Essen.. Bei jedem Schritt im Internet folgen uns zehn verschiedene Konzerne. Sie tun es, um zu erahnen, was wir uns wünschen. Manchmal wissen sie es besser als wir selbst. Nach dem Fluch der digitalen Welt (Snowden) eine Geschichte über den Segen (Einkaufen 4.0).

Letzte Woche im Internet habe ich gefunden: den brandneuen Roman von Stephen King, Staubsaugerbeutel (S 381, saugkraftverstärkt), ein neues Paar Schuhe, zwei gute alte Kumpels aus England, ein entzückendes kleines Strändchen in Kroatien, wo ich gerne mal Urlaub machen möchte. Ach, und dann habe ich noch eine Pizza bestellt (Nummer 42 mittel, doppelt Käse). Haben Sie das alles mitgeschrieben? Nein? Gut, das müssen sie auch nicht. Das macht das Internet schon von selbst.

Per Netz kann heute jeder Wunsch erfüllt werden, ein Paradies zum Shoppen, für Dienstleistungen, für Gesundheit – und all unsere Freundschaften. Da sollten wir doch glatt auf Datenwolke Sieben schweben. Nur hat uns gerade ein gewisser Edward Snowden gezeigt, wie tief wir fallen könnten. Nun ist die Verunsicherung gerade bei uns Privatleuten groß, denn wir hinterlassen ja überall im Netz unsere Abdrücke. Andererseits: Wir wollen von all den Segnungen des digitalen Lebensstils profitieren, der gerade sowohl die Welt des Marketing als auch der industriellen Produktion revolutioniert. Aber ansonsten wollen wir unsere Ruhe haben. Wenn wir bewusst damit umgehen, dass wir im Netz in etwa so beobachtet werden wie bei einem Bummel durch ein Einkaufszentrum am Samstagmittag, kann man doch recht beruhigt sein.

Kundennähe war schon immer gefragt

Springen wir mal zurück. Sommer 1990, bei mir im Stadtteil, ich muss mal zur Bank. „Hallo, Herr Howahl“, begrüßt mich der Mann am Schalter, „ihr Geld müsste ja mittlerweile da sein. Was machen die Umzugspläne?“ Ich lächele, plaudere, hebe Geld ab, der Mann schaut auf meinen Kontostand. Fünf Minuten später beim Buchhändler: „Hey, Georg, ich hab was Neues von Stephen King für dich. Hier, das ,Das letzte Gefecht’, ungekürzt. Hast du doch bestimmt drauf gewartet.“ Hatte ich nicht, bin aber entzückt. Noch mal fünf Minuten später bei meinem Lieblingsitaliener, Enzo blickt wissend über die Theke: „Wie immer?“ fragt er. Ich sage: „Na klar, 42 mittel, doppelt Käse.“

Immer mehr Menschen kaufen online ein. Anbieter wie Amazon speichern die Einkäufe.
Immer mehr Menschen kaufen online ein. Anbieter wie Amazon speichern die Einkäufe. © dpa | dpa

Wenn man sich das aus heutiger Sicht vor Augen führt: Eine verdammte Datenkrake war das damals, die wussten ganz genau Bescheid über mich, sie konnten sogar sagen, was ich morgens angezogen, ob ich mich rasiert und, wenn sie ganz raffiniert waren, wie ich geschlafen hatte.

Die großen Konzerne schauen uns heute, wenn wir ins Netz gehen, nicht nur über die Schulter, sondern auch noch ins Gesicht. Aber ist das schlimm?

Meist ist die Weitergabe von Daten harmlos

Schlimmer als damals? Das kommt immer darauf an, was man mit all diesen Erkenntnissen anfängt. Normalerweise ist es vollkommen harmlos, denn die Konzerne wollen das, was sie schon immer wollten: Verkaufen! Produkte und Dienstleistungen. Dabei versuchen sie auf digitalem Wege genau das zu simulieren, was ihnen dank des doch oft unpersönlichen Internets fehlt, nämlich Kundennähe. Während vor zwanzig Jahren noch jeder Einzelhändler den größten Teil seiner Stammkunden, ihre Vorlieben und Abneigungen, genau kannte, ist diese Nähe heute eher die Ausnahme, genau wie die Fachkompetenz. Sie ist andererseits zu etwas Abstraktem geworden, das man mit Datensätzen erfassen möchte, wo früher ein Schnack gereicht hätte, ein Blick auf Kleidung, Schuhe, Armbanduhr des Gegenübers.

