Essen. Eine Studie aus Essen zeigt, dass bei psychischen Erkrankungen eine Trennung doppelt so wahrscheinlich wird. Bei körperlichem Leid ist es anders.

Am Anfang strahlt der Liebeshimmel warm und hell – und man schaut allzu gern durch die sprichwörtliche rosarote Brille in die Zukunft einer neuen Beziehung. Dazu haben Frischverliebte und junge Brautleute ja auch alles Recht der Welt, mit Schmetterlingen im Bauch und dem Kopf in den Wolken – was gibt es nicht alles für schöne Formulierungen für die Euphorie so eines Anfangs, auch wenn man ahnt, dass eines fernen Tages mal Gewitter aufziehen können. Nicht ohne Grund liefert schon die wohl bekannteste Formulierung bei der Trauung einen Vorgeschmack darauf: „Ich verspreche, Dir die Treue zu halten, in guten und in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit…“

Gesundheit und Beziehung beeinflussen sich gegenseitig

Dass es oft problematisch werden kann, belegen nicht nur die Scheidungsquoten: Im Jahr 2018 wurde in Deutschland laut Statistischem Bundesamt jede dritte Ehe geschieden. Die Zahl der Trennungen von Langzeit-Beziehungen ist dabei nicht berücksichtigt.

Ob Gesundheit und Krankheit tatsächlich einen signifikanten Einfluss darauf haben, ob Paare zusammenbleiben oder sich trennen, das haben nun Forscher des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung – und der Universität Erlangen-Nürnberg untersucht. „Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Beziehung ist in der Literatur schon relativ gut etabliert, häufig schaut man dabei aber: Welchen Einfluss hat eine Beziehung auf die Gesundheit? Wir haben uns nun andersherum die Frage gestellt: Welchen Einfluss hat die Gesundheit auf die Beziehung? Es ist nicht so ganz einfach, das auseinanderzuhalten, weil beide Faktoren sich gegenseitig bedingen“, sagt Christian Bünnings, Gesundheitsökonom beim RWI in Essen.

RWI Gesundheitskökonom Christian Bünnings.
RWI Gesundheitskökonom Christian Bünnings. © Christian Bünnings | Privat


Dazu knöpften sich die Wissenschaftler einen großen Datensatz aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) vor, bei dem in den Jahren 2004 bis 2018 rund 10.000 Paare befragt wurden. Unter diesen Fragen waren auch zwölf zu ihrem körperlichen, mentalen und emotionalen Befinden, aus denen man Werte für die körperliche und psychische Gesundheit ableiten konnte. Diese Zahlen wurden ins Verhältnis gesetzt zum Risiko einer Trennung in den darauffolgenden zwei Jahren.

Eines der zentralen Ergebnisse dieser Untersuchung lautet in der Kurzform: Psychische Probleme führen tatsächlich häufig zu Trennungen. Bei einer Verschlechterung des körperlichen Gesundheitszustands hingegen steigt die Trennungswahrscheinlichkeit nicht an. Was bedeuten kann: Wer beispielsweise einen Herzinfarkt erleidet, an Krebs erkrankt, eine Gehbehinderung bekommt oder andere Beeinträchtigungen erfährt, kann mit ziemlicher Gewissheit darauf hoffen, im Beziehungspartner eine zuverlässige Stütze zu finden. Wer aber hingegen etwa in eine Depression verfällt, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlebt oder an einer Angststörung leidet, der schwebt zudem in erhöhter Gefahr, in den darauffolgenden zwei Jahren auch noch vom Partner verlassen zu werden. Keine sehr aufheiternden Aussichten also.

Bei körperlichen Leiden bleibt die Beziehung so stabil wie zuvor


Einen Zusammenhang zwischen speziellen Leiden und der Trennungswahrscheinlichkeit kann man aufgrund des nicht eigens für die Untersuchung erhobenen Datenmaterials leider nicht liefern. „Wir sehen nicht konkret, welche Krankheiten dahinterstecken“, sagt Bünnings. Der Zusammenhang jedoch ist eindeutig: Wer psychisch erkrankt, hat in den folgenden zwei Jahren ein doppelt so hohes Risiko, verlassen zu werden. Im Falle eines körperlichen Leidens bleibt die Trennungsgefahr gleich – und falls sogar beide Partner körperlich abbauen, sinkt das Risiko des Verlassenwerdens sogar ein wenig. Daraus könnte ein Laie folgern: Das geteilte körperliche Leid führt zu einem engeren Zusammenrücken in der Beziehung. Bünnings: „Das würde ich aber nicht überbewerten, denn das sind in unseren Daten sehr seltene Fälle.“

