Bochum.. Am Schauspielhaus Bochum wird die Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ zu einer nassen Inszenierung über die Fragen des sexuellen Seins.

Erst fließt nur der Champagner. Während noch die Zuschauer auf ihre Plätze zusteuern, haben diese zwei den Hafen schon gefunden: Die weißbeschleierte Braut küsst unter einem Lichterhimmel aus Glühbirnen ihren Bräutigam. Und eine Hochzeitsgesellschaft arbeitet sich ab an den Ritualen – Wadenraten und Orangentanz, Liedvorträge und die üblichen peinlichen Reden, untermalt von leiser Pianomusik. Mit einem solchen Fest des (doppelten) Glücks endet ja üblicherweise Shakespeares Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“.

In der Bochumer Inszenierung von Roger Vontobel aber beginnt hier erst das Drama um eine, die vielleicht einer ist oder auch irgendwas dazwischen. Das Liebesglück der Braut geht baden in jenem Moment, in dem das „Ich liebe dich“ des Bräutigams es doch besiegeln sollte – weil man, so muss man die Bochumer Deutung ja verstehen, einen solchen Satz heute schwerlich noch sagen kann, der die gefestigte Existenz von Subjekt und Objekt so selbstgewiss annimmt. Jana Schulz ist eine androgyne Braut mit kurzem Blondhaar und kräftigen Oberarmen, die doch unter der Last der erforderlichen Identitätsbestimmung zusammenbricht. Bis sie, rotweinbefleckt, hochzeitstortenverschmiert, zu bedrohlichen Bassklängen (Keith O’Brien) in den Fluten von Feuerwehrschläuchen taumelt, die von zwei Doppelgängern gehalten werden und als Viola in Illyrien an Land geht.

Claudia Rohner hat auf der Bochumer Bühne eine Beckenlandschaft in Schwarz und Chrom geschaffen. Hier kann niemand mehr den „Wahnsinn“, „die Raserei, die Liebe heißt“, umschiffen. Getreulich zeichnet das Ensemble den Shakespeareschen Reigen nach, bis schließlich die allermeisten pudelnass und mit dem irren Lächeln der Vernarrtheit ihren Illusionen hinterher taumeln: Viola alias Kammerdiener Cesario schmeißt sich seinem/ihrem Herrn Orsino (Michael Schütz) an den Hals und Olivia (Katharina Linder) wirft sich am Pool in Position, Cesario zu bezirzen. Andrew von Bleichenwang (Florian Lange) lässt sich von Sir Toby (Matthias Redlhammer) und Kammermädchen Maria (Friederike Becht) in dionysische Feste und furchtsame Duelle hineinziehen. Derweil rüstet sich Malvolio (Martin Horn) mit neongelben Overknees und überbordender Selbsttäuschung fürs Stelldichein mit Olivia, und am Ende landet er da durchaus in der Kiste: aber allein. Eingesperrt und frei schwebend. Über alldem wacht der landstreichende Narr (Jutta Wachowiak). Bleibt das Spiel um die sexuelle Identität im Original doch weitgehend eine Frage der Kostümierung Violas, so zielt sie an diesem Abend auf den Kern der modernen Identitätsvielfalt. Vontobel verlässt das bekannte Fahrwasser: Jana Schulz spielt gleichzeitig Sebastian, Violas Zwillingsbruder, den Shakespeare eigentlich zur Auflösung der Liebeswirren herbeizaubert.

Hier nun steht ein einzelner Mensch vor dem Problem, die moderne Version des „Ich liebe dich“ doppelt zu erfüllen: „So, wie du mich willst, so will ich sein“, sagt Viola/Sebastian zu Olivia. Und muss sich doch fragen: „Steh ich mir wirklich selber gegenüber?“ Das kann nicht gut gehen. Geht es auch nicht. Wenn Vontobel in der vom jungen Publikum gefeierten Inszenierung die Fragen sexuellen Seins stellt, dann mit einer Verve, die uns das Herz flutet. Auch stürmische Wasser sind tief.