Dortmund. In der Dortmunder Nordstadt erzählt es sich bei einer Manta-Schale sehr gut. Anette Plümpe serviert zu leckeren Häppchen saftige Erklärhappen.
Punkt 18 Uhr ist Treffen vor der Tür. Die zusammengewürfelte Gruppe freut sich auf einen lockeren lukullischen Abend. „Lecker is‘ datt“ verspricht unbekannte Genuss-Ecken und kalorische Überraschungen. Die Lust auf das bunte Leben in der Dortmunder Nordstadt brachte Annette Kritzler und Anette Plümpe zusammen. Die Freude an Begegnungen mit Menschen, das Interesse an Geschichte und Geschichten, an Kunst und Kultur mündete schließlich in den Borsigplatz-VerFührungen. Seit 2006 bietet das Zwei-Frau-Büro vielfältige Touren durch die Quartiere Nordmarkt, Hafen und Borsigplatz an: Die „Gastrosafaris“ sind Favoriten.
In der Taberna Andaluza gibt’s zu Albóndigas Caseras, Patatas Bravas, gegrillten Sardinen, Peperoni und anderen Delicias auch die ersten Informations-Häppchen: Anette Plümpe erzählt. Von Armando Rodrigues de Sá, der als millionster Gastarbeiter in Deutschland eine Zündapp geschenkt bekam. Völlig verdutzt hatte der Zimmermann aus Portugal 1964 das Moped samt Nelkenstrauß entgegengenommen. Seine Witwe verkaufte es später für eine fünfstellige Summe (!). Heute erzählt das Zweirad im Haus der Geschichte in Bonn vom Los und Leben der Gastarbeiter.
Der Familienbetrieb fluppt
In der Taberna scheint die Zeit stehengeblieben. Stierkampf und Flamenco an den Wänden, Vinho verde auf den Tischen. Der Fotograf weiß zu berichten, dass hier schon vor 30 Jahren die Gäste scharf auf einen freien Platz waren. Der Familienbetrieb fluppt noch immer, das gemütliche Lokal ist voll. Es wird gegessen, getrunken, gelacht.
Gut gestärkt und gut gelaunt geht’s weiter – vorbei an intakten Zeilen mit schönen Gründerzeithäusern, durch einen Park, entlang der Kioske, den früheren Trinkhallen. Hier konnten die Hoesch-Arbeiter ihren Durst stillen – tatsächlich mit Trinkwasser, daher der Name. In Bestzeiten des Dortmunder Dreiklangs Kohle, Stahl und Bier wurde die Trinkhalle Tradition. „Die Gaststätten waren ja oft politisch“, weiß Gästeführerin Anette Plümpe, die auch Museumspädagogin ist. Da ging man doch lieber „anne Bude“, dem eigenen Soziotop im Viertel. 350 gibt’s in Dortmund noch.
Dann stehen wir an einem ehrfürchtigen Ort… vor der Gaststätte „Zum Wildschütz“, in der am 19. Dezember 1909 der Ballspielverein Borussia Dortmund gegründet wurde. Heute ist hier ein Imbiss, der zwar Pommes Rot-Weiß heißt, innen allerdings nur schwarz-gelb zulässt. Der Chef Mahir Ünlü inszeniert mit Bildern die Erfolgsgeschichte des Vereins, der ohne polnischen Zuzug kaum so viele Treffer versenkt hätte. Herr Ünlü will noch die Südtribüne an die Wand bringen und einen Stadioneingang bauen. Die Gäste machen sich über eine Manta-Schale her (Currywurst, Pommes Schranke). Wer hat die scharfe Soße erfunden, wo kommen die Pommes her, wer kennt noch Schlabberkappes? In kleiner Fragerunde klärt Anette Plümpe mal eben wichtiges Food-Fachwissen.
Max Michallek - wo man hinschaut
Auf dem Verdauungsspaziergang treffen wir auf einen Star: Max Michallek, genannt „die Spinne“. Die Wohnungsgesellschaft Vivawest hat der BVB-Legende das ganze Karree gewidmet, sein Konterfei, seine Fußballschuhe, seine Spielzüge auf die Fassaden gemalt, ein Denkmal enthüllt und im Hof einen Soccer-Platz gebaut. Hier pöhlen jetzt Kinder aus aller Herren Länder.
Knapp 60.000 Menschen leben heute in der Dortmunder Nordstadt, der Migrationsanteil liegt bei 70 Prozent (mit und ohne deutschen Pass). Wenn es weltweit 193 Nationalitäten gibt, versammelt die Nordstadt 153 davon. Das bedeutet nicht nur buntes Treiben, internationale Küche und multikulti, sondern birgt auch reichlich sozialen Sprengstoff. „Das Problem ist, dass viele Menschen hier arm sind“, sagt Anette Plümpe.
Der Borsigplatz – benannt nach Albert Borsig, dem Mitbegründer der einst nahe gelegenen Maschinenfabrik Deutschland – scheint fest in türkischer Hand. Klare Sache, dass unser Dessert mit Mokka oder Tee in einer türkischen Teestube serviert wird. Noch besser: im Muskara, dem unvergleichlichen Nussladen direkt am Ring. Meterlang sind die Auslagen mit bunten Knabbereien, Baklava, Lokum, Helva und orientalischem Hüftgold.
Armando Rodriguez de Sá hatte seine Heimat verlassen, weil Deutschland ein Land des Geldes sei. Er stellte aber auch fest: „Man muss einen starken Magen haben“.
Auf der Gastrosafari ist das von Vorteil.
>> Wo wollten Sie schon immer mal hin, haben es aber bis heute noch nicht geschafft?
Anette Plümpe: Unbedingt und möglichst bald ins Haus der Geschichte nach Bonn. Die Ausstellung ist ja neu konzipiert worden, die habe ich noch nicht gesehen. Meine Lieblingsziele für weitere Reisen liegen alle in Italien. Sizilien möchte ich mir noch einmal näher anschauen.
Lecker is‘ datt – die Gastrosafari am Borsigplatz: Die nächsten festen Tourentermine: 19. August, 21. Oktober und 9. Dezember 2022. Individuelle Buchungen ab 10 Personen möglich, maximal 15 Personen. Preis pro Person: 50 Euro inklusive drei Gänge, drei Getränke. Dauer: drei Stunden. Mehr Touren und Infos: www.borsigplatz-verfuehrung.de