Und wir geben unsere digitalen Daten ja freiwillig heraus: Wir lassen uns von Google verfolgen, weil wir wollen, dass diese Maschine uns ihre Suchergebnis verrät. Wir lassen uns von Expedia verfolgen, weil wir gern günstig Urlaub machen. Wir lassen uns von Facebook verfolgen, weil da so viele von unseren Freunden sind, mit denen wir kommunizieren wollen. „Das ,informationelle Selbstbestimmungsrecht’, eine deutsche Rechts-Spezialität, ist (...) längst von den mehr als 25 Millionen deutschen Facebook-Nutzern verschenkt worden“, schrieb Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann in der FAZ.

Dass auch bei Facebook die Werbung schon grob personalisiert ist, lässt sich mit einem kleinen Experiment belegen: Man ändert seinen Beziehungsstatus auf Single – und schon werden einem zig Partnerbörsen um die Ohren gehauen.

An einem Tag folgen uns über 100 Firmen

Dass sich das Netz so oft merkt, für welche Produkte ich mich interessiert habe, liegt auch an den Cookies: Das sind kleine Dateien, die die Betreiber von Internetseiten uns schicken und die auf unseren Computern gespeichert werden. Damit sichern wir die Einstellungen, die wir bei Webseiten vorgenommen haben, aber auch etwa die Produkte im Einkaufswagen beim Online-Shopping. Oder auch unsere Suchanfragen in Onlineshops. Und so kann es sein, dass eine Hose, die wir vor zwei Wochen gesucht, aber nicht gekauft haben, unverhofft in einer Anzeige noch einmal auftaucht. Wenn man das nicht will, sollte man regelmäßig Cookies löschen.

Wer sich selbst davon überzeugen möchte, dass uns im Laufe eines typischen Tags im Internet mehr als 100 Firmen folgen, muss sich nur ein kleines Programm namens „Collusion“ installieren. Das gibt es für den Browser Mozilla Firefox. Es protokolliert, wie beim Ansurfen einer einzigen Webseite oft zehn oder mehr andere Firmen auch noch eine Mitteilung bekommen. Wenn etwa auf der Seite eines Nachrichtenportals ein Facebook-, Twitter- oder Google-Plus-Knopf erscheint, erfahren diese Konzerne automatisch, dass man dort war. Selbst wenn man gar nicht selbst angemeldet ist. Dann allerdings erfahren sie nur die IP-Adresse. Wer also „Collusion“ den Tag über laufen lässt, wird am Ende ein nahezu unentwirrbares Spinnennetz von mehr als 100 Webseiten vorfinden, in dem es auch vor Firmen wimmelt, mit denen man auf direktem Wege nie in Kontakt getreten ist. Sie alle verfolgen einen durchs Netz, sie alle erwirtschaften alleine mit den Daten einen Jahresumsatz von 37 Milliarden Dollar pro Jahr. Natürlich kann man angesichts solcher Datenmengen, die man selbst produziert, die Haare raufen – aber wenn man es weiß und nicht wünscht, kann man sich auch aktiv dagegen schützen (siehe Tipps „Safer Surfen“ am Ende des Artikels).

Man ändert bei Facebook seinen Beziehungsstatus auf Single – und schon bekommt man Angebote von Partnerbörsen.
Man ändert bei Facebook seinen Beziehungsstatus auf Single – und schon bekommt man Angebote von Partnerbörsen. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Nun, die Erkenntnis, dass unsere Schritte im Netz überwacht werden, ist ja nicht neu, der Aufschrei darüber aber ist momentan groß. Dennoch werden nur wenige die notwendigen Schritte tun, ihre Privatsphäre ausreichend zu schützen, indem sie nur noch über das Anonymisierungsnetzwerk Tor surfen oder ihre Festplatten und E-Mails mit Programmen wie „Pretty Good Privacy“ (PGP) verschlüsseln. Denn das ist ein wenig mühsam. Und so zahlen die meisten lieber mit der Weitergabe ihrer Daten den Preis für ihre Bequemlichkeit. Und warum auch nicht?

