Düsseldorf.. Ein Gespräch mit dem Sänger der Toten Hosen über das 30-jährige Bandjubiläum, über Tod und Vatersein, die Düsseldorfer Szene von einst sowie die Gemeinsamkeiten von Rockkonzerten und Fußballspielen. Und über die beiden neuen Alben „Ballast der Republik“ und „Die Geister, die wir riefen“.

2012 ist das Jahr der Toten Hosen. Es gibt so viel zu feiern, dass man gar nicht weiß, aus welchem Anlass man zuerst ein Döschen Altbier killen soll. Seit 30 Jahren gibt es die Hosen, am Freitag erscheint das Album „Ballast der Republik“ zusammen mit der Jubiläums-CD „Die Geister, die wir riefen“. Und dann wird Sänger Campino im Juni auch noch 50!

Campino, die Toten Hosen sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Was haben Sie richtig gemacht und was lief bei anderen Punkrockern falsch?

Campino: Das kann ich selber nicht beurteilen. Was ich weiß? Dass Glück in jedem Fall dazugehört. Vielleicht auch, dass man im richtigen Moment durch die richtige Tür stolpert. Die Frage ist: Was soll unser Erfolg sein? Dass es uns noch gibt? Dass wir Freunde geblieben sind? Oder wie viele Tonträger wir verkauft haben? Eigentlich hat das etwas mit dem Lebensglück zu tun und nicht unbedingt mit dem Bekanntheitsgrad.

Umgekehrt gefragt: Empfinden Sie nach 30 Jahren Bandgeschichte ein großes Lebensglück?

Campino: Vielleicht braucht man eine gewisse menschliche Reife, um das Glück, das man hatte, zu würdigen. Ich sitze jetzt aber auch nicht den ganzen Tag da und denke, wie gut alles gelaufen ist. Da gibt es noch genug Sorgen. Dennoch ist unser Gefühl, wenn man mit so einem Bandgeburtstag konfrontiert ist: Schön, dass die meisten von uns noch an Bord sind. Es hätte alles viel schlimmer ausgehen können. Es hat den einen oder anderen schweren Unfall gegeben, aber alles in allem sind wir ganz gut damit weggekommen.

Und Sie verausgaben sich bei jedem Konzert, als wären Sie 20…

Campino: Ich kann mich nicht losmachen von der Vorstellung, dass wir uns so verhalten müssen wie bei einem englischen Fußballspiel. Das sieht nicht immer schön aus, aber da wird gerannt, gekämpft, irgendwann pfeift der Schiri und das Spiel ist zu Ende.

Im Titelsong des Albums „Ballast der Republik“ beklagen Sie die heutige Politiklosigkeit. 1982, als die Hosen anfingen, war noch alles politisch. War das nicht schrecklich?

Campino: Wir covern auf der Jubiläums-CD ja ein paar der alten Punksongs. Das sind Lieder aus einer komplett anderen Zeit. Ein 16- oder 17-Jähriger kann heute nur den Kopf schütteln bei diesen Sachen, die damals so präsent waren in unserem Alltag. Diese Texte wie „Computerstaat“ von Abwärts oder „Sirenen“ von Male, die flossen einfach aus den Jungs heraus. Damals war die Ost-West-Frage ja noch ungeklärt und beide Seiten haben sich gegenseitig als Bedrohung empfunden. Heute haben wir hingegen eine totale Frustration in der Parteipolitik.

Stuttgart 21 und Occupy haben aber gezeigt, dass Leute wieder auf die Straße gehen.

Campino: Ich bin da auch nicht völlig verzweifelt. Der Versuch, in Stuttgart einen Lösungsweg zu finden, der irgendwo einer Demokratie entspricht, und die Absicht beider Seiten, die Spielregeln einzuhalten, auch wenn das nicht immer geklappt hat, das war ein Beispiel dafür, dass sich die politische Kultur ganz gut entwickelt.

Sie widmen den Song „Draußen vor der Tür“ ihrem verstorbenen Vater, zugleich berichten sie in „Das ist der Moment“ kurz selbst vom Vatersein. Wie haben Sie die beiden Erfahrungen verändert?

Campino: Es geht mir darum: Solange man an gestorbene Menschen denkt, solange sind sie auch noch da und können auch noch mit uns kommunizieren. Auch wenn wir uns nur einbilden, dass sie uns eine Antwort geben. Der Tod von Vater und Mutter sind Momente, in denen sich die Dinge noch einmal verschieben.

Und was bedeutet es, wenn man selbst Vater wird?

Campino: Dass man seinen Kindern gegenüber Sorgen entwickelt und entdeckt, wie man in ähnliche Muster fällt wie die Eltern. Dass man auch versteht, dass oft aus reiner Liebe Fehler gemacht wurden. Wenn ich mir überlege, dass meine Eltern oft Angst um meinen Werdegang hatten, kann ich viel mehr verstehen, warum sie auf mich sauer waren.

Sie erweisen auf der Jubiläums-CD mit den Coverversionen ja der Düsseldorfer Szene die Ehre. War das nicht längst überfällig?

Campino: Wir haben bisher immer über unsere englischen Vorbilder gesprochen. Im Grunde ist es längst an der Zeit gewesen, mal zu sagen: Es hat auch hier eine Menge toller Texte gegeben. Seien es die Jungs von Mittagspause, von S.Y.P.H. oder Jürgen Englers Male. Das sind die, mit denen wir im Ratinger Hof am Flipper gestanden haben.

Vermissen Sie die alte Zeit manchmal?

Campino: Überhaupt nicht. Die Tür zu dieser Zeit ist zu. Ich glaube, niemand aus der Punk-Clique von damals würde sein Leben gern tauschen, denn es war reich an Spaß und Lebenslust. Aber es ist auch in Ordnung, dass es in der Vergangenheit liegt.