Dortmund. Evgeny Kissin spielte im so gut wie derzeit möglich gefüllten Dortmunder Konzerthaus: Fulminanter Live-Auftakt für das Klavierfestival Ruhr.
„Endlich!“ Das erste Wort, mit dem sich Franz Xaver Ohnesorg live an sein Publikum wandte, beendete die über achtmonatige Corona-Zwangspause des Klavier-Festivals Ruhr. Mit einem überragenden Recital von Evgeny Kissin im so gut wie derzeit möglich gefüllten Dortmunder Konzerthaus. Jubel, huldigender Stehapplaus und drei Zugaben – kaum weiß man noch, wie sich das anfühlt. Endlich konnte der Ausnahmepianist bei seinem mittlerweile sechsten Auftritt auch den schon im vergangenen Jahr ihm zuerkannten Preis des Klavier-Festivals Ruhr aus der Hand des Intendanten in Empfang nehmen: die Skulptur „Rhapsody“ des Bildhauers Michael Dekker. Und Kissin, der schon als 13-jähriger Bub von der großen Martha Argerich empfohlen wurde, hat seinerseits nun der jungen russisch-armenischen Pianistin Eva Gevorgyan das Stipendium des Festivals zuerkannt.
Im einstündigen Nonstop-Programm reihte sich eine Höchstschwierigkeit an die nächste
Das über einstündige Nonstop-Programm, in dem sich eine Höchstschwierigkeit an die nächste reihte, spiegelte den Weltbürger Kissin. Neben dem Werk Chopins setze er einen Akzent auf die Klangwelt des 20. Jahrhunderts: Alban Berg, George Gershwin und – Tichon Chrennikow, dem Vertreter des angepassten Sozialistischen Realismus, der hierzulande auf weniger Resonanz stößt als abtrünnige „Formalisten“ wie Schostakowitsch. Fünf Stücke op.2 zeigten sich moderat modern auf tonalem Boden. Zündender: die drei Preludes von Gershwin, ein Feuerwerk an unbändigem Temperament und perkussiver Spiellust zwischen Blues und Charleston. Überwältigend in ihrer inneren Dynamik: Bergs Sonate op.1, so strömend-verfließend, so erzählerisch, so farbsublim.
War das Chopin? Nein, aber „seinem“ Komponisten hatte Evgeny Kissin den ganzen zweiten Teil gewidmet. Ob Nocturne, Impromptus oder Polonaise „Héroique“ als kaum zu überbietender Bravour-Schluss – seine Chopin-Interpretationen sind viel gerühmt und ließen auch diesmal an den legendären Rubinstein denken.