Payback & Co. - Viele Menschen geben ihre Daten freiwillig weiter

Die Mehrheit der Deutschen hat gar nichts dagegen, etwas von sich preiszugeben. Der beste Beleg dafür hat nicht einmal direkt etwas mit dem Internet zu tun. Die Deutschen sind nämlich verrückte Punktesammler, sie sind ganz heiß auf Payback & Co.: Fast 60 Prozent der Haushalte besitzen eine Payback-Karte, die Kunden lassen einen Großteil ihrer ganz alltäglichen Einkäufe nicht nur bereitwillig über den Scanner ziehen, sondern natürlich auch noch zentral erfassen, wann und wo sie gekauft haben. Was Rückschlüsse zulässt, nicht nur auf eine Schwäche für Räucherlachs und Rindersteak, sondern auch über die Kaufkraft des Einzelnen. Warum tun die Kunden das? Warum lassen sie Waren im Wert von 15 Milliarden Euro pro Jahr über die Payback-Karte erfassen? Weil sie Rabatte wollen, die oft weniger als 1 Prozent des Preises betragen, so die Verbraucherzentrale NRW. Oder weil sie die Prämien wollen, deren Gegenwert gelinde gesagt winzig ist.

Dabei verkennt man oft, dass die meisten Konsumenten ein durchaus positives, von Vertrauen geprägtes Verhältnis zu den Firmen und Marken haben, bei denen sie ihr Geld lassen. Dasselbe gilt für deren Werbung: Entweder, sie wird ignoriert oder sogar als positive Information bewertet, weil man etwas über neue Produkte erfährt oder Schnäppchen entdeckt. Mit individualisierter Werbung, die sich nicht nur auf klassische Konsumgüter beschränken muss, ließen sich sogar maßgeschneiderte Vorschläge für einen gesunderen Lebenswandel und für Entspannung zielgerichtet an den Mann bringen.

Zum Preisvergleich schnell ins Internet.
Zum Preisvergleich schnell ins Internet. © dpa | dpa

Im Science-Fiction-Film „Minority Report“ aus dem Jahr 2002 läuft Tom Cruise durch ein Einkaufszentrum und ist umgeben von 3D-Werbung. In dem Moment, in dem die Kameras ihn erkennen, ändern die Werbebanner blitzartig ihre Programmierung – und liefern genau auf Cruise zugeschnittene Spots. Die Szene ließ die Werbetreibenden jubeln, schließlich wies sie den Weg Richtung Zukunft: Individuell maßgeschneiderte Werbung minimiert Streuverluste, die heute mit den meisten Werbeformen einhergehen.

Dass wir im heutigen Leben noch nicht so weit sind, zeigt mir regelmäßig der Blick in meine E-Mails. Dort bietet mir der Konzertveranstalter, bei dem ich die meisten meiner Konzertkarten erwerbe, mit hübscher Regelmäßigkeit die Live-Darbietungen von Cindy aus Marzahn und Xavier Naidoo an. Künstler also, für die ich nicht einmal in meinem tiefsten Unterbewusstsein Sympathien hege. Wäre dieser Konzertveranstalter etwa mit Spotify vernetzt (oder würde in die eigene Datenbank schauen), wüsste er, wohin es mich zieht, wenn ich lachen will oder mir laute Musik um die Ohren wehen lasse. Spotify liefert mir meine Musik online, es weiß ganz genau, wie oft und zu welchen Zeiten ich welche Musik gehört habe – und welche Musik mich interessiert, aber meist doch von mir ignoriert wird. Damit kennt der Dienst meinen Musikgeschmack besser, als mir bewusst ist.

Wie im Film "Minority Report" mit Tom Cruise

Ganz so weit in der Zukunft liegt Tom-Cruises-Filmversion der Werbewelt übrigens nicht. Auf der Düsseldorfer Handelsmesse Eurocis wurde im Februar die neueste Marketing-Technologie vorgestellt, unter anderem ein Kamerasystem für Geschäfte, das Gesichtserkennung beherrscht: Die Kamera erkennt im Video ein Gesicht – es kann aber nur unterscheiden, ob die gefilmte Person männlich oder weiblich, alt oder jung ist. Diese Daten freilich hätte auch ein unterbezahlter Student mit einem Notizblock im Laden erheben können, dennoch haben bereits einige Firmen mehrere zehntausend Euro für den Apparat ausgegeben.

Ein anderes Beispiel: Levi’s Jeans und Gerry Weber vernähen heute sogenannte RFID-Chips in Kleidungsstücken, einerseits als Diebstahlsicherung, andererseits lassen sich so Kundenprofile erstellen.