Ähnliche Ergebnisse auch bei homosexuellen Paaren

Die Gesundheitsökonomen haben im Falle der psychischen Erkrankungen auch nach Geschlechtern und Einkommen differenziert. Dabei zeichnete sich ein weiteres Ergebnis ab: Wenn die Frau von dem Leiden betroffen ist, dann ist die Trennung etwas weniger wahrscheinlich als umgekehrt. Und wenn der ökonomisch schwächere Partner erkrankt, verhält es sich ebenso. Bei homosexuellen Paaren ergaben sich in dieser Hinsicht keine signifikanten Unterschiede, allerdings gab es hier auch nur relativ wenige Daten.


Die Wissenschaftler im Team von Christian Bünnings fanden zwei mögliche Erklärungsansätze für den Fluchtreflex bei einer mentalen Erkrankung des Partners. „Es ist ja so, dass die Partner dadurch sehr stark beeinträchtigt werden, dass eben die psychische Krankheit des Partners durchaus auch auf einen selber abfärbt“, so der Gesundheitsökonom. Wer also selbst durch den Partner beeinträchtigt wird, erwägt vielleicht eher, die Beziehung zu beenden. Und zum anderen könnte die psychische Erkrankung selbst dazu führen, dass der Betroffene eine andere Einstellung zu seiner Beziehung erhält und sich trennt – eventuell sogar dann, wenn er oder sie vom gesunden Partner Unterstützung erhält.

Was bei einer Trennung wegen einer psychischen Krise erschwerend hinzu kommt: Die Trennung selbst verstärkt die psychische Belastung ja noch zusätzlich. Einfach ausgedrückt: Mehrere Probleme summieren sich auf.

Psychische Erkrankungen sind nach wie vor ein Tabuthema

Leider lassen sich aus den Daten der Studie keine Aussagen über den Zusammenanhang von psychischen Belastungen in der Corona-Krise und der Trennungsquote ableiten, denn alle Befragungen fanden ja deutlich vor Ausbruch der Pandemie statt.


Den Gesundheitsökonomen um Bünnings geht es bei der Untersuchung übrigens auch um die enormen Kosten, die psychische Erkrankungen jährlich für das Gesundheitssystem verursachen. Und vieles davon wäre möglicherweise vermeidbar. „Es geht auch darum, dass man Menschen dazu motiviert, sich möglichst früh Hilfe zu holen“, so der Forscher. Diese Bereitschaft können ja nicht nur die Erkrankten entwickeln, sondern auch ihre Partnerinnen und Partner. Anders jedoch als in den Fällen, wenn jemand sich ein Bein bricht, mögen die meisten Menschen über psychische Erkrankungen nicht gern offen reden, denn es ist oft mit Scham oder einem sozialen Stigma behaftet. Bünnings: „Es ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, dass man diese psychischen Krankheiten nicht mehr als ein Tabuthema behandelt.“

>>>Die häufigsten Trennungsgründe: Fremdgehen, Auseinanderleben und mehr...

Die Gründe, warum sich Paare trennen oder scheiden lassen, sind vielfältig – und es kommt immer darauf an, wie gefragt wird. Psychische Erkrankungen werden in den meisten Umfragen zum Thema nicht gesondert berücksichtigt. Ein Blick in die Statistik zeigt: Untreue rangiert zwar immer weit oben bei den häufigen und gewichtigen Trennungsgründen, aber oft spielen andere Faktoren eine größere Rolle. Eine Befragung der Online-Partnervermittlung Elitepartner unter 4000 Getrennten ergab 2015, dass 37 Prozent schlicht angaben: „Wir haben uns auseinandergelebt.“ Dahinter kamen Gründe wie „Wir waren zu unterschiedlich“, „Geben und Nehmen waren nicht ausgeglichen“, „Wir hatten unterschiedliche Bedürfnisse nach Freiraum“ und „Wir konnten nicht miteinander reden“. Erst dann wurden Fremdgehen (21 Prozent) oder das Einschlafen der gemeinsamen Sex­u­alität (19 Prozent) als ausschlaggebender Faktor genannt.