten, Alarm auszulösen. Zum einen lässt sich ein Stift aus dem Gerät ziehen, wodurch nach kurzer Verzögerung der Alarm schrillt. Dann gibt es einen roten Knopf. Und: Wenn das Gerät zwanzig Sekunden lang waagerecht liegt, schrillt der Ton ebenfalls los. Und, ach ja, nach Hilfe rufen kann man ja auch noch. „In der Regel sollte innerhalb von 30 Sekunden jemand hier sein“, sagt Zollhofer.
Extreme Raffinesse, raffinierte Verstecke
Daran wird deutlich: Nicht der Alltag ist es, der den Beruf des Justizvollzugsbeamten zu einem extremen Job macht, sondern eher die Möglichkeit dessen, was geschehen kann. „Für mich ist vielleicht das Extremste, nicht zu wissen, was am nächsten Tag passiert“, sagt Zollhofer.
Manchmal hatte er es auch mit extremer Raffinesse zu tun. Immer wieder versuchen die Gefangenen zu tricksen und Dinge hinter Gitter zu schmuggeln. „Das raffinierteste Versteck bis jetzt war ein ausgehöhlter Tisch. Die Leimkante wurde gelöst, der ganze Tisch war innen hohl, darin waren Drogen und Handys versteckt.“
Die JVA ist ein Kosmos für sich. Aber selbst, wenn die Täter ihre Zeit verbüßt haben, kann es vorkommen, dass die Insassen sich mit Fragen doch noch einmal an die Beamten wenden, die auch für Probleme der Ex-Insassen ein offenes Ohr haben. Und ein einziges Mal, erzählt Zollhofer, ist man sich auch schon wiederbegegnet. „Ich habe einmal jemanden draußen getroffen, auf der Kirmes. Der war sehr freundlich. Er kam mit Frau und Kindern zu mir und hat gefragt, wie es mir geht. Das war jemand, den wir in die Ausbildung geschickt haben. Und der nun die Freiheit genießt.“ Denn auch solche Geschichten erlebt man, wenn man als Justizvollzugsbeamter arbeitet.