Witten. Im Fitness-Bereich suchen viele junge Menschen Rat zu Ernährung und Gesundheit bei Influencern. Warum sie dort an der falschen Adresse sind.
Pamela Reif sitzt am Palmenstrand und hält sich Kokosnüsse mit Strohhalmen vor die entblößten Brüste, sie posiert im schwarzen Badeanzug bei einem Modeshooting. So zeigt sich die 23-Jährige auf Instagram – und hat neben den Fotos gar nicht mal so dezent die Namen ihrer Auftraggeber und Modeausstatter mit Hashtags versehen. Daniel Fuchs hebt die Hantel, zeigt Bizeps, Sixpack und ganz nebenbei die Shorts eines Sportartikelherstellers mit Raubkatzenlogo. Ach, was sehen die dabei fit und glücklich aus! Was für ein Leben, da kann man doch nur neidisch werden… Sie sind die Stars einer Generation: Allein Top-Influencerin Pamela Reif hat auf Instagram viereinhalb Millionen Follower. Leute wie sie und Daniel Fuchs (31) stehen für das Versprechen von Fitness, Gesundheit, Glück. Kein Wunder, dass viele Jugendliche ihnen nacheifern. Doch sind sie wirklich Vorbilder für Fitness und gesunde Ernährung? Eine Untersuchung der Universität Witten/Herdecke hat sich mit dieser Frage und den Kommunikationstricks der Influencer auseinander gesetzt.
„Stellschrauben für die Perfektionierung des eigenen Körpers“
Gesundheitswissenschaftlerin Katharina Pilgrim analysierte in ihrer Doktorarbeit Strategien der Influencer. „Fitness-Influencer vermitteln Ernährung und Bewegung als Stellschrauben für die Perfektionierung des eigenen Körpers.“ Und: „Jugendliche kommunizieren mit Influencern über das Internet wie mit besten Freunden, sie klagen über ihre Figur, kommentieren umfangreich das Aussehen, die Kleidung, das Essen ihrer Idole, und sie suchen Rat, wie auch sie so perfekt aussehen können.“
Der Irrtum, dem viele dabei erliegen: Die Influencer sind keine Ernährungswissenschaftler oder Sportmediziner, die fundierte Ratschläge erteilen könnten. Das liegt auch gar nicht in ihrem Interesse, denn die professionellen Influencer verkaufen in erster Linie ein Image – und haben oft Verträge mit den Herstellern von Sportartikeln oder Nahrungsergänzungsmitteln, deren Produkte sie vorführen.
Junge Menschen suchen schnelle Lösungen
Katharina Pilgrim kennt sich in der Szene aus, sie war beinahe selbst Influencerin: „Ich war vor vier, fünf Jahren dabei, selber aktiv Bodybuilding zu betreiben. Weil ich diesen Weg auf Instagram dokumentiert habe, sind aus meinen 500 Freunden 13.000 Follower geworden. Ich habe täglich Anfragen von fremden Menschen bekommen, die wissen wollten, was sie jetzt machen sollen. Sie berichteten etwa, wie viele Gramm Haferflocken sie morgens essen und wollten wissen, warum sie trotzdem nicht ab- oder zunehmen. Ich war an diesem Punkt so reflektiert, dass ich dachte: Was mache ich jetzt mit diesem Kind? Ich konnte da nichts wirklich raten. Ich wusste nur: Die Person braucht Hilfe.“
Eigentlich hätte man einige dieser Jugendlichen an Profis vermitteln müssen. Knackpunkt: Wer 15 Jahre alt ist und Probleme mit seinem Essverhalten hat, wird sich nicht an Experten wenden, sondern schnelle Hilfe im Netz suchen und oft bei Influencern laden. Besser wären diese Jugendlichen bei Experten für Prävention und gesundheitliche Aufklärung aufgehoben, aber die betreiben ihre Kampagnen bislang nicht über soziale Netzwerke.
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Hier setzte Pilgrim an, die am Lehrstuhl für Management und gesundheitliche Innovation forscht. Die 31-Jährige analysierte 1000 Bilder von Deutschlands Top-50-Influencern und die entsprechenden Kommentare. Sie fand folgende Kommunikationskette: „Schaut mich an, ich betreibe Sport, ich bin fit, ich weiß, wie es funktioniert. Wenn ihr aussehen wollt wie ich, müsst ihr euch gesund ernähren. Das bedeutet, dass ihr x Nahrungsergänzungsmittel einwerft…“, so Pilgrim. Auf 40 Prozent der Bilder, die Influencer gepostet haben, waren Lebensmittel zu sehen, die Hälfte davon Nahrungsergänzungsmittel.
Der Zwang, sich gesund zu ernähren und zu kontrollieren
Durch die direkte Ansprache der Influencer fühlen sich Jugendliche persönlich gemeint. Hinzu kommt ein Gefühl von Solidarität: „Viele Fitness-Leute sagen, dass sie selbst als Teenie unter Figurproblemen gelitten haben. Der Sport hat sie erst da herausgeholt. Es gibt dann Vergleichsbilder, damals dicker Teenie, heute trainiert mit Sixpack. Das führt zu neuen Problemen.“
Manche sprechen von der neuen Störung Orthorexia nervosa, also vom zwanghaften Verhalten, sich nach bestimmten Regeln zu ernähren. Viele wiegen jedes Gramm ab, das sie essen. Sie betreiben mit Fitness-Armbändern oder -Apps eine umfassende Messung ihrer Gesundheits- und Körperdaten.
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Wenn die Planer von Gesundheitskampagnen junge Menschen wirklich erreichen wollen, folgert Pilgrim, müssen solche Kampagnen gezielt für Instagram konzipiert werden. „Am besten geht das, wenn man sich die von Influencern eingesetzten Techniken zu eigen macht.“ Wenn Kampagnenmacher beispielsweise selbst Influencer aufbauten, könne man so die Verhaltensweisen von Jugendlichen positiv beeinflussen. Und so eine ganze Generation fitter und gesunder machen, obwohl sie keinen Shake von Pamela Reif kauft und kein Pulver von Daniel Fuchs.
>>>Jugendliche und ihre Ernährung
Wirft man einen Blick auf das Verhältnis von Minderjährigen zu ihrem Körper und der Ernährung, liefert das Anlass zu Besorgnis, zitiert die Wittener Wissenschaftlerin Pilgrim: 20 Prozent seien
unzufrieden mit Figur und Gewicht– oder leiden an Heißhungeranfällen. Weltweit hat sich die Zahl der übergewichtigen oder fettleibigen Kinder von 32 Millionen im Jahr 1990 auf 41 Millionen im Jahr 2016 erhöht. Wenn man diesen Trend fortschreibt, wird es im Jahr 2025 weltweit 70 Millionen übergewichtige Kinder geben. In der Folge werden Erkrankungen durch hohen Blutdruck und Diabetes zunehmen.
Unter anderem durch die teils falschen Schönheitsidealen sozialen Netzwerken sehen Wissenschaftler auch Ess-Störungen wie Magersucht und Bulimie auf dem Vormarsch.
Die großen Influencerim Fitnessbereich haben viele Follower: Pamela Reif kommt über Instagram auf 4,6 Millionen, Daniel Fuchs (kl. Bild) liegt bei 2 Millionen Abonnenten. Ihre Profile legen nahe, dass sie ein glückliches Leben führen. Dass es nicht so sein muss, zeigte Sophia Thiel(24, 1,2 Mio Follower, Bild oben links): Sie stieg letztes Jahr mutmaßlich mit Burnout-Symptomen aus den sozialen Medien aus.