Die Schuhe sind billiger geworden? Der Anbieter zeigt es uns bei Produkten, an die wir schon lange nicht mehr gedacht haben.
Die Schuhe sind billiger geworden? Der Anbieter zeigt es uns bei Produkten, an die wir schon lange nicht mehr gedacht haben. © dpa | dpa

Nun lassen sich auch hiermit zahlreiche Missbrauchsszenarien ersinnen. Die normale Anwendung wird aber sein, dass die Firmen nur darüber Bescheid wissen, was ihre Kunden begehren und sich danach richten. Eine Wunderlampe, die erahnt, was das Konsumentenherz ersehnt. Dieser Gedanke greift noch viel tiefer ins Herz unserer industriellen Produktion und hat (Achtung!) sogar einen Umweltaspekt: Je zielgenauer produziert werden kann, desto weniger Überproduktion, sprich: Ladenhüter, wird es geben – und desto effizienter werden knappe Rohstoffe eingesetzt.

Das Online-Shopping 4.0 bringt zudem die Industrie 4.0 hervor, in der Arbeitsplätze nicht mehr so sehr durch Massenfertigung, sondern durch Kleinserienfertigung geprägt sind. Statt einem VW Golf in 11 Ausstattungsvarianten wie heute wird es vielleicht 111 Varianten geben. Fantastische technische Möglichkeiten also.

Wir sollten uns darum kümmern, wie wir uns vor Missbrauch schützen. Das tun wir in der echten Welt auch, schließlich läuft kein Mensch mit Hunderteuroscheinen wedelnd durch die Fußgängerzone. Die Segnungen der digitalen Welt aber sind zu verführerisch, um zu verzichten.

Letzte Woche im Internet habe ich etwas geschenkt bekommen: 694 Songs hat mir Amazon gratis auf den PC geschaufelt, digitale Gegenstücke zu CDs, die ich dort seit 1999 gekauft habe. Das hat der Konzern für alle Kunden getan. Nun weiß ich, dass er keinen Einkauf der letzten 14 Jahre vergessen hat, dass ich also überwacht worden bin. Dennoch habe ich mich noch nie so sehr darüber gefreut.

Safer Surfen – So schützen Sie sich vor Schnüfflern

Sie haben heute bestimmt schon „geduckduckgod“, oder? Das klingt sperriger als googeln, aber duckduckgo.com ist eine alternative Suchmaschine, die die Privatsphäre wahrt. Solche Angebote gibt es für fast alle netzbasierten Dienste, sie sind oft nur ein wenig komplexer als die gängigen, Spuren produzierenden Alternativen.

Sichere E-Mail

Wer seine Mails über die Rechner von Google, Yahoo oder Microsoft laufen lässt, wird gleich von mehreren Seiten belauscht: Hier hören die US-Geheimdienste ebenso mit wie private Konzerne, die die Daten für ihre Zwecke verwenden. Es gibt aber auch Anbieter, die höheren Wert auf Sicherheit legen wie posteo.de. Letztlich ist die E-Mail allerdings ein leicht abhörbares Vehikel. Um die Lesbarkeit durch andere deutlich zu erschweren, sollte man seine Mails verschlüsseln.

PGP und Truecrypt

Die Verfahren „Pretty Good Privacy“ (PGP) und Truecrypt sind Verschlüsselungsprogramme, die eine so tiefe Codierung von E-Mails bzw. Dateien ermöglichen, dass selbst Geheimdienste ordentlich zu tun bekommen, wenn sie neugierig sind auf die verschickten Inhalte oder die Dateien auf einer Festplatte. PGP ist jedoch nicht ganz leicht zu bedienen.

Tor

Der Begriff Tor steht für „The Onion Router“ und verschickt Daten über mehrere Rechner im Tor-Netzwerk, vergleichbar mit den Schichten einer Zwiebel. Da die Weiterleitung über drei Tor-Schichten erfolgt, bei der jeder Rechner immer nur den unmittelbar vor- bzw. nachgeschalteten Rechner kennt, ist es schwer, Netzanfragen über das Tor-Netzwerk zu verfolgen. Allerdings bremst diese Form der Umleitung die Surfgeschwindigkeit.

Duckduckgo & Co.

Alternative Suchmaschinen zu Google gibt es zuhauf. Auf Datenspeicherung verzichten etwa duckduckgo.com, metager.de oder ixquick.com.

Was Sie meiden sollten . . .

Wenn Ihnen Ihre Privatsphäre am Herzen liegt, sollten Sie Smartphone-Programme wie WhatsApp, die Facebook-App oder SMS-Dienste per Netz löschen. Eine nichtkommerzielle Facebook-Alternative gibt es auch, sie heißt Diaspora.